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Ausgabe:

1888

Spalte:

449-453

Autor/Hrsg.:

Otto, Carl Wilhelm

Titel/Untertitel:

Commentar zurm Römerbrief. I. Teil 1888

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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449

Theologifchc Litcraturzeitung. 1888. Nr. 18.

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Otto, Confift.-Rath Dr. Carl Wilh., Commentar zum Römerbrief
. 1. Theil. Glauchau, Pefchke, 1886. (VIII, 462
S. gr. 8.) M. 9.—

Die Bedeutung des genannten Commentars, deffen
1. Theil (cp. 1 — 7) hier zunächß in Betracht kommt, liegt
faft ausfchliefslich nach der exegetifchen Seite hin,
während in demfelben die einleitenden Fragen (auf
S. I—35) verhältnifsmäfsig fehr kurz abgethan werden
und auch nach des, Ref. Anficht keine nennenswerthe
Förderung erfahren. Wenn z. B. der Verf. meint, dafs
,alle Befiandtheile des Briefes von P. herrühren und
fämmtlich am rechten Orte ftehen1 (S. 3), fo wider-
fpricht fich hinfichtlich des zweitbehaupteten Punktes der
Verfaffer, der die Doxologie 16, 25—27 .hinter cp. 14,
23' (S. 30) gefetzt fehen will, nicht nur felbft, fondern
diefe Behauptung wird auch dem als ganz unmöglich
erfcheinen, der nur mit einiger Aufmerkfamkeit Weiz-
fäcker's (Apoftol. Z. A., S. 332 — 335; 344—351; 633)
fchlagende Auseinanderfetzung über Rom. 16, I—23,
als einen von Korinth aus gefchriebenen urfprünglichen
Empfehlungsbrief für Phoebe an die Gemeinde zu Ephe-
fus, gelefen hat. Ebenfowenig befriedigend — und
noch dazu in innerem Widerfpruch Behend — ift das
über die Stiftung der römifchen Gemeinde oder .beffer
die Verpflanzung der chriftlichen Gemeinde nachRom'
(S. 10) Vorgetragene. Während nämlich der Verfaffer
auf S. 7 f. als Stifter einen — zwar nicht vom Apoftel
,approbirtcn', aber von feinem Miffionstrieb befeelten —
Pauliner annimmt, der ,auf Grund des allerhöchften Orts
{sie!) fanetionirten Heidenapoftolats und in Unterordnung
unter denfelben' die Gemeinde zwifchen 45—50 gründete
, widerfpricht er auf S. 10 fich felbft und hält jetzt
dafür, dafs ,die Gemeinde zu Rom nicht durch Mifiion
gehaftet, fondern aus einem Grundftock von eingewanderten
Paulinern gebildet worden ift, welchem
fich die durch ihr Bekenntnifs gewonnenen Heiden an-
gefchloffen haben'. Wie aber, fragt man unwillkürlich,
(fand es bis 50 p. Chr. und weiterhin zu Rom mit den doch
gewifs nicht fehlenden Chriften aus dem Judenthum?
Die Antwort Otto's (S. 14, 18,20) lautet: Die rein aus
Heiden beftehende Gemeinde vermied — ihrenUrfprungs-
verhältnifsen entfprechend — Jede Berührung mit Nationaljuden
'. Erft kurz vor Abfaffung unferes Briefes
begehrten aus dem Orient zugezogene chriftgläubige
Juden .Anfchlufs an die römifche Chriftengemeinde',
ohne doch in deren Gemeindeverband .aufgehen' zu
wollen. Allein, wegen des Widerwillens derj heiden-
chriftlichcn .Altgemeinde' gegen die Aufnahme kam es
vorläufig zu keiner Vereinigung, und die .Paläffinenfer'
bildeten nun — unter Führung des Aquilas, vgl. Rom.
16, 5: dandoaaO-e zijV xax oiv.ov avxiijv, sc. des Aqu.
und der Priscilla, ixv.).roluv — eine befondere Gemeinde
'. Da demnach 59 p.Chr. eine wie immer zufammen-
gefetzte ,Ge fam mt gemeinde' noch nicht beffand, fo
wendet fich nach O. der Römerbrief ausfchliefslich an
die Altgemeinde (vgl. 1, 13; 15, 16; 16,26; II, 13). Ver-
anlafst ift aber der Brief durch den ,Conflict' der rein
paulinifchen Richtung der römifchen Altgemeinde mit
dem gefetzlichen Chriftenthum der Einwanderer aus
Paläftina; und fein Zweck ift, den Univerfalismus des
paulinifchen Evangeliums zur Anerkennung zu bringen,
um dadurch allen particulariftifchen Sonderungen hüben
und drüben ein Ende zu machen, d. h. um einerfeits
den Folgen der Exiftenz einer .paläftinenfiifchen' Sonder-
gemeinde für die Altgemeinde entgegenzutreten, an-
dererfeits die Altgemeinde zur brüderlichen Aufnahme
und geduldigen Tragung der ,Separirten' zu
beftimmen (S. 23. 25). Diefen Zweck hat der Brief
(vgl. Act. 28, 15 und die Gefangenfchaftsbriefe) auch erreicht
; ,die Auflöfung der Sondergemeinde1 und der .Eintritt
der Paläffinenfer in die Gefammtgemeinde' war feine
P"olge (S. 35). Wir müffen diefe ganze Anfchauung

