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Ausgabe:

1888 Nr. 15

Spalte:

378-382

Autor/Hrsg.:

Riggenbach, Bernh.

Titel/Untertitel:

Johann Tobias Beck 1888

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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3/7 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 15. 378

95 Thefen anfangs in feinem Lande verbreiten laffen
wollte! Bedeutfam ift auch die Anmerkung auf S. 39
über das noch nicht genauer durchforfchte Leipziger
Religionsgefpräch von 1539, in welcher Gefs nachweift,
dafs es auf Carlowitz' Betrieb ohne Wiffen des Herzogs
vor fich gehen follte. Möchte doch der Verf. felbft
über diefe Verhandlung uns weitere Forfchungen vorlegen
. Einige Literatur zu diefem Gefpräch habe ich
in meinem Artikel über Witzel in HRE2 XVII zufammen-
geftellt. Die Acten der auf S. 17hg. gefchilderten Vorgänge
hatte bereits Seidemann 1879 'm Sächf. Kirchen-
u. Schulblatt Sp. 36bff. mitgetheilt; vgl. auch meinen
C. Güttel, S. 42 ff. Den wichtigen Brief Georg's an Ver-
gerius vom 14. Juni 1534, auf welchen Maurenbrecher
neuerdings nachdrücklich hingewiefen hatte, erhalten wir
S. 48 ff. aus Schomburgk's Nachlafs jetzt erfreulicher
Weife im lateinifchen Originaltext; die deutfche Ueber-
fetzung, welche Seckendorf III, 73 benutzt hatte, habe
ich nach einer Wernigeröder Abfchriftfchon vor mehreren
Jahren veröffentlicht (Zeitfchr. f. kirchl. Wiffenfchaft 1883
S. 47 f.). — Sollte es S. 26 für Vale, noli amplius peccare
nicht vielmehr Vade (Joh. 8, 11) heifsen müffen? Auf
S. 52 ift in dem Satz ,was man globet, aber den menfchen
an gotz ftat' das ,aber' doch wohl irrthümlich mit ,oder'
erläutert. Auf S. 53 lefen wir in einer Aufzeichnung
Georg's die Angabe, die fchlechten Priefter gelobten dem
Bifchof, der fie zu Prieftern weihe, fie wollten Keufch-
heit halten, ,fo viel ihnen menfchliche Gebrechlichkeit
zulaffe'. Gefs hat nicht weiter das Befremdliche an diefer
Angabe erwogen. Wenn ich recht fehe, hat nämlich
Herzog Georg hier einen Irrthum feines Gegners Luther
weiter verbreiten geholfen. Meines Wiffens taucht die
Behauptung von einem derartig limitirten Cölibatsgelübde
zuerft in der Schrift ,an den chriftl. Adel' (in Benrath's
Ausgabe S. 47) auf: ,will man aber fagen, wie etliche
thun : quantum fragilitas humana permittit1 —. Von Luther

unbeftimmt: ,ut Ecclesiae tuae consuetudo esse dicituC
Für weitere Aufklärung diefes Punktes wäre ich dankbar
. — Dafs im Vorworte der grofsen Verdienfte Seide-
mann's einmal wieder in treffenden Worten von dem
jüngeren Forfcher gedacht worden ift, dem es vergönnt
ift, gerade in das von Seidemann zuerft aufgefchloffene
Gebiet der Leipzig-Dresdener Reformationsbewegungen
mit rüftiger Kraft einzutreten, wird allen denen eine be-
fondere Genugthuung fein, die da wiffen, unter welcher
Ungunft der Verhältnifse jener einft feine verdienftvollen
Arbeiten hat betreiben müffen.

Kiel. G. Kawerau.

Riggenbach, Pfr. Doz. Bernh., Johann Tobias Beck. Ein

Schriftgelehrter zum Himmelreich gelehrt. Lebensbild
, gröfstentheils nach ungedruckten Quellen bearbeitet
. Bafel, Detloff, 1888. (VII, 472 S. m. Lichtdr.-
Bild. gr. 8.) M. 6.—

Auf das Erfcheinen diefes Buches haben nicht blofs
die ,Freunde Beck's' im engeren Sinne, fondern weite
Kreife von Verehrern des heimgegangenen Gottesmannes
mit verlangendem Intereffe gewartet. Denn der Kreis
derjenigen, welche mit dem Gefühl dankbarer Verehrung
an dem Manne emporgeblickt haben, dem aus Wandel,
Blick und Wort der unbeftochene Wahrheitsfinn und
der um keine menfchliche Schranke oder Gröfse fich
kümmernde, aber auch von jedem perfönlichen Intereffe
freie Eifer um feines Herrn Ehre leuchtete, — der Kreis
derer, welche diefes kraftdurchwehten Charakters noch
jetzt mit lebendiger Pietät gedenken und feine Worte
in mancher fchwierigen Lage fich vergegenwärtigen, ift
weit gröfser, als der Kreis der Schüler und Freunde im
engeren Sinn, welche fich Beck's Theologie, insbefondre
feine Dogmatik, fein ,biblifches Syftem' haben aneignen
übernehmen Melanchthon (Corp. Ref. I, 435) und Karl- j können. Man konnte fich hiezu — je nach der Schule,

