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Ausgabe:

1888 Nr. 20

Spalte:

503-504

Autor/Hrsg.:

Braig, Carl

Titel/Untertitel:

Gottesbeweis oder Gottesbeweise? Würdigung neuer und neuester apologetischer Richtungen in Briefen an den hochw. Herrn Prof. Dr. Constantin Gutberlet in Fulda 1888

Rezensent:

Sachsse, Eugen

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Seite 1

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503 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 20. 504

Umdeutung des Glauben's feitens der Gnofliker' ift min-
deftens mifsverftändlich (S. 28); Athanafius einen der
fcharffinnigften Denker des Jahrhunderts zu nennen, ift
kein glücklicher Ausdruck (S. 35). Dafs das Mönchthum
in der Mitte des 4. Jahrhunderts feinen Ausgang genommen
habe, ift ein zu fpäter Anfatz (S. 40). Dafs
Rom den Primat über die ganze Kirche begehre, ift doch
nicht erft zu Chalcedon gewifs geworden (S. 42). Die
Donatiften find nicht mehr fo energifch gewefen, eine
von jedem fittlichen Makel freie Kirchengemeinfchaft
begründen zu wollen (S. 43); fie nahmen vielmehr mit
fehr viel Weniger vorlieb. Auguftin's ,civitas dei' das
einflufsreichfte Buch im ganzen Mittelalter zu nennen
(S. 44), ift bedenklich. Steht das eiferne Kreuz und das
Kreuz des deutfchen Ritterordens wirklich in gefchicht-
lichem Zufammenhang? (S. 59). Doch ich breche diefe
kleinen Admonitionen lieber ab. Ueber die Vortrage
zu referiren ift unmöglich; denn man kann fich .nicht
kürzer faffen, als der Vortragende gethan hat, und man
foll ihn lefen.

Marburg. A. Harnack.

Braig, Stadtpfr. Dr. Carl, Gottesbeweis oder Gottesbeweise
? Würdigung neuer und neuefter apologetifcher
Richtungen in Briefen an den hochw. Herrn Prof.
Dr. Conftantin Gutberiet in Fulda. Stuttgart, Metzler's
Verl., 1888. (VIII, 227 S. gr. 8.) M. 3.40.

Verf. beabfichtigt in vorliegender Schrift, das Dafein
Gottes aus objectiven Gründen zu beweifen. Diefelbe
zerfällt in drei Theile, die an Umfang ziemlich gleich
find. Zunächft wendet er fich an Dr. Conftantin Gutberiet
(Brief I—6), um gegen deffen Theodicee einige fehr
artig gehaltene Einwendungen zu erheben, z. B. dafs
mehrere Formen des Gottesbeweifes im Grunde auf den
kosmologifchen Beweis hinauslaufen. Oder dafs alles,
was wir als zweckvoll beurtheilen, möglicherweife auch
durch zufälliges Zufammentreffen könnte entftanden fein,
fo dafs der teleologifche Beweis nie apodiktifch fei.
Da aber Thatfache ift, dafs wir Zwecke fetzen, und da
der Urheber unferes Dafeins mindeftens fo vollkommen
fein mufs, wie wir, fo folgt, dafs auch er ein zweckfetzendes
, alfo geiftiges Wefen ift. Auch wird fehr
richtig bemerkt, dafs der Consenstis gentium nicht das
Dafein Gottes, fondern nur die allgemeine Anlage zum
Gottesglauben beweife. Im zweiten Theile (Brief 7)
wendet fich Verf. gegen Paul Schanz: Apologie des
Chriftenthums I. So höflich die Polemik bisher gehalten
war, ebenfo rückfichtslos, ja grob wird fie jetzt; man
glaubt kaum denfelben Verfaffer zu lefen. Verf. giebt
das felbft zu und erklärt, dafs er ,durch Abneigung
gegen alles Scheinwiffen und durch unüberwindlichen
Ekel vor der Kuppelei der Phrafe' zu diefer fcharfen
Kritik fich getrieben fühle (p. 154). Referent hat nicht
Gelegenheit gehabt, die Apologie von Schanz einzufehen
und kann daher nicht beurtheilen, wie weit diefe Vorwürfe
fachlich begründet find. Die Billigkeit fcheint aber
zu fordern, ein entgegengefetztes Urtheil anzuführen.
Lipfius fchreibt darüber im theologifchen Jahresbericht
1887 pag. 349: ,Ungleich werthvoller ift der erfte Theil
der Apologie von Schanz: Gott und die Natur, welcher
refpectabele theologifche und namentlich naturwiffen-
fchaftliche, vielfach mit Glück gegen den deutfchen
Darwinismus verwerthete Kenntnifse und eine fehr aner-
kennenswerthe Neigung verräth, die geficherten Ergeb-
niffe der Naturwiffenfchaften auch gegenüber den De-
creten der römifchen Indexcongregation anzuerkennen.
Befonders die Erörterungen über das copernikanifche
Weltfyftem und den bedauerlichen Procefs gegen Galilei
, über die biblifchen Schöpfungstage, das Alter des
Menfchengefchlechts und die Sintfluth verdienen wegen
der in ihnen bekundeten vorurtheilsfreien Forfchung

hervorgehoben zu werden. Es weht in diefem Buche
des Tübinger Theologen noch etwas von dem fonft faft
überall durch den Jefuitismus erftickten befferen katho-
lifchen Geifte'. Vielleicht würde das Urtheil unferes Verf.
weniger fcharf fein, wenn er diefe Vorzüge zu fchätzen
wüfste.

