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Ausgabe:

1888 Nr. 18

Spalte:

457-461

Autor/Hrsg.:

Zezschewitz, Gerh. v.

Titel/Untertitel:

Die Christenlehre im Zusammenhang 1888

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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457

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 18.

45«

Natur. Wenn neuerdings, auch von chriftlich gcfinnten
Schriftftellern, Rouffeau wiederholt als ein Mann hinge-
ftcllt worden ift, in welchem (ich mit revolutionären Ideen
reformatorifche verbunden, als ein beredter und begeifter-
ter Anwalt der natürlichen Rechte des Herzens, des
religiöfen Elementes im Menfchen und im Leben des
Volkes, fo ift dem gegenüber vorliegende Parallele von
befonderem Werth, weil fie den beftcchenden Schein folcher
Ausführungen Rouffeau's zerftört, denen jeder tiefere
fittlichc Hintergrund fehlt und die durch den Glanz hin-
reifsender Beredtfamkeit, durch die Schminke eines horchten
Pathos nur defto verführerifchcr wirken. Vielleicht
hätte noch näher gezeigt werden können, wie im fchärf-
ften Contraft zu der auguftinifchen Anfchauung in Rouffeau
, dem leidenfehaftlichen Prediger von der natürlichen
Unfchuld, der Pelagianismus feine Spitze gefunden, und
wie zerftörend er gerade damit auf die Gefellfchaft gewirkt
, nicht minder, wie gegenüber der durch und durch
fubftantiellen Denkweife eines Auguftin Rouffeau die
atomiftifche Anfchauung vertritt. Wenn der Verf. in der
gegenwärtigen Theologie und Kirche die myftifchen Elemente
im Geifte eines Auguftin vermifst, und, können
wir hinzufügen, im Geifte Luther's, deffen reformatorifche
Anfchauung in der lauterften Myftik wurzelt, fo können
wir ihm, das Wort Myftik recht verftanden, darin nur
beiftimmen.

Wie wenig die Aefthetik im Stande ift, dauernde
Bande der Freundfchaft zu knüpfen, wenn das ethifche,
auf religiöfem Grund ruhende Element fehlt, wird in dem
fünften Artikel: ,äfthetifche Freundfchaften' an den Freund-
fchaften von Klopftock und Bodmer, Vofs und Stollberg,
Goethe und Herder in licht- und lebensvoller Weife gezeigt
. Das Mufterbild einer äfthetifchen Freundfchaft
freilich in der von Meiftcr Rietfchel mit fo finniger Plaftik
verherrlichten Freundfchaft zwifchen unfern beiden Dichterheroen
Goethe und Schiller ift zwar durchaus von fitt-
lichem Geifte, vom Geilte gegenfeitiger tiefer fittlicher
Hochachtung getragen, entbehrt aber doch des religiöfen
Hintergrundes. Sehr wohl thut die lebhafte Würdigung
des mit Unrecht faft vergeffenen Klopltock.

Das Befte, die Krone der reichen Gaben, die der
Verf. in diefer Sammlung bietet, nennen wir zuletzt: es
ift der mächtige, in feiner Anlage fo einfache und doch
gerade darin fo kunftvolle, in feiner Ausführung reiche,
von Sonntagsweihe und Sonntagspoefie durchhauchte,
bekannte Vortrag, den der Verf. feiner Zeit auf dem Con-
grefs für innere Miffion in Dresden gehalten hat: ,Der
Sonntag und das deutfehe Volk'.

Dresden. Meier.

Zezschwitz, Prof. Dr. Gerh. v., Die Christenlehre im Zusammenhang
. Ein Hilfsbuch für Religionslehrer und für
reifere Confirmanden. 4 Abtlgn. Leipzig, Hinrichs.
(gr. 8.) M. 13.—; 4 Einbde. ä M. I. — j in 1 Bd. geb.
M. 15.—

Inhalt: 1. Die 10 Gebote und der 1. Glaubensartikel. 2. Aufl.
1883. (XI, 232 S ) M. 3. —. — 2. Der 2. und 3. Glaubensartikel
. 2. Aufl. 1884. (IV, 420 S.) M. 5.60. — 3. Die Gnadenmittel
-Lehre. 2. Aufl. 1885. (216 S.) M. 3.—.— 4. DasVater-
Unfer. Hrsg. von Pfr. G. v. Zezfchwitz. 1888. (VIII, 123 S.)
M. 1.40.

