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Ausgabe:

1888 Nr. 20

Spalte:

499-501

Autor/Hrsg.:

Niese, Benedictus (Ed.)

Titel/Untertitel:

Flavii Iosephi opera. Vol. I. Antiquitatum iudaicarum libri I - V 1888

Rezensent:

Schürer, Emil

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499

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 20.

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bei diefem Philofophen (ich findenden, hauptfächlich der
ftoifchen Schule entlehnten Anklagen des frivolen Weltlebens
zu einer Anklage gegen das ganze Heidenthum
und zur Verherrlichung eines chriftlichen Vereins verwerteter
Hat nicht Clemens in Bezug auf den Pädagogos
des Mufonius ähnliches gethan; ganz zu fchweigen von
der literarifchen Abhängigkeit mancher Apologeten von
entfchieden heidnifchen Quellen? Und was die intime
Kenntnifs Philo's betrifft, die zu einem folchen Unternehmen
nöthig war, fo meinen wir, dafs man in den
Kreifen der katholifchen Gnoftiker Alexandriens diefelbe
wohl antreffen konnte. Ja, fogar die lofe Verbindung
der Therapeuten mit Mofes liefse fich vielleicht bei einem
alexandrinifchen Chriften erklären; befürchtete man doch
in den angedeuteten Kreifen nichts mehr als den Vorwurf
der Neuheit, daher beftand die dortige Philofophie
zum guten Theil, wie der feindliche Porphyrius nicht
ganz ohne Grund bemerkt, in einer Verballhornifierung
Mofe's (Eufeb. H. E. VI, 19, 4). Durch Berufung auf die
mofaifchen Schriften glaubte man nicht blofs die chrift-
liche Speculation, fondern auch das Alter der chriftlichen
Religion zu rechtfertigen; warum alfo nicht auch das
Alter der chriftlichen Askefe?

Berlin. R. Ohle.

Josephi, Flavii, opera, edidit et apparatu critico instruxit
Benedictus Niefe. Vol. I. Antiquitatum judaicarum
libri I-V. Berlin, Weidmann, 1887. fLXXXIV, 362 S.
gr. 8.) M. 14.—

Auf die Bedeutung von Niefe's Jofephus-Ausgabe
ift im allgemeinen fchon bei der Anzeige des zuerft er-
fchienenen zweiten Bandes hingewiefen worden (Theol.
Litztg. 1886, Nr. 4). Nachdem feitHudfon (1720) und
Havercamp (1726; fich niemand mehr um die Hand-
fchriften des Jofephus bekümmert hatte, wird hier endlich
das dringende Bedürfnifs nach einer kritifchen Ausgabe
diefes wichtigen Schriftftellers in einer Weife
befriedigt, welche allen billigen Anforderungen voraussichtlich
auf lange Zeit genügen wird. Es find zwar
keineswegs alle vorhandenen Handfchriften verglichen
worden (das wäre bei der grofsen Zahl derfelben zweck-
lofe Zeitverfchwendung gewefen); aber doch ficher alle
wichtigeren, darunter manche zum erften male; denn gerade
einige der beften Handfchriften find für die Ausgaben
von Hudfon und Havercamp theils noch gar nicht,
theils nur ganz eklektifch herangezogen worden. Der
Text ift von Niefe auf Grund diefes Materiales ganz neu
conftituirt worden, oft in Abweichung von allen bisherigen
Ausgaben. — Ueber die Einrichtung von Niefe's
Ausgabe ift bereits bei der Anzeige des zweiten Bandes
das nöthigfte bemerkt worden. Er giebt den griechi-
fchen Text ohne lateinifche Ueberfetzung, aber mit einer
fo reichen Auswahl von Varianten, dafs man darin eher
zu viel als zu wenig geboten finden wird.

Die bisher erfchienenen beiden erften Bände umfaffen
die zehn erften Bücher der Archäologie. Auf fie
allein beziehen fich auch die umfangreichen Prolego-
mena, welche dem erften Bande vorangefchickt find.
Denn die handfehriftliche Ueberlieferung ift nicht nur
für jedes Werk des Jofephus eine felbftändige, fondern
auch für die erfte Hälfte der Archäologie eine ganz
andere als für die zweite. Die meiften Handfchriften
enthalten nur entweder die eine oder die andere. Auch
die folgende Berichterftattung bezieht fich daher nur auf
den kritifchen Apparat für die erften zehn Bücher der
Archäologie.

