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Ausgabe:

1888 Nr. 18

Spalte:

453-455

Autor/Hrsg.:

Dommer, A. v.

Titel/Untertitel:

Lutherdrucke aus der Hamburger Stadtbibliothek 1516-1523 1888

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 18.

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fein brütender Scharffinn und feine Sucht, alles auf die
Spitze zu treiben, nicht feiten auf Wege verführen, auf
denen ihm kein befonnener Exeget nachfolgen kann.

Friedberg i. Heff. Weiffenbach.

Dommer, A. v., Lutherdrucke auf der Hamburger Stadtbibliothek
1516 —1523. Leipzig, Grunow, 1888. (V,
277 S. gr. 8.) M. 10.—

Die Hamburger Stadtbibliothek ift nach der königlichen
Bibliothek in Berlin und der Hof- und Staats- j
bibliothek in München wohl eine der reichhaltigften an
Lutherdrucken. Die auf derfelben aus den Jahren 1516 .
bis 1523 in 405 Nummern befindlichen 213 Schriften
Luther's hat v. D. in vorftehendem Werke chronologifch
zufammengeftellt und bibliographifch befchrieben, nachdem
er bereits 1885 in den Mittheilungen aus der Hamburger
Stadtbibliotliek H. II. die Lutherdrucke von 1516
bis 1519 in 87 Nummern in gleicher Weife behandelt
hatte. Diefe frühere Veröffentlichung ift im grofsen
Ganzen in die neue Arbeit wörtlich mit aufgenommen, J
einige Verbefferungen beigebracht, Manches, z. B. der |
polemifche Abfatz gegen Kelchner (die Luther-Drucke
zu Frankfurt a. M.) weggelaffen. — Es find weder alle j
Schriften, noch alle einzelne Ausgaben aus diefen Jahren,
die hier zur Befprechung kommen; aber gerade diefe ,
Befchränkung auf das ihm ftets zur Hand feiende Material
hat es dem Verf. ermöglicht, in diefem engeren Kreife Vor- [
zügliches zu leiften und fo für die vorausfichtlich erft einer
fpäteren Zeit vorbehaltene vollftändige Bibliographie
Luther's einen werthvollen Beitrag zu liefern. Die Be-
fchreibung felbft ift ein Mufter von Akribie und foweit
es Ref. möglich war, Stichproben anzuflehen, bis auf die
kleinfte Kleinigkeit, felbft bis auf einen umgekehrt flehenden
Punkt genau. Wenn man die 1805 erfchienenen
Annalen Panzer's, ja felbft das 1864 erfchienene Reper-
toriuiu lypographicum Weller's oder die 1883 herausgegebene
BtbUothtca Lntkerana der Beck'fchen Buchhandlung
in Nördlingen neben v. D. legt, erkennt man
den Fortfehritt in diefem Werke gegen feine Vorgänger, j
Dennoch ift es nicht blofs diefe Genauigkeit und Zuver-
läffigkeit der Titelwiedergabe, was von D.'s Arbeit auszeichnet
; ebenfo fchätzbar find die Refultate der Unter-
fuchungen, welche er über die Originalausgaben, über die
Beftimmung der Drucke, welche kein Impreffum haben
u. f. w., angefleht. Nur bei fieben Schriften von den
405 Nummern mufs er den Drucker als unbekannt bezeichnen
, während er für die anderen: 43 Drucker in 14
Städten, bei zwei Schriften wenigftens den Druckort nachweift
. Dazu kommt noch eine Reihe von Perfonalnotizen
über einzelne Buchdrucker, z. B. gleich bei Nr. 1 über Joh.
Grunenberg, Viridimontanus,deffen Abftammung aus Grünberg
in Schlehen und eigentlicher Name, Deckerer' nachge-
wiefen wird; vgl. ferner die an verfchiedenen Orten (bef.
Nr. 374) befindlichen Nachweife für das Beliehen einer
Druckerei des Malers Luc. Cranach u. f. w. — In gleicher
Weife dankenswerth ift am Schlufs das Vcrzeichnifs der
Ornamente, und zwar fowohl der Bilder als der Titclbor-
düren, welche fo genau befchrieben find, dafs fich daraus auch
für andere Schriften in vielen Fällen der Drucker leicht
feftftellen läfst. — Von und zu Einzelnem bemerken wir:
Nr. 1. Der Landsmann des Joh. Grunenberg, nämlich
Nicolaus Viridimontanus, unter deffen Rectorat Luther
in Wittenberg inferibirt wurde, hiefs eigentlich Nie. Fabri,
und ftarb 1516 als tlicologiac professor. — Nr. 30. Für die
in den Actis Augustanis 1518 von der Cenfur gefchwärzte
Stelle ift jetzt nicht mehr auf Knaake's verfuchte Entzifferung
in der Weimarer Ausgabe v. Luth. WW. II, 3
zu verweilen, fondern auf den Abdruck der Stelle, welchen
Buchwald nach dem wohl einzigen der Cenfur entgangenen
, auf der Zwickauer Bibliothek befindlichen
Exemplar in den Stud. undKrit. 1888, 166 mitgetheilt

