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Ausgabe:

1888 Nr. 15

Spalte:

376-378

Autor/Hrsg.:

Gess, Felician

Titel/Untertitel:

Die Klostervisitationen des Herzog Georg von Sachsen 1888

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 15.

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hier keine Rede mehr. Für die Verfaffung derfelbPn ift
nichts zu entnehmen, was man nicht aus anderen Quellen
fchon ficherer und reichlicher wufste. Denn was Preger
(über das Verhältnifs der Taboriten zu den Waldefiern)
daraus fchliefsen will, dafs ,die Apoftel oder Brüder und
Meifter in der Regel nicht zugleich auch Priefter waren'

— Priefter nämlich im Sinn des Sendfehreibens von
1208 —, das beruht auf einem handgreiflichen Mifsver-
ftändnifs. Denn das Priefterthum, nach welchem die In-
quifition fragt, ift überall — wie auch Wattenbach erkannt
hat — das römifche. Werthvoll war mir die That-
fache, dafs die Acten das Wort haereticus wohl durchweg
— nur eine Stelle könnte zweifelhaft fein — die
credentes bedeutet, während die Meifter als haeresiarchae
bezeichnet werden (befonders bezeichnend ift S. 69: ,si
heresiarce hereticos vicine diocesis visitarenP. Ich finde
darin die Beftätigung einer Beobachtung, die ich fchon
viel früher gemacht habe, dafs nämlich der technifche
Gebrauch des Wortes haereticus in Deutfchland ein anderer
ift als in Frankreich und Spanien. Hier bedeutet
er immer die perfecti, dort auch die credentes. Ich brauche
kaum auf die Parallele zu dem von mir an anderem Ort
nachgewiefenen Unterfchied aufmerkfam zu machen, der
zwifchen denfelben Ländern im Gebrauch des Wortes
Valdensis befteht, einem Gebrauch, der auch durch Preger
's allgemeine, an den Quellen kurzweg vorübergehende
Einwände (ich denke an anderem Ort darauf
zurückzukommen) nicht aufgehoben wird.

Für die Verhältnifse der deutfehen Inquifition laffen
lieh auch aus diefen Acten keine ausreichenden Schlüffe
ziehen. Doch ift es bezeichnend, dafs die Inquifitoren
überall als von den Bifchöfen ernannt und beiteilt er-
fcheinen. — Die Inquifition erfcheint hier alfo — ganz
anders als in Frankreich und andern romanifchen Ländern

— immer noch als delegirt vom bifchöflichen Gericht,
wenn auch die päpftliche Autorität dabei irgendwie mitwirkend
gedacht wird.

Der zweite Theil der Veröffentlichung W.'s (S. 71
bis 94) führt um 65 Jahre weiter herab, haftet aber an
denfelben Ortfchaften und Strichen. Die Secte hat fich
trotz der früheren Verfolgungen erhalten, ift aber in-
zwifchen vollftändig im Hufitismus aufgegangen und wandert
fchliefslich der Verfolgungen müde nach Böhmen
und Mähren, wo fie fich der Brüdergemeinde anfchliefst.
Auch hier erfährt man wenig neues über Glauben und
Leben derfelben, wohl aber werthvolle Einzelheiten über
die Ausdehnung der Propaganda der damaligen Häupter
der Taboriten, insbefondere des Friedrich Reifer. — Die
Verhältnifse der Inquifition find hier ähnlich wie 1393,
nur dafs inzwifchen die Landesgewalt auch über diefe
Dinge ihre Hand auszuftrecken begonnen hat und zeiten-
weifemäfsigendund hemmend eingreift. Wenn dann W. auf
den Gegenfatz zwifchen der damaligen und der fpäteren Politik
der brandenburgifchen Fürften hinweift — denn die
Sache endigt im 15. Jahrh. doch mit der Auswanderung oder
Vertreibung der Ketzer —, fo trifft er damit den ganzen
Unterfchied mittelalterlicher und evangelifcher Obrigkeit.

Zum Schlufs noch eine Kleinigkeit. S. 92 erwähnt
Wattenbach nach Mittheilung von J. Müller in Herrnhut,
dafs eine Streitfchrift gegen die Waldenfer vom Jahre
1501 (Handfchrift in Prag; die Ketzerei der Mark (Brandenburg
?) auf den Häretiker Petrus Karbarius in Italien
zurückführe. W., der diefe Nachricht mit Recht abweift,
hat fchon den Namen, den diefe Ketzer geführt haben
follen (Brüderchen, bratrihkove) richtig auf fraticelli gedeutet
. Wie wenig an jener Angabe ift, mag vollends
der Name des angeblichen Sectenftifters anzeigen. Denn
Petrus Karvarius ift natürlich niemand anders als der
Gegenpapft Nicolaus V., Petrus von Corvara, deffen Anhänger
durch eine geläufige Verwechslung fchon früh
als fraticelli bezeichnet werden.

