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Ausgabe:

1888 Nr. 15

Spalte:

384-386

Autor/Hrsg.:

Strümpell, Ludw.

Titel/Untertitel:

Einleitung in die Philosophie 1888

Rezensent:

Reischle, Max

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383 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 15. 384

unbevvufst ihre Macht ausübe, wo man wiffenfchaftlich
auf pofitivem Boden flehe, ja felbft in pietiftifch gerichteten
Laienherzen Eingang gewinne, bezeugt er als den
von ihm felbft erfahrenen Eindruck der Theologie R.'s,
dafs ,aus ihr eine Fülle von bewältigenden Wahrheitsmomenten
, von gerade für unfere Zeit nothwendigen einzelnen
Wahrheiten entgegenftrömt', und zählt diefe auf,
indem er ,nur einige der bedeutfamften' herausgreift.
Nämlich, dafs der Zweck der Rechtfertigung die Erzeugung
wahrhaftiger Sittlichkeit fei, dafs der Glaube an die
Rechtfertigung zu freien Herren aller Dinge mache, dafs
erft die Gewifsheit der Verföhnung durch Chriftus den
fröhlichen Glauben an die väterliche Vorfehung Gottes
begründe, dafs die Reichgottesidee gegenüber aller in-
dividualiftifch gerichteten Frömmigkeit hervorgehoben
werde, dafs der Glaube nicht in Weltverneinung, fondern
in gefunder Weltbeherrfchung feine Kraft bewähre, dafs
das chriflliche Leben ein Vergottungsprocefs fei, dafs
das evangelifche Chriftenleben nicht an der Quantität
der Werke, fondern an der Qualität der fittlichen Leiftungen,
nämlich an der freien Luft, Liebe zu üben, fein entfchei-
dendes Merkmal habe, dafs die chriflliche Vollkommenheit
in der Darflellung eines einheitlichen Lebensganges
ihren wefentlichen Befland habe, dafs diefelbe fich innerhalb
des irdifchen Berufs bewähren folle, dafs die Freude
den Grundton des Wandels im rechtfertigenden Glauben
zu bilden habe, dafs wir in der Gotteserkenntnifs nicht
von oben, fondern von unten, von der Menfchheit Chrifti
anzufangen haben. — Ich erinnere mich nicht, einem
folchen Zeugnifs für den Einfiufs und den Segen der
Theologie Ritfchl's begegnet zu fein. Gegenüber diefen
Eindrücken einer ,lichtvollen Engelsgeftalt', die allerdings
geeignet find, einen Theologen von den Vorausfetzun-
gen des Verf.'s in einige Revolution zu bringen, fucht
derfelbe nun fein Gleichgewicht zu behaupten, indem er
die R.'fche Theologie als eine, alle diefe Wahrheitsmomente
in den Dienft der Unwahrheit ziehende Ausgeburt
des fündigen Grundtriebes des Menfchen erklärt, den er
auch in der Chriftenheit hin und her nicht als die Grund-
fünde erkannt, fondern als heiligen Grundtrieb gehegt
fleht, des Triebes, Gott zum Mittel zu brauchen, um
auf den Standpunkt zu gelangen, wo man feiner nicht
mehr bedarf.

Er kündigt eine umfangreichere Schrift über den-
felben Gegenfland an. Möchte diefelbe beweifen, dafs
er inzwifchen einmal ernftlich und geduldig verfucht hat,
Ritfchl's Gedanken von ihrem eigenen Ausgangspunkt
aus, d. h. der Erfahrung der verhöhnenden und ncufchaf-
fenden Gnade, welche der Eindruck der gefchichtlichen
Perfon Jefu Chrifti in einem für die fittlichen Ideen des
Chriftenthums nicht abgeftorbenen Gemüthe hervorruft,
zu verliehen.

Giefsen. J. Gottfchick.

Thikötter, Pafl. prim. Jul., Das Verhältniss von Religion
und Philosophie, hiftorifch und kritifch beleuchtet. Vortrag
, gehalten in der ,Literarifchen Gefellfchaft' zu
Bremen. Bremen, Valett & Co., 1888. (42 S. 8.)
M. -. 80.