Niefe hat hierfür folgende fünf Handfchriften, die
er als die wichtigsten anfieht, vollftändig verglichen:
1) Regius Parisinus n. 1421 saec. XIV (von Niefe mit R
bezeichnet; es ift diefelbe Handfchrift, welche in den
Collationen bei Havercamp II, 424 ff. mit Rb bezeichnet

ift). 2) Oxoniensis Bodleianus n. 186 saec. XV (mit O bezeichnet
). 3) Marcianus n. 381 saec. XIII (M). 4) Vindo-
bonensis bist. gr. 2 saec. XI (= codex Sambuci, daher von
Niefe mit S bezeichnet). 5) Regius Parisinus n. 1419,
saec. XI (P). Eine fechfle Handfchrift (L = Laurentia-
nus plut. 69 cod. 20, saec. XIV) hat Niefe für die zuerft
gedruckten Bücher VI—IX nur eklektifch benützt, vollständig
dagegen für Buch X und I—V. — Alle diefe
Handfchriften gehen auf einen Archetypus zurück, in
welchem bereits einzelne Eigennamen nach den bei den
LXX üblichen Formen corrigirt waren, wie an dem Bei-
fpiel des NaßoxodgötJogog = Naßorryodovöoog nachge-
wiefen wird {proleg. p. XXX sq.). Sodann aber theilen
fich die Handfchriften wieder in zwei Familien, welche
einerfeits durch RO, andererfeits durch MSP vertreten
find. Der Laurentianus (L) nimmt eine eigenthümliche
Mittelstellung ein. Niefe hält nun dafür, dafs der durch
die jüngeren Handfchriften RO vertretene Text
den Vorzug verdiene vor dem dur ch die älteren
Handfchriften MSP vertretenen. Bei einer Reihe
der von ihm mitgetheilten Beifpiele ift dies in der That
augenfeheinlich der Fall. Zwei der intereffanteften mögen
hier mitgetheilt werden. Antt. IX, 14, 2 (nach Niefe's
Paragraphen-Eintheilung IX, 284) haben MSP wie der
gedruckte Vulgärtext Eni rairnrg nt'fitjjctg 6 xwv Idoav-
giwv ßnoiXevg. Niefe bemerkt mit Recht, dafs die Worte
Eni tol'Tovg ntf.itj.iag keinen in den Zufammenhang paffenden
Sinn ergeben. RO lefen nun Eni tovcovg släft-
rjiccg, d. h. nach richtiger Abtheilung Eni tovxov Eclcifi-
tpag ö twv 'u4o<rLQiwv ßaailevg, womit eine überrafchend
in den Zufammenhang paffende Heilung der Text-Ver-
derbnifs gegeben ist. Ein anderes Beifpiel ift Antt. I, 3, 3
(Niefe I, 82). Hier wird die Zeit von Adam bis zur
Floth nach dem Vulgärtext zu 2656 Jahren angegeben.
Nach dem Zufammenhang kann dies jofephus nicht ge-
fchrieben haben, da die einzelnen von ihm genannten
Zahlen (I, 3, 4) zufammen eine erheblich geringere
Summe ergeben. Der Oxonienfis (in R fehlt das betreffende
Blatt) lieft ftatt deffen 2262; und die Richtigkeit
diefer Lesart wird einerfeits durch Julius Africanus bestätigt
, andererfeits dadurch, dafs die einzelnen von Jofephus
genannten Zahlen (nach dem Text von Oxon.) genau
die Summe 2262 ergeben. Die vulgäre Lesart ift
dadurch entstanden, dafs man die Angabe des Jofephus
nach dem hebräifchen Text in 1656 corrigirte (fo hat
Zonaras in feinem Jofephus-Text gelefen), diefe Correc-
'< tur aber in der Ziffer der Taufende mit der urfprüng-
lichen Lesart vermifcht wurde.

Aufser den Handfchri ften des griechifchen Textes giebt
es noch zwei wichtige Text-Zeugen: die griechifche
Epitome (in Niefe's Apparat mit E bezeichnet) und
die alte lateinifche Ueberfetzung (Lat.) Für die
Epitome hat Niefe einen Wiener Codex ißusbeckianus)
verglichen. Ein indirecter Zeuge für diefelbe ift auch
Zonaras. Denn der Auszug, welchen diefer in feinen
Annalen aus Jofephus giebt, ruht, wie Niefe nachgewiefen
hat, nicht auf dem vollftändigen Jofephus-Texte, fondern
auf der Epitome, die alfo jedenfalls älter als Zonaras
ift. Der Text der Epitome ift näher mit MSP verwandt
als mit RO. Hier und da hat fie allein das richtige erhalten
. — Die alte lateinifche Ueberfetzung der Antiquitäten
ift bekanntlich auf Veranftaltung des Caffiodo-
rius angefertigt worden, flammt alfo aus dem sechsten
Jahrhundert. Von Buch VI—X derfelben giebt es einen
codex Ambrosianus, der nach Niefe's Urtheil (proleg.
p. XXVIII) noch aus dem fechften Jahrhundert flammt,
alfo der Zeit Caffiodor's ganz nahe fleht. Er ift von
Niefe vollftändig verglichen worden; für die übrigen
Bücher hat Niefe einen Guelferbytanus (Wizenburgensis
11. 22, saec. XI—XII) benützt. Unter den Ausgaben der
lateinifchen Ueberfetzung ift die Basier von 1524 die
belle; alle fpäteren find nach dem Griechifchen corrigirt.
Auch diefe lateinifche Ueberfetzung ruht, wie die Epi-