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Ausgabe:

1888 Nr. 11

Spalte:

290-291

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Chr. Ernst

Titel/Untertitel:

Es ist in keinem Andern Heil. Predigten 1888

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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289

Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. Ii.

290

anderen Boden erwachten waren, beginnt es die Metamorphofen
durchzumachen, deren letzte, die römifche
Meffe, kaum noch einen Verwandtfchaftszug hat von
dem chriftlich umgebildeten Paffahmahl.

Eine deutliche Darfteilung diefes intereffanten Pro-
ceffes vermiffe ich bei K. Es wird nicht klar, wie es zu
einer mehr als jährlichen Wiederholung des chriftlichen
Paffahmahls gekommen ift, ob und in welcher Form diefes
fchon auf judenchriftlichem Gebiete ftattgefunden hat
oder ob es erft auf heidenchriftlichem Gebiete eingetreten
ift. Desgleichen fieht man nicht deutlich, wie es mit
einer gewiffen Nothwendigkeit zu einer Umdeutung der
Einfetzungsworte kommen mufste u. dgl. m. Bezüglich
der Anfänge der chriftlichen Liederdichtung im apofto-
lifchen Zeitalter hätte ich gern beflimmteren Auffchlufs
gehabt über den Urfprung der fpäter fo viel im chriftlichen
Gottesdienfte verwendeten hymnifchen Stücke aus
Luk. 1 u. 2. Woher ftammen diefelben? Da von
mehreren nachgewiefen werden kann, dafs fie urfprüng-
lich dem dortigen Zufammenhange nicht angehört haben,
fo fragt es fich, ob fie jüdifchen Urfprunges find, was
z. B. bei dem Magnificat kaum bezweifelt werden kann,
oder ob chriftliche Verarbeitungen jüdifcher Producte.
Die Gelänge aus Apokal. 4 u. 5 nach Weizfäcker's und
Gottfchick's Vorgang ohne weiteres aus dem altchrift-
lichen Cultus zu erklären, ift nach Vifcher's Urtheil
über den Urfprung der Apokalypfe für einen in der
Nähe von Marburg und Giefsen Lebenden ein etwas
gefahrvolles Unternehmen. Die exegetifchen Ausführungen
über 1 Cor. 11 auf Seite 18 und 19 mufs
ich durchaus beanftanden. Die Ausführungen über die
Abendmahlsgebete der Didache heben das Charakterifti-
fche derfelben nicht genügend hervor, auch hätte ich
gerne eine Bemerkung gehabt über das Verhältnifs derfelben
zu den übrigen liturgifchen Theilen des Buches
hinfichtlich der Zeit der Abfaffung.

Doch ich breche ab, um über das Schlufscapitel des
Buches noch ein paar Bemerkungen zu machen. Die Ein-
flüfTe, welche derOrthodoxismus, Pietismus und Rationalismus
auf cultifchem Gebiete ausgeübt haben, find von K. im
Grofsen richtig gezeichnet. Bezüglich der letztgenannten
Erfcheinung hat K. nicht unterlaffen, einige Mittheilungen
aus den liturgifchen Ordnungen jener Zeit zu machen, deren
grelle Gefchmacklofigkeit gewifs manchen Lefer erheitern
wird. Indefs hätte ich mich gefreut, wenn für den viel
Gefchmähten auch ein entfchuldigendes, ja in gewiffer
Beziehung auch ein anerkennendes Wort gefallen wäre.
Wenn der Rationalismus in den Cultusformen arg aufgeräumt
hat, fo war das doch nicht blofs Schuld feiner
eigenen Armfeligkeit und Nüchternheit, fondern auch der
begehenden Form des Gottesdienftes, welche ja von Anfang
an der lutherifchen Kirche nicht auf den Leib ge-
fchnitten war. Gegenüber den Repriftinationsverfuchen
unferer Zeit, denen die lutherifchen Gottesdienftformen
um fo lieber find, je näher fie fich an den römifchen
Cult anfchliefsen, die mit Luther's formula missae und
dem Taufbüchlein mehr fympathifiren, als mit der deut-
fchen Meffe und dem Traubüchlein, wäre der Hinweis
darauf wohl am Orte gewefen, dafs der Rationalismus,
von der Tradition frei, manche für die Ausbildung eines
evangelifchen Gottesdienftes nicht unwichtige Gefichts-
punkte aufgeftellt hat, die man auf reformirter Seite
längft begriffen hatte. Freilich leiden folche Ausführungen
immer unter der dürftigen Auffaffung des evangelifchen
Chriftenthums, wie fie dem Rationalismus eigen
ift. Aber ein Blick z. B. auf die Adler'fche Agende
zeigt, dafs auch wir Leute von heute für unfere Cultus-
beftrebungen von den Rationaliften noch allerlei lernen
können.