hat, was v. D. Vorr. II. wohl nachträglich erwähnt, ohne
jedoch beizufügen, dafs der Originaltext ein wefentlich
anderer, als der von K naake conjecturirte ift. — Nr. 223 ff.
Auf diefe Nummern, welche die Schriften über die Verhandlungen
mit Luther in Worms enthalten, möchten wir
befonders aufmerkfam machen. Bekanntlich ift es llreitig
(vgl. Köftlin, Luth. 3. Aufl. I, S. 800 u. S. 453), ob und
in welcher B"orm Luther die Worte: ,Hier fleh ich, ich
kann nicht anders, Gott helf mir, Amen!' gefprochen.
Aus den v. D. angeführten Drucken ergiebt fich nun,
dafs bereits das ältefte, fowohl lateinifch als deutfeh bei
Grunenberg erfchienene und wohl durch Spalatin ver-
anlafste Flugblatt die Worte in der Form hat: ,Ich kann
nicht andern, hie flehe ich, Gott helf mir, Amen!' (alfo
nur Satz 1 und 2 umgcftellt), dagegen erft Strafsburger
und Augsburger Nachdrucke mit Weglaffung der beiden
erften Sätze blofs die Worte: ,Gott helf mir', oder: ,Gott
kumm mir zu Hülf, Amen. Da bin ich!' haben. — Nr. 300
ift der Nachweis intereffant, den v. D. unter Bcrathung
von Bertheau erbringt, dafs von der Kirchenpoftille
der Weihnachtsthcil vor dem (deutfehen) Adventstheil
erfchienen fei, und Luther erft im November 1522, nachdem
der Weihnachtsthcil fertig gedruckt war, fich an
die Neubearbeitung der im März 1521 erfchienenen la-
teinifchen Adventspoftille gemacht habe, wodurch es
auch erklärlich wird, dafs der Nachdrucker Adam Petri
in Bafel, nachdem er vergeblich auf die deutfehe Adventspoftille
Luther's gewartet, die Weihnachtspoftille mit
der wahrfcheinlich vonLeoJudä verfertigten Ueberfctzung
der lateinifchen Adventspoftille zufammen ausgehen liefs.
— Nr. 345. ,Urtayl d. M. Luther . . von Erasmo Rot.
Ain Chriftlicher Sendbrieff Doct. M. L. an Doct. Wolfg.
Fabritium Capitonem....' (deutfeheUeberfetzung derBriete
Luther's an Börner, 28. Mai 1521 und an Capito, 17. Jan.
1521) ift (gegen Panzer Nr. 1323, welcher das Jahr 1522
hat) richtig ins Jahr 1523 geftellt, ebenfo ift der Druckort
,Strafsburg' richtig vermuthet, wenn auch v. D. den
Drucker nicht kennt. Nach einem noch unedirten Briefe
Capito's (?) vom 30. Juli 1523 war der Drucker Wolfg.
Cephalacus (Köpffcl), ein Verwandter Capito's, den wahrfcheinlich
der Capito nicht befonders wohlwollend gefilmte
Gerbel in Strafsburg veranlafst hatte, ohne Vor-
wiffen Capito's diefen für ihn ungünftigen Brief Luther's
zu drucken. — Nr. 380. Bei der Rcsponsio Brismann's
ad Gasp. Sckatzgcyri plicas ift v. D. im Zweifel, ob das
von ihm benutzte Exemplar nicht ein zufammengeftop-
peltes fei, weil auf die Signaturen a und b die Signaturen
C—G folgen, obgleich fich der Text richtig an-
fchlicfst. Allein in dem dem Ref. vorliegenden Exemplar
ift ganz dasfelbe der Bali, fo dafs alfo der Wechfel von
Minuskeln und Majuskeln von dem Drucker felbft herrührt.
Jene Ausgabe wird auf dem Titel, allerdings fehr mit
Unrecht, als ,correctus et adauetus1 bezeichnet; fie ift alfo
die zweite (Original-) Auflage — abgefehen von den vor
ihr erfchienenen Nachdrucken, z. B. Nr. 381, der erften
Auflage — der bei Nie. Schirlentz in Wittenberg gedruckten
Schrift. Da nun Luther an Brismann fchreibt:
7m/s libelh/s apud nos denuo exeuditur, und diefer Brief
bei de Wette II, 589 ohne Datum, vor den 4. Juli, nach
Cöffack, Speratus S. 30 vor den 16. Mai 1524, jedenfalls
aber in das Jahr 1524 zu fetzen ift, fo fcheint mir
die angeführte Nummer, obgleich fie die Zahl M. D.
XXIII. auf dem Titel trägt, nicht mehr ins Jahr 1523,
fondern erft ins Jahr 1524 zu gehören.

Zum Schlufs mufs Ref. den Wunfeh ausfprechen,
dafs es dem Verf. gelingen möchte, das Curatorium der
Averhoff'fchen Stiftung in Hamburg, welches ihm die
Veröffentlichung diefer Arbeit ermöglichte, auch fernerhin
für feine Lutherbibliographie zu intereffiren, damit
er bald in der Lage fei, uns mit der Fortfetzung feiner
Arbeit zu erfreuen; dann möge er aber ein Verzeichnifs
der von ihm gebrauchten Abkürzungen vorfetzen, denn