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Ausgabe:

1888

Spalte:

513-518

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Otto

Titel/Untertitel:

das Urchristenthum 1888

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. SchÜrer, Prof. zu Giefsen.

Erfcheint Preis

14 Tage. Leipzig. J. c. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 21. 20. October 1888. 13. Jahrgang.

l'fleiderer, DasUrchriftenthuin, feine Schriften
und Lehren (Schürer).

Landau, Die dem Räume entnommenen Synonyma
für Gott in der neuhehräifchen Litteratur
(Schürer).

Oxd, l'rolegomena de carmine adversus Marcio-
nitas (Harnack).

Döllinger, Akademifche Vorträge, 1. Bd.
(Harnack).

Boffert, Die Anfänge des Chriftentums in

Württemberg (Hauck).
Broglie, Mabillon et la soci£t6 de l'abbaye

de Saint-Germain des Pr6s ä la fin du dix-

septieme siecle (Reufch).

Cherot, Etüde sur la vie et les oeuvres du P.

Moyne (Reufch).
Doncieux, Un Jesuite homme de lettres au

dix-huitieme siecle, le Pere Bouhours (Derf.).
Eifele, Jefuitismus und Katholizismus (Kay).
Spurgeon, llluftrationen und Meditationen

(Härtung).

Pfleiderer, Prof. Dr. Otto, Das Urchristenthum, feine
Schriften und Lehren, in gefchichtlichem Zufammen-
hang befchrieben. Berlin, G. Reimer, 1887. (XIII,
891 S. gr. 8.) ML 14.—; geb. M. 16.50.

Deber ein fo gehaltvolles Werk wie das vorliegende
ift es fchwer in einer kurzen Anzeige zu berichten. Es
umfafst feinem Stoffe nach fo ziemlich alle Hauptfragen
der ,Einleitung in's Neue Teftament' und der ,Biblifchen
Theologie des Neuen Teftamentes'. Denn es werden
faft alle Schriften des Neuen Teftamentes einzeln be-
fprochen, und dabei fowohl die Entftehungsverhältniffe
als der lehrhafte Inhalt zur Darftellung gebracht. Von
dem verwandten Werke Weizfäcker's unterfcheidet es
lieh vor allem dadurch, dafs es nicht nur die apoftolifche
Zeit behandelt, fondern bis weit über diefelbe herabgeht
, nämlich bis dicht vor Jüdin, fo dafs alle apoftoli-
lchen Väter noch mit behandelt werden. Ein anderer
Unterfchied von Weizfacker ift der, dafs Pfl. die Lehrentwickelung
eingehender darftellt als W., dafür aber
die Gefchichte der Gemeindezuftände (Leben, Verfaffung,
Cultus) aufser Betracht läfst, und in der Darftellung der
Wirkfamkeit Pauli und feiner Beziehungen zu den palä-
ftincnfifchen Kreifen fich auf die allgemeinften Grundzüge
befchränkt, während W. gerade hier fehr in's Da-
tail eingeht. Pfl. giebt alfo nicht eine Gefchichte der
Perfonen und Einrichtungen, fondern eine Gefchichte
der Literatur und der Lehre. Gemeinfam ift ihm mit
Weizfacker die vortreffliche, fliefsende Darftellung. Es
ift ein Vergnügen, das Buch zu lefen, da man nicht mit
einzelnen Stellen gequält wird, fondern durchweg eine
plaftifche Gefammtanfchauung erhält. Es eignet fich daher
auch fehr zur Leetüre für nichttheologifche Kreife.

In der Einleitung (S. 1—25) fucht der Verf. zu
zeigen, wie die erften Jünger Jcfu Chrifti nach dem fchein-
baren Untergange ihres Meifters infolge der ihnen zu
Theil gewordenen Chriftus-Erfcheinungen doch wieder
zum Glauben an ihn als den Meffias gelangten, und welches
der wefentliche Inhalt diefes ihres Glaubens war.
— Hierauf wendet fich der erfte Abfchnitt fofort zu
Paulus (S. 26—306). Es werden feine Bekehrung, feine
Kämpfe mit den Judenchriften und feine ganze Wirkfamkeit
in ihren Hauptmomenten an der Hand der Briefe
dargeftellt (S. 26—153), und eine ausführliche Entwicke-
lung feiner Theologie gegeben (S. 153—306). Von den
Briefen werden als echt hier behandelt: Galater, L Thef-
falonicher, Korinther, Römer, Philipper. Unter Galatien
verfteht Pfl. nicht die Landfchaft Galatien, fondern die
römifche Provinz diefes Namens und zwar fpeciell die
Landfchaften Pifidien und Lykaonien (S. 57 f.). In Ko-
rinth ftellt er die Exiftenz einer .Chriftuspartei' in Abrede
(S. 87—91). Die Vorausfctzungen des zweiten Korinther-