Im dritten Theile (Brief 8) entwickelt Verf. feinen
Gottesbeweis mit einem allzu reichlichen Aufgebot von
phyfifchem,chemifchem und aftronomifchemDetail, welches
er allerdings durchgehends aus den erften Autoritäten
auf diefem Gebiet gefchöpft hat. Der Beweis felbft
baut fich in drei Stufen auf: 1. da alles Seiende durch
anderes bedingt ift, fo mufs etwas fein, welches unbedingt
und durch fich ift. Die Einheit diefes Unbedingten foll
fich aus folgender Erwägung ergeben: eine Vielheit der
Urfachen zu denken ohne Einheit, ift ebenfo unmöglich,
als zwei zu denken ohne eins; alfo mufs Ein realer
Weltgrund gedacht werden. Aber daraus folgt doch
nur, dafs ich nicht mehrere Urfachen denken kann,
ohne zuvor eine Urfache gedacht zu haben; keineswegs
aber, dafs den vielen Urfachen eine reale Urfache zu
Grunde liegt. Dafs diefer Caufalitätsbeweis nicht darüber
entfeheide, ob im Mittelpunkte der Welt ein myfteriöfes
Etwas fitzt, welches den beftändigen Umlauf mit eiferner
Nothwendigkeit bewirkt oder ob ein freier Schöpfer das
Ganze durch unendliche Macht einmal gefetzt hat, giebt
Verf. felbft zu. Die Qualität der prima causa wird aus
anderen Gründen erfchloffen: die gefetzliche Ordnung der
Welt erweift, dafs der Weltgrund ordnend, d. h. unter-
fcheidend und denkend fei. Dasfelbe und nichts weiter
würde die teleologifche Betrachtung ergeben, wenn nicht
Verf. ganz kurz den Inhalt des Weltzwecks angäbe:
Zweck der Welt ift der Menfch, der Menfch aber kann
fein Ziel nicht unter fich und nicht in fich haben, wie
die Erfahrung lehrt, folglich mufs Gott fein als Endziel
des Menfchen. Da nun Gott diefen Zweck gefetzt hat,
mufs er geiftig-fittliche Perfönlichkeit fein. Nach den
langen vorherigen Ausführungen mufs es überrafchen,
dafs Verf. diefe Hauptfache mit wenigen Sätzen abthut.
Wir verliehen, er will den philofophifchen Gottesbeweis
geben, abgefehen von der chriftlichen Offenbarung; aber
felbft Plato's Gottesbegriff ift viel reicher, wenn er Gott
als die Fülle der Ideen, als das Sein erfafst, welches fich
I zum Wahren, Guten, Schönen entfaltet. So hat er nur
| das formale Schema zu einem Gottesbegriff erhalten;
! folange es nicht mit der Liebe erfüllt wird, die fich in
Chrifto offenbart hat, bleibt es nichts als eine Hypothefe
zur Weltcrklärung, die etwas mehr Wahrfcheinlichkeit
hat als eine andere.

Auf Seite 23 findet fich die fonderbare Behauptung,
feit Leibniz fei in Deutfchland kein eigentlicher Philo-
foph mehr erftanden •. man habe fich, von Kant ab, an-
geftrengt, philofophifche Syfteme zu bauen in der Weife
und mit den Mitteln, wie die Dichter Romane fchreiben.
Soll das wirklich von Kant gelten? Ehe wir ein Wort
zur Widerlegung einer folchen Behauptung fagen, müfstc
uns der Beweis erbracht werden, dafs Verf. Kant's Syftcm
im Zufammenhange ftudirt hat.

Herborn. Sachfse.

Hölscher, Fr. M. A., Die naturwissenschaftliche Weltansicht
in Beziehung auf Religion und Staat, Erwerb und
Ehe. Kritik von M. Nordaus convent. Lügen etc.
Gotha, F. A. Perthes, 1888. (III, 126 S. gr. 8.) M. 2.40.
Das bekannte Buch M. Nordau's, welches vor feinem
Erfcheinen durch einen Procefs, nach dem Erfcheinen
durch feinen Inhalt einiges Auffehen erregte, veranlafst
den Verf. zu einer Widerlegung, welche der Reihe nach
I) die naturwiffenfehaftliche Weltanficht, 2) die Religion,
| 3) die Monarchie, 4) die Politik, 5] den Erwerb, 6) die
1 Ehe behandelt. Verf. wählt den Standpunkt, dafs er