Giefsen. Karl Müller.

j Gess, Dr. Felician, Die Klostervisitationen des Herzog Georg
von Sachsen. Nach ungedruckten Quellen dargeftellt.
Leipzig, Th. Grieben, 1888. (IV, 55 S. gr. 8.) M. 1.20.

Der Verf., der fich durch feine Differtation über Job.
Cochläus vortheilhaftft unter den Reformationshiftorikern
eingeführt hat, bietet hier einen Ausfchnitt aus feinen
Forfchungen über Herzog Georg von Sachfen dar und
erweckt dadurch auf's lebhaftefte wieder die durch
Schomburgk's frühzeitigen Tod vereitelte Ploffnung, dafs
wir in nicht zu langer Zeit uns einer der Bedeutung diefes
Fürften Genüge thuenden Biographie werden erfreuen
können. Plier erhalten wir einen intereffanten Beitrag
zur Kennzeichnung der kirchlichen Pofition Georg's
ebenfo wie zur Gefchichte des landesherrlichen Kirchenregiments
. Wir fehen, wie die Nothlage der Kirche, die
Saumfeligkeit der geiftlichen Prälaten, vom Papft bis zu
den Bifchöfen und den Klofteräbten herab, den gut
katholifchen, aber auch das Verderben an Haupt und
Gliedern tief empfindenden Fürften dazu treibt, mehr
und mehr Nothrechte den kirchlichen Ordnungen gegenüber
geltend zu machen. Der evangelifchen Lehre ver-
fchliefst er fich und fein Land; gleichwohl führt auch er
einen Reformationskampf in feinem Lande gegen allerlei
kirchliche Mifsftände und greift als Landesherr in diefem
Intereffe immer tiefer in die Gerechtfame der römifchen
Kirche ein, — freilich ein Kampf ohne tiefere, bleibende
Plrfolge. Der Verf. führt aus, wie jene Rechte, welche
Georg den Klöftern gegenüber ausübt, nicht auf päpft-
lichen Ermächtigungen ruhen, fondern theilweife von
reformeifrigen Mönchen dem Landesherrn freiwillig entgegengetragen
, zum gröfseren Theile aber von diefem
felbft einfach als Nothrechte geübt, oft von den geiftlichen
Perfonen beftritten, in lehrreichen Fällen aber
auch aeeeptirt und fogar als ein dankenswerther Schutz
empfunden werden. Gleich feinen lutherifchen Nachbarn
läfst auch Georg, feitdem der Papft feine Hoffnungen
auf ein Concil getäufcht hat, feit 1535 durch
zwei Juriften der Leipziger Univerfität die Klöfter ,vili-
tiren'. Handelt es fich da zunächft um Inventarifirung,
um Herbeiführung einer geordneten Bewirthfchaftung und
einer forgfamen Erhaltung des fo läffig verwalteten
Kloftergutes, fo gehen doch feine Reformpläne noch
weiter. Zunächft auf Wiederaufrichtung der Klofter-
disciplin; aber noch weiter: auch die PVage befchäftigt
ihn, wie überhaupt die Klöfter in diefer kritifchen Zeit
lebensfähig zu erhalten feien. Er überlegt, ob er Schulen
mit den Klöftern verbinden foll — aber es ift zu wenig
Gelehrfamkcit in ihnen zu finden. Er verfucht es mit
der Vereinigung zu klein gewordener Convente mit andern
, um den Kloftergottesdienft wieder in Gang zu
bringen. Er plant, die eigene Bewirthfchaftung aller
Kloftergüter den Mönchen abzunehmen, nur der erforderliche
Unterhalt foll ihnen gereicht werden, die
Ueberfchüffe aber follen zur Errichtung einer Burfe in
Leipzig dienen, um dort Studenten zu brauchbaren Predigern
heranbilden zu laffen — kühne Pläne, in ihren
Anfängen auch in's Werk gefetzt, aber unter viel Wider-
fpruch, namentlich von Seiten des Adels, in ihrem Port-
gang aufgehalten, dann durch Georg's Tod und den Um-
fchlag der Verhältnifse dahingefallen. Und wie energifeh
greift er ein, indem er beifpielsweife renitenten Klöftern
alle Zinfe und Frohndienfte der Verpflichteten fo lange
vorenthalten läfst, bis fie fich gefügt haben! Als ihm
die Prälaten des Landes feine Klofterreformcn gutheifsen,
nur päpftliche Zuftimmung vorerft einholen wollen, da
erklärt er fehr entfehieden, dafs er fich auf diefe nicht
einlaffe. Denn er hat den .kranken Mann' in Rom kennen
gelernt und mag auf feine Hülfe nicht mehr warten. Pur
zahlreiche andere Einzelheiten mufs auf die intereffanten
Nachweifungen bei Gefs felbft verwiefen werden.

Mit befonderem Intereffe erfüllt die Notiz, dafs
Georg felbft, ergrimmt über das Ablafsunwefen, Luther's