Der Hr. Verf. geht aus von einer Erörterung des
Wefens von Religion und Philofophie, aus der die Art
der Entfcheidung über ihr gegenfeitiges Verhältnifs fchon
deutlich fich ergiebt, reiht daran unter demfelben Ge-
fichtspunkte eine gefchichtliche Skizze über die Beziehungen
beider Mächte in der vorchrifllichen und chrift-
lichen Welt, und fchliefst mit der pofitiven Darlegung
des nach feiner Ueberzeugung normalen Verhältnifses der-
felben. Von welchem Standpunkt aus dies gefchieht,
bedarf nach den früheren Kundgebungen des Hr. Verf.'s
keiner längeren Ausführung. ,Wer lieh für irgend ein
metaphyfifches Syftem entfeheidet, vollzieht ebenfo einen

Act des Glaubens wie der orthodoxe Dogmatiker, der
dem Lehrgebäde feiner Kirche zuftimmt, aber er verfügt
nicht über einen wiffenfehaftlichen Erkenntnifsbefitz. Denn
er hat aus der wirklichen oder vermeintlichen Erkennt-
nifs eines Theils der Dinge einen Entwurf des Ganzen
gemacht und dabei die Phantafie ebenfo zu Hilfe genommen
, wie dies auch in der Religion gefchieht, wenn
auch die Motive dabei anders find . . . Wir ordnen die
Philofophie der Religion weder über noch unter, da fie
nichts mit einander zu thun haben. Wir müffen der Offenbarung
ein eigenthümliches Gebiet fichern, das von Gott
dem Menfchen zugedachte, fittlich religiöfe Heil. Den
Inhalt, Umfang und die Begrenzung der Offenbarung
finden wir in der Perfon, dem Wort und dem Wirken
Chrifti' (10. 33. 34 u. ö.).

Gegen Behandlung diefer grofsen Fragen in Vortragsform
laffen fich leicht Bedenken erheben; man wird
aber auch umgekehrt fagen dürfen, dafs gerade f o manche
Hauptpunkte deutlicher hervortreten, mithin auch folche
zum Studium der eingehenden Schriften anreizen können,
die, in andern Standpunkten feftgewachfen, dem Gegner
nicht auf fein Gebiet prüfend folgen. Ihnen gefchieht gewifs
oft ein Dienft mit fo lichtvoller, einfacher und fchöner
Darfteilung einiger Hauptfragen, wie fie hier geboten
wird. Und ich meine, gerade Th.'s Schrift, die jede Polemik
vermeidet, fei dazu befonders geeignet. Man hat
es wirklich mit der Sache zu thun. Und gerade fo entkräftet
fie weitverbreitete Vorwürfe, die diefer theologi-
fchen Richtung gemacht zu werden pflegen, befonders
den, als verwerfe fie ,in thesi alle Philofophie, ruhe aber
felbft auf der Erkenntnifslehre Kant's' (32). ,Dafs die Ver-
mifchung von Religion und Philofophie ein Unding ift,
lernen wir aus dem Evangelium felbft' (33). Ausdrücklich
wird nicht nur Kant's ,Religion innerhalb . . .', fondern
auch, bei aller dankbaren Anerkennung, Lotze in
diefem Sinn beurtheilt (29).

Es ift immer unbillig, in einem Vortrag über alle
Fragen Auskunft zu erbitten, die nach dem Thema angeregt
werden. Ich erlaube mir daher hier nur auf einen
Punkt hinzudeuten, der auch bei ausführlicheren Darlegungen
von verwandtem Standpunkt aus wohl nicht immer
eingehend genug behandelt wird. Wenn man fo
warm und beftimmt von Freiheit und Bittgebet redet,
wie der Hr. Verf. thut, fo ift klar, dafs jenes .eigenthüm-
liche Gebiet der Offenbarung' Glaubensurtheile über die
Welt einfchliefst, deren Tragweite für das ,Welterkennen'
ausdrücklich und abfichtlich hervorgehoben werden mufs.
Sonft giebt fich der Gegner vor dem Lofungswort ,Aus-
fcheidung aller Metaphyfik' nicht gefangen, wie mir
fcheint, mit Recht.

Zürich. Th. Häring.

Strümpell, Prof. Ludw., Einleitung in die Philosophie vom

Standpunkte der Gefchichte der Philofophie. Leipzig,
Böhme, 1886. (VIII, 484 S. gr. 8.) M. 6.75.
Wer die Schwierigkeiten kennt, welche eine auf
knappe Zeit befchränkte Einführung in die Philofophie
für den Lehrer mit fich bringt, oder wer fchon in der
Lage war, Rathfchläge für ein Selbftftudium der Philofophie
zu ertheilen, wird der Schrift des verehrten Ver-
faffers, der die Einleitung in die Philofophie während
einer mehr als vierzigjährigen Lehrthätigkeit in öfterer
Wiederholung vorgetragen hat, gern Beachtung fchenken.
Auf Grund der Vorausfetzung, ,dafs der Einzuleitende
die Philofophie noch nicht kennt und noch nicht befitzt,
fie aber kennen lernen und befitzen möchte', beftimmt
fich ihm der didaktifche Zweck der Einleitung: fie hat
über die Fragen, mit denen die Philofophie fich be-
fchäftigt, Aufklärung zu geben, im Zufammenhang damit
den Begriff der Philofophie zu definiren, die Gliederung
des Syftems anzugeben und über die philofophifch.cn