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Ausgabe:

1888 Nr. 18

Spalte:

456-457

Autor/Hrsg.:

Kögel, Rud.

Titel/Untertitel:

Ethisches und Aesthetisches 1888

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 18.

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Abkürzungen wie Cptzz, Splt etc. dürften doch nicht
Jedem auf den erften Blick gleich verftändlich fein.

Oberrad. Enders.

Doleschall, Pfr. E. A., Eine aufgefundene Luther-Reliquie.

Nach dem im Generalarchive der evang. Kirche in
Ungarn befindlichen Original in Druck gelegt. Buda-
peft, Hornyänssky, 1887. (42 S. 8.) M. —.80.

Die hier veröffentlichte Luther-Reliquie ift ein diplo-
matifch genauer Abdruck der Original-HandfchriftLuther's
von feiner Auslegung des 109., refp. 110. Pfalms: Dixit
dominus domino meo (Erl. 40,5 ff.; Weimar. I, 685 ff).
Luther hat diefe Auslegung auf Andrängen feines damaligen
Freundes, des Nürnberger Juriften Chriftoph
Scheurl, dem Nürnberger Lofunger Hieronymus Ebner
gewidmet, die Widmung aber nicht felbft verfafst, fondern
durch Spalatin verfaffen laffen (vgl. meinen Briefw.
Luther's Nr. 47. 54), der wohl auch den Druck beforgte.
Nach diefem Druck allein kannten wir bisher diefe Schrift.
Aus der vorliegenden Veröffentlichung ergiebt fich nun,
dafs nicht nur Spalatin manche gröfsere und kleinere
Textesänderungen vornahm, feiten verbeffernd, dagegen
oft durch Wortumftellungen die Lebhaftigkeit der luther'-
fchen Diction abfchwächend, fondern auch dafs der Setzer
manche Wörter falfch las, diefe Fehler ftehen blieben
und fich fo von einer Ausgabe zur andern bis in die
heutigen Sammlungen der Werke Luther's fortfchleppten.
Als fignificante Beifpiele für das Letztere greifen wir
einige Stellen aus der Erklärung des 3. Verfes heraus.
Erl. S. 12 heifst es: ,Und das ift die Ruth, die man
malet aus dem Munde Chrifti gehen, auf dem Regenbogen
fliefsen', während es ,fitzend' heifsen mufs; S. 15:
.unter die Dörnen und Feind hab ich gelegt dein Ruthen',
lies: ,Reich'; S. 16: ,Diefe thun nit wie die Bigharden
aus Böhem, die geiftlichen, güten, und elende Ketzer',
lies: ,die geiftlichen Juden', u. f. w. Zufätze Spalatin's,
welche alfo zu ftreichen find, find die Inhaltsangaben vor
den einzelnen Verfen. — Dafs der Herausgeber die echte [
Handfchrift Luthers vor fich hatte, kann nach dem photo-
lithographifchen Probeblatt (Schlufs von V. 4 und Anfang
von V. 5) keinem Zweifel unterliegen. Diefcs Probeblatt
ermöglicht uns aber auch ein Urtheil über des
Herausgebers Gefchick im Lefen, und Ref. kann in diefer
Hinficht bezeugen, dafs die nicht immer leicht zu lefende
Schrift im Ganzen richtig entziffert ift. In dem Facfimile '
lefe ich gegen Dol. nur zweimal ,gleuben' ft. glauben, ferner
,defste' ft. defsto, ebenfo ,defs' ft. dafs [defs adder difs
ordens), dann aber auch in Uebereinftimmung mit den
feitherigen Ausgaben (Erl. S. 26, Z. 4) ,als oben berurt'
(= wie oben angezeigt) ft. berufen, welch letzteres auch
keinen Sinn gießt. Auch Erl. S. 25, Z. 8 möchte ich aus j
der hier allerdings fehr undeutlichen Handfchrift doch
,fleyfchlich Vormeffen der Juden' ft. fleysslich, heraus-
lefen. Im Uebrigen ift mir nur Eine Stelle aufgefallen, |
an welcher fich der Herausgeber verlefen zu haben fcheint.
Erl. S. 16, Z. 25 lautet bei Dol.: ,Vnnd das heifst redlich
herfchenn vnnd den feynd. das heifst geiftlich feynd
vnderdrucken'; die Handfchrift aber durfte wohl haben:
,vnnd' den feynd,', d. h. unter den Feinden.

Intereffant ift es auch, dafs der Hrsg. nachweifen
kann, auf welche Weife diefes Manufcript fich nach Ungarn
verirrt hat und dort in das Generalarchiv der evang.
Kirche in Budapeft gekommen ift. Es war im vorigen
Jahrhundert im Befitz eines Pfarrers Reinhart in Vohen-
ftraufs bei Amberg — wie es an diefen kam, ift freilich
unbekannt —, der es 1743 dem Raritätenfammler Szekely
fchenkte, welcher als öfterreichifcher Officier den erften
fchlefifchen Feldzug in Deutfchland mitmachte, dabei
Reinhart kennen lernte, welcher dem eifrigen Proteftanten I
mit diefer Handfchrift ein exiguum vilcquc munusetdum in
sui' memoriam darbot. Aus Szekely's Nachlafs erftand 1779

Nie. v. Jankovitfch mit dem, ebenfalls von Dolefchall
früher fchon veröffentlichten Original von Luther's Tefta-
ment auch diefe Handfchrift und fchenkte fie dem Generalarchiv
.