ftadt (Jäger S. 176) diefelbe Angabe. 1522 treffen wir aus der man kam oder deren Vorausfetzungen Einen
fie dann auch bei Zwingli an in feiner Supplicatio quo- j beherrfchten, — aufser Stande fühlen, namentlich da es

rundam; aber hier heifst es: Wenn der Bifchof Jemand
zum Priefter weihen wolle und frage: ,Suntne castiP fo
antworte der ,Paedagogus pro omnibus respondere con-
suetus?'. ,Quatenus humana imbecillitas permittil1. Und
das leitet uns auf die richtige Fährte; denn in der
Diakonatsweihe beantwortet in der That der Archi

Beck gegenüber keinen Compromifs gab, ,feine Lehre'
vielmehr als gefchloffenes, organifches Ganzes vor den
Hörer trat, das entweder principielle Zuftimmung oder
principielle Ablehnung forderte, — man konnte alfo der
Theologie Beck's im eigentlichen Sinne als Zuhörer
ablehnend gegenüberftehen und dennoch von dem hei-

diakonus die ihm vom Bifchof vorgelegte Frage: ,Scis ligen Wahrheitsernft, der feinen Vortrag durchwehte, von
illos dignos esse?1 mit den Worten: Quantum humana dem imponirenden Charakter, der dahinter ftand, von der
fragilitas uosse sinit et scio et testificor ipsos dignos esse j fittlichen Hoheit und Strenge, mit welcher er fich un-
ad Indus onus offieib. Dafs Zwingli in Erinnerung an j mittelbar an den Wahrheitsfinn und an das Gewiffen
diefe Worte gefchrieben hat, ist ganz unzweifelhaft; i wandte, immer wieder mächtig angezogen, ja hingeriffen
wahrfcheinlich aber auch, dafs Luther felbft gleichfalls j fühlen, fo dafs man trotz aller theoretifchen Vorbehalte
durch eine unklare Erinnerung, durch eine Verwechslung j und vielleicht nach längerem grundfätzlichen Wegbleiben
jenes quantum hum. frag, nosse sinit mit einem per- doch wieder kam und fich zu feinen Pulsen fetzte. Denn
mittit zu feiner Behauptung gelangt ift. Oder follte Beck's Gröfse und das Geheimnifs des tiefgehenden Einwirklich
irgendwo damals ein eigentliches Keufchheits- Hüffes, den er nicht blofs auf Theologieftudirende, fon-
gelübde gefordert worden fein — bekanntlich wird ein dern auf Wahrheitfuchende aller Stände bis zu den höch-
folches gar nicht direct abgelegt, fondern liegt implicite ften hinauf ausgeübt hat, liegt unferes Erachtens nicht
in der Subdiakonatsweihe — und dann doch diefem in erfter Linie in feiner Lehre, in dem Syftem, das er
Gelübde ein Zufatz gegeben fein, der es fofort wieder vortrug, fondern in der ftrengen Confcquenz feiner Me-
aufhob? Ob es am Ende des Mittelalters in Deutfch- thode, beziehungsweife in der feelforgcrlichen Perfön-
land Ordinationsformulare gegeben hat, die für derartige lichkeit, deren fcharfgeprägter Ausdruck und Abdruck
Behauptungen einen Anhalt bieten, das habe ich bisher feine wiffenfehaftliche Methode ift. Beck war ein in den
nicht ermitteln können, bin aber geneigt anzunehmen, Grundanfchauungen der Bibel wurzelnder, ein chriftlicher
dafs wir es hier mit einem böfen qidd pro quo bei Luther Charakter in eminentem Sinn: ein Schriftgelehrter alfo,
zu thun haben. Das Merkwürdige wäre dann nur, dafs allerdings, der bedeutendfte Schriftkenner feiner Zeit, aber
auch Herzog Georg ihm diefe falfche Anklage nachge- nach Methode und Lehrfyftem doch wieder ein ausgepräg-
fchrieben haben follte. Man beachte noch befonders, ter, unbeugfamer Individualift. Schon das Grundprincip,
wie Melanchthon in der Schutzfchrift für Barth. Bern- worauf Methode und Syftem ruhte, die Auffaffung der
hardi nicht zu behaupten wagt, dafs diefer das Gelübde hl. Schrift als eines gefchloffenen, organifchen Lebens- und
mit folcher Einfchränkung geleiftet habe, fondern nur, Wahrheitsfyftems, das die Theologie durch treue Ab-
dafs ,in vielen Kirchen folch ein Zufatz gemacht zu wägung der Worte zu erheben habe, ift bei Beck nicht Auswerden
pflege'; und Corp. Ref. I, 420 heifst es in dem druck eines abftracten Infpirationsbegriffs. überhaupt nicht
Schreiben an den Meifsner Bifchof doch auch recht I Folge theoretifcher Anficht, fondern der unmittelbare

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