briefes conftruirt er im Wefentlichen ganz wie Weiz-
fäcker, mit Annahme eines Befuches und eines Briefes
Pauli zwifchen unferem erften und zweiten kanonifchen
Briefe, glaubt aber mit Hausrath diefen dem zweiten kanonifchen
vorangehenden Brief in den vier letzten Ca-
piteln deffelben noch erhalten (S. 103—107), eine Hypo-
thefe, die nur fcheinbar beftechend ift, da in Wahrheit
die Andeutungen in II Kor. 2 und 7 fchlechterdings nicht
auf den Inhalt von II Kor. 10—13 paffen. Die römifche
Gemeinde hält Pfl. für überwiegend hcidencluiftlich (S.
117 ff.), wie das ja aus feiner früheren Abhandlung hierüber
fchon bekannt war (Jahrbb. für prot. Theol. 1882).
— Die Darftellung der paulinifchen Theologie ftimmt im
Wefentlichen mit der von Pfl. früher (Der Paulinismus,
1873) gegebenen überein, weicht aber doch auch in manchen
Einzelheiten von ihr ab. Eine Aenderung in pejus
fcheint mir die Wiedergabe von Rom. 5, 12 ff. erfahren
zu haben. Während Pfl. früher fehr präcife und richtig
hervorhob, dafs nach diefer Stelle infolge von Adam's
Sünde das Todesgefchick über die Gefammtheit verhängt
wurde ohne Rückficht auf das eigene Verhalten, findet
er jetzt, dafs das Strafverhängnifs ,im einzelnen P"all
immer mitbedingt ift durch die Mittelurfache des wirklichen
Sündigens der Einzelnen' (S. 180). Nicht geändert
ift in der Rcchtfertigungslehre die Darftellung des Glaubensbegriffes
, wornach die perfönliche Lebensgcmeinfchaft
mit Chrifto zum Wefen des .rechtfertigenden' Glaubens
gehört, fo dafs alfo jene Lebensgemeinfchaft als Vor-
ausfetzung der Rechtfertigung erfcheint (S. 242—246;.
Ich glaube, dafs dies eine erhebliche Verfchiebung der
paulinifchen Anfchauung ift. Der Glaube ift lediglich vertrauensvolle
Annahme der dargebotenen Gnade Gottes
in Chrifto. Auf Grund diefes Glaubens wird der Menfch
gerechtfertigt, und durch diefen Glauben tritt er in eine
perfönliche Gemeinfchaft mit Chrifto. Rechtfertigung und
Lebensgemeinfchaft mit Chrifto flehen alfo unabhängig
neben einander; die eine wie die andere ergiebt fich di-
rect aus dem Glauben, und es ift weder diefe durch jene,
noch jene durch diefe bedingt. Trotz diefer Bedenken
möchte ich jedoch gerade die Darftellung der paulinifchen
Theologie als eine der fchönften Partien des Buches
hervorheben. Sie giebt uns ein lebendiges und an-
fchauliches Bild von der Genefis und dem inneren Zu-
fammenhang der paulinifchen Gedanken. — Noch mehr
als in der früheren Darftellung ift Pfl. jetzt auch den
Quellen der paulinifchen Theologie nachgegangen.
Er findet mit Recht ihre Anknüpfungspunkte ganz vorwiegend
in pharifäifch-rabbinifchen Ideen, namentlich
auch in der Anfchauung, dafs das Leiden jedes Gerechten
eine fühnende Kraft hat zu Gunften der Gefammtheit
. Sehr fleifsig (ja mehr als in den Anmerkungen
gefagt wird) ift für diefe Partien das treffliche Buch

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