Oberrad. Enders.

Kögel, Oberhofpred. etc. Dr. Rud., Ethisches und Aesthe-

tisches. Vorträge und Betrachtungen. Bremen, Müller,
1888. (VII, 172 S. 8.) M. 2.40.

,Ethifches und Aefthetifches' — wie es in dem Gott
der Heiligkeit und der Herlichkeit feinen letzten und tief-
ften Einheitsgrund hat, wie es in urbildlicher Vereinigung
in Chrifto, dem Abglanz der Herrlichkeit Gottes, dem
Typus heiliger Schönheit verkörpert ift, und wie es fich
im Bild eines echten Chriftenlebens wiederfpiegeln foll,
fofern das höchfte Ziel chriftlicher Heiligung ift, dafs
Chriftus im Chriften Geftalt gewinne, fo ift es auch in
diefem Buche vereint. Der Titel, den diefe Sammlung
von Vorträgen und Auffätzen führt, ift nicht zufällig; er
ift charakteriftifch für die Schrift fowohl rückfichtlich ihrer
Form, als ihres Inhalts. Die an dem Verf. bekannte edle
und fchöne Form macht doch keinen einfeitig äfthetifchen
Eindruck, fie nimmt nicht für fich eine Geltung in An-
fpruch, fie dient nicht einer rhetorifchen Virtuofität, und
auch, wo die lebhafte Phantafie des Verf. die Gedanken
in ein glänzendes Gewand reicher Bilderfprache kleidet,
ift doch das Bild nie blofse Ornamentik, fondern was es
fein foll: in Anfchauung getauchter Gedanke; die Form
hat ein fittliches Gepräge, von fittlichem Pathos und von
energifcher Zucht des Gedankens getragen.

Die Verbindung des Ethifchen und Aefthetifchen ift
auch im Inhalt durchaus erfichtlich. Der zweite unter den
fünf Auffätzen, bez. Vorträgen, die hier gefammelt find,
beruht durchaus auf diefer Verbindung. Er handelt von
der Phantafie als ,religiöfem Organ', die ihren Regulator
, ihr Correctiv im Gewiffen hat, durch das allein
der rechte Weg zum Glauben führt. Mit Recht hebt der
Verf. diefe ethifche Seite der Religion nachdrücklich
gegenüber Jenen hervor, die von der Poefie eine religiöfe
Erweckung erwarten. Unter diefen gedenkt der Verf.
auch mit warmen Worten Jean Paul's. Der Wahn diefes
Dichters, dafs die Aefthetik der Religion einen neuen
Schwung verleihen foll, hat fich auf demfelben Boden,
auf dem diefer edle Geift geweilt, in Richard Wagner
fortgefetzt. Ob dies an der Bayreuther Luft liegt? Vortrefflich
ift die Illuftration des Gcgenfatzes zwifchen einer
vom Gewiffen gezügelten, vom Worte Gottes normirten
und zwifchen einer willkürlichen, excentrifchen Phantafie
durch die Parallele von Luther und Loyola.

Der dritte Vortrag: ,die Kunft in ihrer erziehenden
Bedeutung für das Leben des Volkes' geht
fcharf ins Gericht mit den Künftlern, die fchamlos genug
für fich das traurige Privilegium in Anfpruch nehmen,
fich von der Moral zu dispenfiren, und zeigt in anmuthi-
gem, lehr- und genufsreichem Spaziergang durch den
Bluthengarten der Kunft, wie echte, mit dem Chriften-
thum wahlverwandte, vom Chriftenthum bereicherte und
beherfchte Kunft eine fittlich erziehende Macht ift im
Gegenfatz zu der Afterkunft, die ihre Stärke in der
,Mache' hat und die nicht eine Verklärung der Wirklich
keit, fondern nur eine geift- und ideenlofe Copie der-
felben ift.

In dem vierten Auffatz ,Auguftin und Rouffeau
nach der Parallele ihrer Bekenntnifse' wird mit
tief eindringender Schärfe und grofsem Ernfte der ungeheuere
Gegenfatz aufgedeckt zwifchen den Confeffionen
eines Auguftin, diefer grofsartigen Beichte mit ihrem gewaltigen
Selbftgericht vor Gottes Richterftuhl, und zwifchen
den Confessions eines Rouffeau, diefer widerlichen
Selbftbcfpiegelung und Selbftberäucherung einer fittlich
halt- und wurzellofen, durch und durch eitlen, unreinen