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Ausgabe:

1888 Nr. 12

Spalte:

315-316

Titel/Untertitel:

Emanuel Geibel 1888

Rezensent:

Lindenberg, H.

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i'5 Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 12. 316

dem Ref. bekanntes. Dennoch ift demfelben gerade
hier entgegengetreten, warum ein folches Unternehmen
nie den gewünfehten Erfolg haben wird, fo lange der
I terr felbft in dem Mittelpunkt fleht, nämlich auch im
aufserlich technifchen Sinn. Jedes feiner Worte leidet,
mag etwas hinzugethan oder weggenommen werden,
ßefonders ift diefer Umftand in der Bergpredigt erkennbar
. Die Seligpreifungen, diefe markigen Worte, kann
man fich nicht fo aneinander gereiht denken, dafs mitten
im Vers wieder ein anderes anfängt und bei keinem das
Gefühl des Abfchluffes wirklich da ift. Das fei gefagt
unter aller Anerkennung der keufchen Hand, welche
auch in der Darftellung der Reden Jefu erfichtlich ift.
Als Worte, die in den Evangelien nicht von ihm berichtet
find, werden nur einzelne Pfalmworte oder Prophetenworte
hinzugefügt, die er ficher, wenn nicht aus-
gefprochen, doch ihrem Inhalt nach fich angeeignet hat.

Während aber die unvermeidlichen Bedenken gegenüber
der Perfon Jefu nicht überwunden werden konnten,
fo wird die Dichtung um fo anfprechender, je mehr ihr
Gegenftand nach der Peripherie zu liegt. Ein wahres
Idyll ift gleich die Anfangsfcene, Maria in Nazareth, als
Jefus fchon erwachfen ift. Die Jugendgefchichte ift als
Erinnerung Maria's, welche fte zum Theil dem Nikodemus
erzählt, eingeflochten. Erzählung anderer, das er-
fcheint überhaupt, wie z. B. nach dem Vorgang des
.Fürften aus David's Haufe', ein befferer Weg, die grofsen
Fhatfachen aus dem Leben Jefu darzuftellen. Da verträgt
man die fubjective Färbung, welche bei unmittelbarer
Darftellung verletzt. Farbenreich find auch die
landfehaftlichen Schilderungen und die Volksbilder, z. B.
am Jordan bei Johannes' Taufe, während das Ende des
Johannes zu draftifch, wenn nicht romantifch aufgebaut
ift. Alles diefes zeigt eine mit der gefchichtlichen
und örtlichen Umrahmung vertraute Hand, wenn auch
Verfehen, wie die Verwechfelung des Apoftels Philippus
mit dem gleichnamigen Evangeliften, beweifen, dafs es
eine theologifche nicht gewefen ift. Zu der Frage,
wer die ,Brüder Jefu' gewefen feien, mag man flehen,
wie man will, die Ausführlichkeit, mit welcher diefelben
als Söhne des Klopas gefchildert werden, ift fachlich
ebenfowenig berechtigt, als die realiftifche Ausführung
der entgegengefetzten Anficht. — Alles in Allem gehört
die Dichtung weitaus zu dem Beften auf diefem Gebiete.
Nicht als Confirmationsgefchenk — in diefem Sinne
kommt die Anzeige gewifs nicht zu fpät — wohl aber
als bildende und auch erhebende Leetüre für folche,
welche von dem Lebensbild des Herrn eine concrete
Anfchauung gewinnen möchten, kann die von tief-chrift-
licher Religiofität ohne Dogmatifiren getragene Dichtung
warm empfohlen werden. Nicht der byzantinifche Chriftus,
auch nicht der Chriftus Dore's, fondern der Chriftus
Schnorr von Carolsfeld's foll uns vor das Auge geftellt
werden. Dennoch ift Ref. gerade durch diefes Buch
wieder in der Ueberzeugung beftärkt worden, dafs von
allen Dichtungsarten nur die Lyrik völlig geeignet ift,
Jefu felbft ihre Zweige zu Füfsen zu legen.

Leipzig. Härtung.

