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Ausgabe:

1888 Nr. 15

Spalte:

386-388

Autor/Hrsg.:

Oettingen, Alex von

Titel/Untertitel:

Christliche Religionslehre 1888

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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385 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 15. 386

Richtungen einen Ueberblick zu gewähren, auch das Ver-
hältnifs der Philofophie zu den anderen Wiffenfchaften
wie zu dem gefammten Culturleben zu beleuchten, durch
alles das aber zum Verfländnifs der Gefchichte der Philofophie
zu befähigen und zu eigenem Nachdenken über
die philofophifchen Probleme anzuregen. Verf. i(t dabei
von der edlen Tendenz geleitet, eine uneigennützige
wiffenfchaftliche Gefinnung zu fördern und einen Lindruck
zu geben von dem Ernft der Aufgabe der Philofophie,
welche nach feiner Ueberzeugung die bedingungslofen
littlichen Wahrheiten gegen allen Eudämonismus in ihrer j
Würde zu vertheidigen und auf die Religion als allein j
befriedigenden Abfchlufs der philofophifchen Doctrinen
hinzuweifen hat.

In Verfolgung diefes Zwecks handelt unfere Schrift
in Theil I über ,die Fragen und Probleme, den Begriff, |
die Theile und den Unterfchied der Hauptrichtungen der
Philofophie'. Entfprechend der Gliederung der Philofophie
, welche nach der einleitenden Disciplin der Logik
in theoretifche, praktifche und Religions-Philofophie zerfällt
, werden alsdann in Theil II (p. 75—401) die Richtungen
der theoretifchen Philofophie, in Theil III 'p. 402
—467) die der praktifchcn, in Theil IV (p. 468—484) die
der Religionsphilofophie überblickt. In dem umfang-
reichften Theil II führt der Verf., nachdem er die Vor-
Ilufen der theoretifchen Philofophie, den allgemein-menfch-
lichcn und den wiffenfehaftlichen Empirismus, und die
pfeudophilofophifchen Richtungen, den Skepticismus und
Scholallicismus, abgemacht hat, fünf philofophifche Hauptrichtungen
auf, den Materialismus, den Idealismus (Kant,
Fichte;, den Dualismus (befonders Cartefius und die durch
ihn veranlafsten Erörterungen des Caufalitätsbegriffs;, den
metaphyfifchen Realismus (Leibniz, Herbart) und den
Pantheismus (Spinoza, Hegel; Lotze); an die Darfteilung
fchliefst fich je eine Beurthcilung an. In Theil III werden
nach Ablehnung des Eudämonismus und der Pfeudo-
ethik des Materialismus und des Pantheismus (auch hier
Spinoza, Hegel; Lotze) die principiellen Unterfchiede der
Ethik als der Wiffenfchaft entweder von der Tugend
(Plato) oder von der Pflicht (Kant) oder von den littlichen
Ideen (Herbart) bezeichnet, ferner auch die Unterfchiede
der principiellen Begründung der Aefthetik (Kant, Lotze,
Herbart) gemildert. Theil IV giebt vorwiegend felbftändige
Entwicklung. — Gelingt es nun dem Verf. ganz, in der
Behandlung diefes Stoffes feinen didaktifchen Zweck zu
erreichen: Ich kann meinen Zweifel daran nicht zurückhalten
. — Er fucht zugleich einen Einblick in die philofophifchen
Probleme und eine Einführung in die be-
deutendllen gefchichtlichen Syfteme zu geben. Diefe
beiden lntereffen, das fyftematifche und das hiftorifche,
fcheinen mir in der Ausführung unferer Schrift nicht durchweg
licher und glücklich combinirt zu fein. Es wird z. B.
für den Anfänger fehr fchwer fein, Klarheit über die
Fragen, welche im Begriff der Caufalität liegen, und noch
fchwerer, eine Einficht in die Problemlöfung des Verf.'s
zu gewinnen, da er das Problem wie die Lölung aus der
Darfteilung von Kant, Cartefius, Leibniz, Herbart müh-
fam zufammenlefen mufs; wenn aber hier das fyftematifche
Intercffe unter der Uebermacht des hiftorifchen
leidet, fo kann doch auch das letztere nicht ungefchwächt
zur Geltung kommen: die Philofophie eines Plato, eines
Ariftoteles, eines Cartefius mufs der Lefer auch erft aus
zerftreuten Stücken zufammenfetzen, und einen Ueberblick
über ,die Fäden, durch welche die Syfteme hifto-
rifch zufammenhängen', wird der Schüler kaum gewinnen.
— Aber wie helfen? Ich meine, man mufs weniger geben
wollen; man mufs eines der beiden lntereffen deutlicher
dem anderen unterordnen, nämlich das hiftorifche dem
fyftematifchen. Ganz richtig ift gewifs der Gedanke des
Verf.'s, dafs in einer Einleitung in die Philofophie die
Hauptrichtungen des Philofophirens gekennzeichnet werden
muffen; bei der Entwicklung derfelben dürfen aber die
hiftorifchen Syfteme nur als typifche Träger jener Richtungen
eingeführt werden, unter Einftreuung der zum
Verfländnifs unerläfslichen Notizen über gefchichtliche
Stellung und Bedeutung der einzelnen Syfteme. Unter
diefem Gefichtspunkte fcheinen mir die kurzen Theile III
und IV, auch die erften Capitel von Theil II und die einleitende
Partie von Cap. 16 Pantheismus) dem didaktifchen
Zweck der Einleitung in die Philofophie wefent-
lich beffer zu dienen, als die Hauptmaffe des Theils II,
welche in ein Lehrbuch der Gefchichte der Philofophie
aufgenommen werden könnte. — Für die Darflellungs-
weife folgt aus dem didaktifchen Zweck die Forderung,
dem Intereffe und Verfländnifs des Einzuleitenden mög-
lichft entgegenzukommen. Trefflich ift dem Verf. dies
in folchen Partien gelungen wie der allgemeinen Charak-
teriflik von Kant und von Leibniz oder der Schilderung
der Motive des Pantheismus. Dagegen bei der Darlegung
des Einzelnen wird dem Verfländnifs des Anfängers m.
E. nicht feiten zu viel zugemuthet, befonders in den Be-
urtheilungen des. Verfaffers. Auch die Ueberfichtlichkeit
dürfte zum Theil beffer fein: an manchen Stellen wird
fie durch zu ausgedehnte Aneinanderreihung einzelner
Punkte beeinträchtigt; schon die zerhackende Eintheilung
in 517 Paragraphen ift nicht erfprieslich.