I Otto's über Stiftung, bezw. Entftchung der römifchen
1 Gemeinde, richtiger: zwei Gemeinden, und demzufolge
auch über Veranlaffung und Zweck des Briefes als eine
durchaus verfehlte und unmögliche ablehnen. Sie entbehrt
nicht nur der gefchichtlichen Analogien, fondern
thut auch dem Römerbrief, der durchweg den Eindruck
der Einheitlichkeit der angeredeten Gemeinde erweckt,
fowie dem gefchichtlich erkennbaren Charakter des
Aquilas entfehieden Gewalt an, und fie richtet fich fchon
dadurch, dafs weder Act. noch die Gefangenfchafts-Brr.
1 die geringfle Spur von der Exiftenz einer .feparirten'
Gemeinde in Rom verrathen. Charakterißifch ift diefe
: Hypothefe höchftens infofern, als fie im Streit über den
wefentlichen Charakter der römifchen Gemeinde den
Satz beftätigt: Judaeum expellas furca, tarnen nsque re-
curret! Ohne die Annahme eines ftarken, wenn nicht
überwiegenden, Einfchlags des juden chriftlichen Elementes
in Rom, mit dem fich der Apoftel auseinanderfetzen
mu fste, bleibt u. E. das Bild der dortigen Chriftengemeinde
ein fchwankendes und verfchwommenes.

Auch bezüglich der .Ordnung des Inhalts' durch
Otto wäre, trotz vieler treffenden Bemerkungen im Einzelnen
, mancherlei auszuftellen. Da aber der Verfaffer
ausdrücklich darauf verzichtet, die vom Apoftel feinem
Römerbrief zu Grunde gelegte Dispofition hinzuftellen,
vielmehr nur die Ordnung geben will, .welche ihm beim
| Lefen des Briefes entgegengetreten ift' (S. 25), fo können
und wollen wir darüber nicht mit ihm rechten.

Was die .Auslegung' (S. 35—462: des fchon durch
fein Buch über ,die gefchichtlichen Verhältnifse der
Paftoralbriefe (Leipzig 1860) literarifch bekannten Ver-
I faffers betrifft, fo ift diefelbe aus Vorträgen entftanden
! und trägt auch die Spuren ihrer Entftehung — bald eine
j grofse Ümßändlichkeit und behagliche Breite der Dar-
I ftellung, bald wieder eine unberechtigte Kürze der Exe-
gefe, alfo eine gewiffe Ungleichmäfsigkeit der Er-
I örterung — unverkennbar an fich. Auch die Verwer-
j thung der exegetifchen Literatur ift eine fehr eklek-
j tifche; im wefentlichen find es faft nur einige neuere
I Commentatoren, von Hofmann, Meyer, B. Weifs,
Godet, Kloftermann (Correcturen zur bisherigen Er-
1 klärung des Römerbriefes, 1881), mit denen fich O.

Schritt für Schritt auseinanderfetzt und oft in einer die
I Geduld des Lefers auf die härtefte Probe Bellenden mi-
] nutiöfen Einzel-Erörterung hcrumfchlägt. Ja, man könnte
• feine ganze Arbeit— und zwar im Sinne des Verf.'s (S. VI)
' felbß — einen mit wefentlich grammatifchen und philo-
logifchen Mitteln unternommenen durchgreifenden Re-
vifionsverfuch gegenüber der Römerbrief-Auslegung
der zwei letzten Jahrzehnte nennen. Hierbei fpringt in
der That bei einer Anzahl der fchwierigeren Stellen ein
Gewinn heraus, da der Verf. mit grofser Gründlichkeit
und grammatifchcr wie philologifcher .Akribie' (vgl.
nur Ausführungen wie auf S. 49—51; 67 f.; 73 f.; 84 f.;
186; 270; 294; 297; 316; 438; 447—450 u. ö.) zu Werke
geht und eine anerkennenswerthe innere Unabhängigkeit
des Urtheils von herkömmlichen oder doch neuerdings
allgemein reeipirten Deutungen verräth. Des öfteren
aber auch fördern fein brütender Scharffinn und fein
WiderfpruchsgeiB ganz erfchreckliche n eue .Erklärungen'
zu Tage, bei denen man unwillkürlich mit den Leuten
im Evangelium fLuc. 5, 39; auffeufzt: ,Der alte iß
milder'!

Nur einige wenige Belege wenigßens für jenes Lob
fowohl als diefen Tadel feien aus des Ref. reichlichem

I Vorrath ausgewählt. Durchaus richtig iß, dafs 1, 16 extr.

j durch die Formel 'hn<Salq> xe. notutov *Ui"E1Xrjvf nicht
einfach Gleichmäfsigkeit oder gar Gleichwerthigkeit
(geg. Kl.), fondern die Zufammengehörigkeit von J.

I und H. in Bezug auf den Heilsempfang ausgefagt wird,
an welcher Zufammengehörigkeit nichts geändert wird,

| wenn die Juden dabei zuerß kommen (S. 85). Sehr

! Beachtenswerthes hat O. beigebracht für feine Behaup-