Kurzgefasste Mittheilungen.
Lindenberg, Paft. II., Emanuel Geibel als religiofer
Dichter. Vortrag. Lübeck, Quitzow, 1888. (35 S. 8.)

Zur Characterifirung von Geibels religiüfer Stellung war der Verf.
diefes Vortrages wie Wenige berufen, da er als Neffe des Dichters mit
deffen Lebensanfchauungen nicht nur auf Grund der veröffentlichten Werke,
fondern auch auf Grund langjährigen nahen perfönlichen Verkehres aufs
Innigfte vertraut war. Von letzterer Quelle wird indeffen hier kein
directer Gebrauch gemacht. Als Beweismaterial dient vielmehr eine
reichhaltige, vortrefflich ausgewählte Sammlung von Stellen aus den veröffentlichten
Gedichten. Verf. wendet fich hauptfächlich gegen die Meinung
, dafs Geibel's religiöfe Stellung in der fpäteren Zeit eine andere
gewefen fei als früher: ,in früheren Jahren habe er auf chriftlichem, im
Wefentlichen kirchlichen Boden geftanden; fpäter fei er davon abgefallen

und habe freier denken gelernt' (S. 9f.). Dafs dem nicht fo war, dafs
nur die ,Frontdellung' eine andere geworden fei — früher gegen frivole

j Negation, fpäter gegen unfreies Kirchenthum —, wird in der Hauptfache
überzeugend dargethan. Auf diefen hiftorifchen Theil, welcher dem Ent-
wickelungsgang des Dichters nachgeht, folgt dann ein fydematifcher,
welcher zu zeigen fucht, ,dafs alle wefentlichen Stücke, die den Inhalt des
chriftlichen Glaubensbewufstfeins bilden, in Geibel's Dichtung einen Ausdruck
gefunden haben' (S. 33). So fehr wir dies auch für richtig halten,
fo mufs doch bemerkt werden, dafs dabei ein Mafsftab angelegt wird,

I der uns Theologen nur feiten zugebilligt wird. Geibel's Frömmigkeit, die

I der Verf. mit Recht als eine chriflliche bezeichnet, würde, wenn ein
Theologe fie von fich bezeugen wollte, von den meiden Richtern in
Glaubensfachen als baarer Unglaube verurtheilt werden. Um fo mehr
können wir uns des hier ausgefprochenen Urtheils freuen. — Möchte der
Vortrag für Viele ein Anlafs werden, fich auf's Neue in Geibel's Gedichte
zu vertiefen. Sie bieten eine Geidesnahrung, wie man fie bei Neueren

: nicht leicht findet.

I Howard, Nik., Beiträge zum Ausgleich zwischen alttesta-
mentlicher Geschichtserzälung, Zeitrechnung und Prophetie
einerseits und assyrischen nebst babylonischen Keilinschriften
andererseits. Dargeboten zu Nutz der Gemeinde des
Herrn. Gotha, F. A. Perthes, 1887. (XXIX, 290 S.
gr. 8.) M. 5.-