Eine Auseinanderfetzung mit den in dem Buche
niedergelegten philofophifchen Anfchauungen würde zu
weit fuhren: der Standpunkt des Verf.'s, ,der feine philofophifchen
Ueberzeugungen zum Theil durch das Studium
der Leibnizifchen und Kantifchen Werke, fowie vorzugs-
weife durch Herbart's mündliche Vorträge und aus den
von ihm veröffentlichten Schriften, zum Theil aber auch
durch eine Umbildung und eigene Erweiterung des Empfangenen
gewonnen hat', ift ja nicht unbekannt. Wiffen-
fchattlich betrachtet ift denn auch das Capitel über Leibniz
und Herbart das werthvollfte. Dagegen hat der An-
fchlufs an Herbart den Verf. nicht zu einer rechten
Würdigung der Erkenntnifskritik gelangen laffen; deshalb
hat insbefondere Kant, fo hoch feine philofophifche
Bedeutung erhoben wird, weder die richtige Stellung im
Ganzen, noch die richtige Darfteilung rinden können:
feine Philofophie ift eingezwängt in die Reihe dogma-
tiftifcher Syfteme als eine Species des Idealismus, nach
welchem ,der Geift allein das Wirkliche' ift, genauer als
unvollendeter Idealismus, womit denn auch eine dogma-
tiftifche Deutung des Begriffs ,Ding an fich' mit den üblichen
Folgen für die Kantexegefe zufammenhängt. Auch
Lotze findet keine ganz gerechte Beurtheilung: die Feind-
fchaft des Herbartianers gegen allen Pantheismus kann
fich nicht verleugnen; auch Lotze's Ethik fällt unter das
Gericht der Ueberfchrift: ,Pfeudoethik des Materialismus
und Pantheismus'. — Doch ift der Ton der Polemik durchweg
fachlich und nobel.

Die erft von dem Lefer anzulegende Druckfehlerlifte
des Buchs mufs ziemlich grofs werden.

Tübingen. Max Reifchle.

Oettingen, Prof. Dr. Alex, v., Christliche Religionslehre

auf reichsgcfchichtlicher Grundlage. Ein Handbuch
für den höheren Schulunterricht. Erlangen, Deichert,
1886. (XVI, 452 S. gr. 8.) M. 6. —

Das Eigentümliche diefes Handbuches, welches als
Grundlage für den Abfchlufs des Religionsunterrichtes
auf höheren Schulen dienen will, befteht darin, dafs, was
| fonft als chriftliche Lehre, Kirchengefchichte und Bibel-
; künde getrennt wird, in ein fortlaufendes Ganzes zufam-
• mengezogen ift, indem die Entwicklungsgefchichte des
j Gottesreiches von feinem keimhaften Anfang bis zum
| Ausblick in feine Vollendung den Faden der Darftellung
bildet. Die Abficht des Verf.'s, allen Lehrftoff durch
| den Gefichtspunkt zu begrenzen und zu befruchten, dafs er
I den Gewinn eines Ganzen lebendiger Gcfammtanfch.au-
| ung vermitteln foll, deffen Centrum der biblifche Grund-