Es ift dem heimgegangenen Meifter der Katechetik
nicht befchieden gewefen, diefes Werk, an dem er fichtlich
mit befonderer Liebe und Hingebung gearbeitet hat,
fclblt zu Finde zu führen. Von der vierten Abtheilung
hat er nur die drei erften Bitten des Vater Unfers noch
für den Druck fertig gearbeitet. Für das Weitere mufste
der Sohn in die Lücke treten. Dcmfelben lagen als
Material ein aus dem Jahre 186061 ftamendes Collegien-
heft und einzelne in den Acten des katechetifchen
Seminars zu Erlangen vorgefundene Skizzen vor. Letztere
in erfteres, das knapp gehalten war, einzuarbeiten,
war die nicht fehr leichte Aufgabe des Sohnes, der
diefe Aufgabe in fo pietätsvoller Weife gelöft hat, dafs
das ganze Werk fich als das Werk feines Vaters auch
in diefem letzten Bruchtheil darbietet und kennzeichnet
, und nur äufserliche Spuren darauf weifen, dafs der
letztere nicht mehr von der Hand des Vaters ausgeführt
worden ift, fofern ftellenweife der dem Vorlefungs-
manufeript felbftverftändlich natürliche und geziemende
lehrhafte Ton hier weit mehr hervortritt, als in den
vom Verf. felbft für den Druck bearbeiteten Partien,
in welchen der Theologe und Gelehrte wirklich und
nicht zum Schaden der Sache zum ,Kinderlehrer' wird.

Das nunmehr abgefchloffene Werk ift aus der Liebe
zu Luther's kleinem Katechismus herausgeboren; es will
,in freier Gedankenbewegung reproducirend den Stoff des
kleinen lutherifchen Katechismus entwickeln' (S. 26).
Wie der kleine Katechismus Luther's ,aus der unmittel-
barften Anfchauung des Volksbedürfnifses in der Vifita-
tion' entftanden ift, wie er nach Stoffwahl und innerer
organifcher Anordnung des katechetifchen Stoffs ,nur den
krönenden Abfchlufs einer inftinetiven, jahrhundertelangen
Vorarbeit für diefen Zweck' darfteilt, fo ift er unter allen
Confeffionskatechismen der einzige, der in der Folge der
Hauptftücke das ,vollreformatorifche Verftändnifs der
Aufgabe' bewährt. Denn ,dafs Luther die zur Seligkeit
nothwendigen Stücke fchlechthin als folchc nebeneinander
geftellt und formell in keiner Weife ein fyftema-
tifches Lehrganze zu geben fich beftrebt hat, gerade das
bewährt feinen originalen Beruf als Lehrer des Volkes
und der Einfältigen'. ,Ganz in folcher Form befitzt das
Kind wie das Volk feine Erkenntnifse, und nur darauf
kommt es an, dafs die „ftückweife" Plrkenntnifs einePcilge
und Verbindung aufweift, die als innerlich organifche
bezeichnet werden darf. Und eine folche weift der
Katechismus Luther's auf, wie Luther felbft andeutet,
wenn er fagt, dafs ein Chrilt, der feiig werden will, pueril
wiffen müffe, was feine Krankheit fei; dann wo die
Arznei zu finden, endlich wie fie zu holen fei und gegeben
werde'. Der Mangel an Syftematik im formellen
Sinne kann dem luth. Katechismus nur von denen vorgeworfen
werden, die nicht unterfcheiden können oder
wollen zwifchen gemeindemäfsiger Heilserkcnntnifs und
fchulmäfsig theologifcher Lehrform. Wer diefen Unter-
fchied kennt, insbesondere durch die Praxis in feinem ganzen
Gewichte kennen gelernt hat, dem wird es nicht einfallen
, aus diefem ,Heilswege voll Geift und Leben, aus
diefem wahren Compendium aller Heilsgefchichte' eine
Dogmatik und Schulweife der Lehre zu machen oder
fich an die Stelle diefer ,Heilserkenntnifs in volksthüm-
licher und kindesgemäfser Form' einen neueren, fyfte-
matifcheren Katechismus zu wünfehen.

Aus diefer Anfchauung von der Clafficität des luther'-
fchen Katechismus und feiner völligen Sufficienz für den
Heils-Unterricht ergiebt fich für von Zezfchwitz des näheren
die Aufgabe, beziehungsweife die Gebundenheit fo-
wohl wie die Freiheit des Katecheten gegenüber vom Katechismustext
.

Wird die FTagc, ob Luther's Text für fich als .Vorlage
und Norm einer nach den Grundfätzen eigentlicher
F.xegefe vorfchreitenden Auslegung zu behandeln, fei,
beziehungsweife ob damit zugleich der Gefammtaufgabe
des religiöfen Volksfchul-Unterrichts nach feiner lehrbegrifflichen
Seite genügt werde, bejaht, fo ergiebt fich
daraus für den Katecheten die Forderung, lieh inhaltlich
und formell an den Katechismus-Text anzufchliefsen, diefen
felbft entwickelnd zu reproduciren, bei den Einzeldefinitionen
fich fchon durch den Ideenzufammenhang
des ganzen Katechismus und durch die von Luther felbft
gegebenen Winke beftimmen zu laffen, um die Begriffe
klar und fcharf zu beftimmen und untereinander felbft
in correlate Uebereinftimmung zu bringen. Beifpielsweife
führt von Zezfchwitz die Begriffe ,fürchten, lieben, ver-