Vielleicht legt K. auf die aus der römifchen Kirche
in die lutherifche hinübergerettete Mefsform ein gröfse-
res Gewicht als ich; fonft würde er wohl den Verfuchen
zu Neugeftaltungen der Gottesdienftform, wie fie in

fectenhaften Vereinigungen fich finden, gröfsere Auf-
merkfamkeit gefchenkt haben. Als eine eigenthümliche
Specialität des evangelifchen Cultus darf ja gewifs die
englifche Liturgie auf eine Darfteilung rechnen. Für die
Weiterentwicklung des Cultus hat fie aber (icher nicht foviel
zu bedeuten wie z. B. die liturgifchen Eigenthümlichkeiten
der Brüdergemeinde. Ueberhaupt erfchöpft fich die Ge-
fchichte des evangelifchen Gottesdienftes lange nicht in
den Geftaltungen, welche K. berückfichtigt hat, und ich
möchte wünfchen, dafs gerade hier in der zu erwartenden
2. Auflage die ergänzende Hand befonders bemerkbar
würde. Bei der Gelegenheit dürften dann auch wohl
allerhand Verfehen und Druckfehler befeitigt werden, an
denen es nicht fehlt. S. 21, Z. 10 v. u. ift hinter fjfiäg
ausgefallen Mg dya&a lt> elolar] **S tb Oxtnaa&^vpi iji/de;
S. 23 Z. 5 v. u. ift Zahn ftatt Luthardt zu lefen. Das
Citat auf S. 32 aus Ignatius ad Magn. C. 10, 9 folgt einer
fchlechten Textrecenlion. Doch ich will den Lefer mit
folchen Kleinigkeiten, die ich dem Verfaffer perfönlich
mittheilen kann, nicht aufhalten. Ich fage Köftlin Dank
für feine werthvolle Gabe und wünfche, dafs fie Vielen
Freude und Nutzen bringe.

Strafsburg i. E. Spitta.

Luthardt, Dr. Chr. Ernft, Es ist in keinem Andern Heil.

Predigten, zumeift in der Univerfitätskirche zu Leipzig
gehalten. Leipzig, Dörffling & Franke, 1887. (VII,
140 S. gr. 8.) M. 3.-

In dem von Luthardt herausgegebenen Theol.Lit-
Blatt 1887 Nr. 49 hat Wilhelmi-Güftrow über die vorliegende
und die in dritter Auflage erfchienene Predigt-
fammlung: ,Das Heil in Jefu Chrifto' eine eingehende und
freimüthige Recenfion veröffentlicht, welche dem Herausgeber
und dem Recenfenten in gleicher Weife zur Ehre
gereicht. Referent möchte eine Ergänzung bieten, welche
vielleicht deshalb auf Unbefangenheit Anfpruch erheben
darf, weil er unter dem Einflufs des mündlichen
Vortrags des Herrn Verfaffers nicht geftanden hat.
,Es kann nicht ausbleiben und ift fogar fehr zu wünfchen,
dafs der fich bildende Prediger fo erfolgreiche Predigten
wie diefe zum Mufter nimmt', fagt Wilhelmi. Auch wir
theilen den Wunfeh. Von einem Meifter des Wortes
mögen fie lernen, den Vollgehalt des Evangeliums in
warmer herzandringender Weife, in edler, einfacher, allgemein
verftändlicher Sprache, reich an wahren und
tiefen Gedanken der evangelifchen Gemeinde darzubieten
. Faft zu mächtig ift der Strom der Gedanken in der
8. Predigt: der Text, das Vaterunfer nach Luc. II, ift zu
umfaffend, und wohl nur deshalb werden die Hörer
haben folgen können, weil überall durchfichtig Luther's
Erklärung im kleinen Katechismus der Ausfuhrung zu
Grunde liegt. Nur einmal, foweit Referent es bemerkt
hat, verläfst den Redner die Kraft; es gefchieht in der
4. Predigt (über Rom. 8, 31—39), in welcher S. 44 f. der
Fortfehritt fehlt und öfter dasfelbe mit anderen Worten
wiederholt wird. Die fchöne Diction der Sammlung
leidet an einigen Stellen durch das allzugrofse Beftreben,
prägnant zu reden; es kommen S. 109 Sätze vor, wie:
,Auch geiftig nicht. Und wenn einer das Bild geiftiger

Gefundheit zu fein fcheint--Vollends aber geiftlich'

u. f. w. Das find überhaupt keine Sätze.

Es würde hier zu weit führen, die Trefflichkeit der
dargebotenen Gabe im Einzelnen zu beleuchten; als in
feiner Art vollendetes Mufter fei nur hingewiefen auf die
6. Predigt (über 2. Petri 3, 8—14) mit dem Thema:
,Das vergängliche Wefen diefer Welt und die Unver-
gänglichkeit der neuen Welt Gottes'. Die Kunft diefer
reichen Predigt ift deshalb fo hoch, weil man, um mit
A. Hyperius zu reden, die Kunft nicht merkt, fondern
nur ihre fie felbft verhüllende Wirkung fpürt in der