Der Inhalt des vorliegenden Buches gehört, wie der Verf. in der
Vorrede felbd fagt, ins Gebiet der chridlichen Apologetik. Und zwar id
gegenwärtig Vertheidigung der Bibel gegenüber denen, welche die Keil-
fchrift der AfTyrer zu lefen verdehen, nöthig. ,Die Herren meinen, fie feyen
fchon am Zil mit iren Forfchungen und könnten nun über alles urteilen
und richten, indefs feit noch vil daran. Der geidvolle Menfch aber
(— bedeutet nicht den Pfarrer!), er beurteilt jetzt fchon alles'. Der Titel
j des für die gläubige Gemeinde bedimmten Buches: ,Beiträge zum Ausgleich
u. f. w.' fei aber nicht fo zu verdehen, als rede es in dem Sinn,
1 dafs von beiden Seiten, der Bibel wie der Affyriologie, etwas nachgegeben
I werden müffe; vielmehr werde der heiligen Schrift auch bei diefer Sache
I der Sieg zufallen. Wir dürfen uns angefichts diefer Tendenz nicht wundern,
dafs der Verf. felbd die nun erwiefene Genauigkeit des Zutreffens bei den
Zahlen im Alten Tedament, die Uebereindimmurg Uberall, die Harmonie, auf
den Blättern feines Buches fich darlegend in deutlichder Sicherheit, er-
daunlich findet. Solcher Auffaflung und tendenziöfen Forfchung gegenüber
i erklären wir uns für incompetent. Aber darauf wollen wir doch hinweifen,
! dafs es keinen recht überzeugenden Eindruck macht, wenn der Verf. fich
mehrfach genöthigt fieht, Textverbefferungen vorzufchlagen. um feine Rechnung
fedzuhalten, während er z. B. gegen die Identificirung l'hul's mit
j Tiglat- Pilefar im Tone der Entrüdung eifert, weil dies feine Cirkel dort.
Schade, dafs fo viel Mühe und erndes Streben im falfchen Eifer und an
eine ungeeignete Aufgabe gewendet wurden, die, im rechten Forfchungs-
geide und einer geeigneten Arbeit gegenüber verwendet, vielleicht gute
Frucht hätten bringen können!

De Visser, Predikant Dr. J. Th., Hosea. de man des geestes.

Proeve van psychologifcheSchriftbeschouwing. Utrecht,
C. H. E. Breijer, 1886. (IX, 107 S. 8.)

Die kleine Schrift enthält eine gut gefchriebene Dardellung der Theologie
des Propheten Hofea von pfychologifcher Auffüllung aus, d. h. der
Verf. fucht, wie er felbd fagt, im Gegenfatz zu einer naturalidifchen wie
zu einer mechanifch oflenbarungsgläubigen Auffaflung in die geidige In-

i dividualität Ilofea's einzudringen und fich von der Stellung, die diefer
innerhalb feiner Zeit und Zeitverhältnifse, fowie innerhalb des Ganzen der

| Gottesoffenbarung eingenommen hat, fich ein Bild zu verfchaffen. Die
im ganzen nicht gerade neuen Ergebniffe feiner erneuten Durchforfchung

| des Stoffes find in Kürze folgende: Hofea wirkte etwa von 780 bis 734

] und wohnte für gewöhnlich im Zehndämmereich. Er war weder ein
Prieder-Prophet, noch in einer Prophetenfchule gebildet, aber ein Mann
von Gemüth, reichem Geid und ausgebreitetem Witten. In feiner durch
den Geid Jahve's gebildeten Pcrfönlichkeit lag die Möglichkeit, in dem

1 Zudande feines Volkes der nächde Antrieb zu feinem prophetifchen Auftreten
. Der Gedanke des Bundes zwifchen Jahve und Israel beherrfcht
feine ganze Prophezeiung, und von Israels Gefchichte macht er Gebrauch,
um einerfeits Jahve's unermefsliche Liebe, andererfeits Israels Untreue,
welche Gottes' heiligen Zorn wachruft, ins hellde Licht zu rücken. Das
Verdiend aber, das er um die Erkenntnifs des Wefens Gottes hat, bedeht
darin, dafs er die Geidigkeit des Wefens Gottes gegenüber dem Synkretismus
feiner Zeit betont und dafs er die Beziehung Jahve's zu Israel in

j herrlichder Weife zum Ausdruck gebracht hat; ungelöd blieb bei ihm

| dagegen die Frage nach dem Zufammenhang zwifchen Gottes Gerechtigkeit
und feiner Liebe. Auch tritt gegenüber dem, was Gott zur Her-
dellung eines befriedigenden, glücklichen Zudandes in Israel thun foll,
das zurück, was das Volk zur Erlangung desfelben thun mufs. — Erwäh-

| nenswerth id im einzelnen dies, dafs der Verf., um feine allegorifche Auf-

j faffung von Cap. 1 und 3 zu rechtfertigen, dem Namen ,Gomer, Tochter
Diblajim's' (d. i. Vollendung, Tochter des Feigenkuchensl die Deutung

I giebt: Vollendung (= Untergang). Frucht der Abgötterei (vgl. 3, 1).