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Ausgabe:

1888 Nr. 19

Spalte:

473-474

Autor/Hrsg.:

Veeck, O.

Titel/Untertitel:

Darstellung und Erörterung der religionsphilosophischen Grundanschauungen Trendelenburgs 1888

Rezensent:

Sachsse, Eugen

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 19.

474

und führt die dargeftellten Anfchauungen gegen jene be-
fchränkte und doch fo felbftbewufste Naturwiffenfchaft
ins Feld, die nichts als mechanifche Gefetzlichkeit kennt
und diefe für das obcrfte Princip alles Gefchehens erklärt
. Da ift es denn von Bedeutung, dafs ein Philofoph,
der von Haufe aus Naturforfcher ift und alfo nicht unter
dem billigen Vorwurf der Ignoranz abgethan werden
kann, fo cnergifch die Superiorität des geiftigen und fitt-
lichen Lebens über alles mechanifche Gefchehen verthei-
digt. Wir werden mit Recht zuerft über den fo bedeut-
famen Unterfchied von Seinsurtheilen und Werthurtheilen
aufgeklärt; Werthe find dem Geifte nur unter der Form
des unmittelbaren Gefühls gegenwärtig, während Gewif-
fen und freier Wille nur die Bahn zu diefem Glück er-
fchliefsen. Sittlich ift, was dem allgemeinen Geifte als
werthvoll erfcheint. Das Bewufstfein von der Ueberein-
ftimmung meines Willens mit feiner Beftimmung äufsert
fich im Gefühl tätlicher Billigung. Hierin erlebe ich das
Vorhandenfein eines Werthes. Darum erkenne ich das
Wirkliche nie blofs durch Bearbeitung meiner Vorftel-
lungen, fondern die logifche Bearbeitung diefer Gefühle
mufs hinzukommen: auch die Werthurtheile geben Kunde
vom Nichtich. Freilich ift die Werthfehätzung des Guten
eine That des Gewiffens, darum nicht allgemein; wer die
Majeftät des Sittengefetzes nicht unmittelbar empfindet,
dem kann fie nicht bewiefen werden. Infofern beruhen
alle Werthurtheile auf Glauben.

Aus diefer Vorausfetzung folgt, dafs wir ein richtiges
Bild des Weltganzen nicht entwerfen können, wenn
wir allein der Logik des Verftandes folgen; zum richtigen
Weltverftändnifs find die Eingebungen der werthempfindenden
Vernunft erforderlich, welche auch das Denkbare
abweift, wenn es nicht durch die Würde feines Inhalts
Anerkennung verdient. Denn dem Geift ift nicht nur
das Widerfprechende unerträglich, fondern auch das Ab-
furde d. h. was der äfthetifchen oder ethifchen Ueber-
zeugung widerfpricht. Daraus ergiebt fich dann weiter,
dafs, da die Gefetze des Seinkonnens und die Ideen des
Seinfollenden nicht verfchiedener Herkunft fein können,
beide aus dem unendlich Werthvollen flammen, welches
jene als Mittel zu diefen geordnet hat. Die Stiftung des
Mechanismus ift die erfte ethifche That des Abfoluten;
in dem, was fein Poll, ift der Grund zu fuchen für das,
was ift. Es ift ein unbewiefenes Vorurtheil, dafs dem
Gciftesleben eine Anzahl mechanifcher Gcfetze vorausgehe
, während das Allwirkliche diefe Gefetze erft zur
Erreichung feiner Zwecke gegeben hat. Alle empirifchen
Unterfuchungen führen zu mehreren möglichen Erklärungsgründen
; unter diefen find die verwerflich, welche
gegen das fittliche Bedürfnifs ftreiten. Die mechanifche
Weltauffaffung hat ihre Berechtigung; aber fie ift als
Glied in die übergeordnete fittliche Weltanfchauung aufzunehmen
und ihr da der Schauplatz ihrer Thätigkeit
anzuweifen.

Der Raum verbietet, weiter die Aufgabe des Wiffens
darzutlcllcn und fein Verhältnifs zum Glauben. Bei der
Bedeutung, welche Lotze für das chriftliche Denken bereits
gewonnen hat und noch weiter gewinnen wird, kann
man dem Verf. für feine werthvolle Arbeit nur dankbar
fein. Sie ift verftändlich und fliefsend gefchrieben und
erleichtert dem Anfänger das Eindringen in die Grund-
anfehauungen Lotze's fehr erheblich.

Herborn. D. Sachfsc.

Veeck, Pfr. Dr. ()., Darstellung und Erörterung der religionsphilosophischen
Grundanschauungen Trendelenburgs. Ein

Beitrag zur Würdigung Trendelenburgs. Gotha, Bohrend
, 1888. (93 S. gr. 8.) M. 2. —

Von der Ueberzeugung durchdrungen, dafs Trendelenburg
mehr Beachtung verdiene, als er fie bisher gefunden
, verflicht Verf., feine religionsphilofophifchen

1 Grundanfchauungen auf Grund feines philofophifchen
j Syftems darzulegen. Benützt hat er dazu die logifchen
Unterfuchungen, die kleinen Schriften, die Beiträge zur
Philofophie und forgfältig gefchriebene Collegienhefte.
Die Darftellung gliedert fich in vier Abfchnitte: 1) die
Religion nach ihrer fubjectiven Begründung und nach
ihrer objectiven Stellung im Syftem des Wiffens; 2) vom
Wefen Gottes; 3) die Gcfchichtc der Religion; 4) Vergleich
mit Kant, Pichte, Sendling, Hegel und Schleiermacher.
Es fehlt hier an Raum, den reichen Inhalt der Schrift
gebührend darzulegen; nur einzelne Punkte können hervorgehoben
werden. Wenn Tr. die Bewegung als den
Begriff hinftellt, aus dem fowohl das Sein wie das Denken
abzuleiten ift, fo dürfte er feine Abficht, dadurch den
Zwiefpalt zwifchen Realismus und Idealismus zu überbrücken
, nicht erreicht haben; denn die principielle Ver-
fchiedenheit beider Bewegungen bleibt dabei unbeachtet,
ja wird verwifcht durch die Behauptung: die innere Bewegung
entfpreche der äufseren. Auch tritt bald als
I zweites Princip der Zweck auf, welcher diefe Bewegungen
leitet, und als Einheit beider wird Gott poftulirt: Bewegung
und Zweck find die Weifen feines Wirkens. An
Stelle des ontologifchen Gottesbeweifes fetzt Tr. den
logifchen: alles Denken, obwohl von den Dingen abhängig
, fetzt doch voraus, dafs alle Dinge ihm angemef-
j fen und von ihm beftimmbar feien; hat alfo die aprio-
j rifche Gcwifsheit, dafs dem Denken und den Dingen ein
j gemeinfamer Urfprung fei. Auch den teleologifchen Be-
I weis hält Tr. aufrecht, da er glaubt, in der Natur zweck-
: volles Walten nachweifen zu können. Doch bekomme die
Teleologie erft durch die Moral ihren Inhalt. Bei alledem
ift der Philofoph davon durchdrungen, dafs er Gott
nur poftulire, nicht finde. Allein die Religion gebe, was
die Philofophie fuche, allein der Glaube erhebe Gemüth
und Willen zu ihm.

Bezüglich des Begriffs der Religion verfährt Tr. em-
pirifch: fie ift nichts theoretifches, ift auch nicht aus der
Sittlichkeit abzuleiten, da fie früher ift als diefe; fondern
fie ift Affiect, genauer: das durch Vorftellung einer über-
menfchlichen Macht bedingte Fürchten und Hoffen des
I Menfchen. Die abergläubifchen Vorftellungen werden
durch den Begriff der Einheit, die unreinen durch die
fittlichen Begriffe überwunden. Andererfeits beruht alle
Sittlichkeit auf Ehrfurcht vor dem Göttlichen; denn das
Gewiffen ift die Selbftbeziehung auf das Göttliche. Auf
I diefen Grundbegriffen conftruirt Verf. die chriftliche Re-
j ligion als die vollkommene Einheit des Menfchlichen und
Göttlichen und verbreitet fich über die Gefchichte des
Chriftenthums, über Katholicismus und Proteftantismus,
über Staat und Kirche und andere Zeitfragen.

Wir dürfen dem Verf. dankbar fein, dafs er die Grundanfchauungen
Tr.'s aufs Neue in Erinnerung ruft, der als
chriftlicher Philofoph hohe Anerkennung verdient und
als geiftesmächtige Perfönlichkcit in dem Andenken feiner
vielen Schüler lebt. Darfteilung und Stil des Schriftchens
verdienen Lob.

Herborn. D. Sachfse.

Hettinger, Prof. Dr. Frz., Lehrbuch der Fundamental-
Theologie oder Apologetik. 2. verm. u. verb. Aufl.
Freiburg i/Br., Herder, 1888. (XV, 926 S. gr. 8.)
M. 12.— ; geb. M. 13.75.

Die 1. Auflage des vorliegenden Werkes vom Jahre
1879 hat Ref. bereits in diefen Blättern Jahrgang 1880
Nr. 24 befprochen. Sein dort abgegebenes Urtheil abzuändern
ift ihm durch die nunmehr erfchienene 2. Auflage
kein Anlafs gegeben. Der Verf. felbft bekennt im
Vorwort, dafs die 2. Auflage keine wefentliche Aenderung
erfahren hat. So geht fein Werk noch einmal in der
alten Geftalt aus, und der Verf. hat fich nicht veranlafst

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