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Ausgabe:

1888

Spalte:

268-269

Autor/Hrsg.:

Hayen, W.

Titel/Untertitel:

Oldenburgisches Kirchenrecht 1888

Rezensent:

Frantz, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Kr. 10.

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nifskirche ebenfowenig gelingen wie in den alten Con- I von ihren Behörden dem Namen nach geftellte, doch in
feffionen. ! Wahrheit nicht durchzuführende Forderung fymbolifcher

In den beiden Schlufsabfchnitten über Cultus und j Lehrcorrectheit verfetzt werden. Die Löfung der be-
Verfaffung wird eine Reihe daher gehöriger Fragen nach j handelten Probleme läfst fich freilich in den Ausführungen
einander befprochen. Man findet überall ein verftändiges ; des Verf.'s, fo viel Tüchtiges im Einzelnen üe darbieten
Urtheil und manche brauchbare, nicht minder auch manche I (z. B. in der Kritik der Anfelmifchen Satisfactionslehre
unbrauchbare Vorfchläge. Im erften der beiden Ab- ' S. 171fr., der neueren Kenotik S. 304 fr., der modernen
fchnitte giebt der Verf. fchliefslich den Entwurf einer j Reconftructionsverfuche der Trinität S. 432 ff. u. a.), nicht
Liturgie für den fonntägigen Hauptgottesdienft, welche j erkennen. Seine Weife, die Gegenftände zu behandeln,
manches Eigentümliche zeigt. Eine principielle Begrün- | ift eine abftract verftandesmäfsige, rationalifirende — un-
dung aus dem Wefen des evangelifchen Cultus findet fich ,' geachtet feiner Abneigung gegen allen Rationalismus, —
nicht; wie es fcheint, geht der Verf. von der Anfchau- I für fpeculative Anfchauung, gefchweige für myftifche
ung aus, dafs die Liturgie jeden Sonntag den gefammten ' Tiefe fehlt ihm das Organ. Offenbarung ift ihm im
Inhalt des kirchlichen Lehrfyftems zur feierlichen Aus- ; Grunde nicht mehr als die göttliche Mittheilung einer
fprache bringen müffe, was doch fehr zu beftreiten wäre. ! Lehre (S. 23). Dabei läfst fich Bekanntfchaft mit dem
Die Erörterungen über die kirchliche Verfaffung führen ■ neueren Stande der Arbeiten auf den verfchiedenen, in
fchliefslich zu dem Verlangen eines bifchöflichen Kirchen- die Darfteilung eingreifenden theologifchen Gebieten nicht
regimentes. Man mufs fich wundern, dafs der Verf. bei | wahrnehmen. So fehlt es denn doch in der Regel an
feinem ftrengen Schriftprincip nicht daran gedacht hat, ' der Erfaffung des entfcheidenden principiellen Punktes,
die Forderung an der Schrift zu prüfen oder daraus zu | Er fieht nicht, dafs die Väter zu Nicäa, wie menfchlich

begründen. Er würde gefunden haben, dafs die Charis
men der Prophetie und der Lehre, aus welchen unfer
Predigtamt entfprungen ift, nach apoftolifcher Auffaffung
mit der Gabe der nvß8Qvr/&ig, alfo des kirchlichen Re-
gierens, keineswegs zufammenfallen oder als noth-
wendig zufammengehörig gedacht werden, dafs fie nicht
in denfelben, fondern in verfchiedenen Perfonen vorhan

es dort zugegangen fein mag, und wie verbefferungs-
bedürftig die von ihnen gefundenen Formeln heute fein
mögen, von einem richtigen Impulfe geleitet waren, als
fie der Kirche die Erkenntnifs ficherten, dafs in Chrifto
die ganze Gottheit zum Heile der Welt offenbar geworden
ift, nicht blofs ein göttliches, wie hoch immer
flehendes Mittelwefen. Er will in dem richtigen Gefühl,

den waren (Rom. 12, 7. 8. 1 Cor. 12, 28). Der Schlufs dafs nur in necessariis Einheit noth fei, in feinem Be-
daraus für uns liegt nahe. Die Verbindung der potestas kenntnifsentwurf nur die chriftlichen ,Kernlehren' zum
ordinis und jurisdictionis im katholifchen Epifkopate hängt i Ausdruck bringen; aber man vermifst das Princip, an
mit der katholifchen Entartung des Chriftenthums zu- welchem das, was als Kernlehre zu gelten habe, zu er-
fammen. Die Reformatoren haben beide Gewalten in's ' kennen wäre. Die Auswahl ift eine rein doctrinelle, wie
Evangelifche, bezw. Geiftliche umgedeutet und in diefem j denn auch, bezeichnend genug, die Bekenntnifsformel
Sinne dem Pfarr- oder Bifchofsamte zugefchrieben : S. 521 mit der Ausfage über die heilige Schrift als Er-
{Apol. XIV): die Leitung der Kirche nach ihrer Rechts- kenntnifsquelle anhebt. Einmal wird der fpringende
feite diefem beizulegen war ihre Meinung nicht. Unfer Punkt berührt, indem es heifst, man fehe nicht, wie fich
Generalfuperintendentenamt foll ein Seelforgeamt und | die Trinitätslehre als Ausdruck einer Thatfache der reli-
mit den Sorgen des Verwaltens und Regierens unver- giöfen Erfahrung erweifen laffe (S. 439). Weiter jedoch

worren bleiben. Der vom Verf. befürworteten Forde
rung endlich von kirchlichen' theologifchen Facultäten,
deren Mitglieder vom Bifchof zu ernennen wären (S. 595)»
mufs im eigenen Intereffe unferer Kirche entfchiedener
Widerfpruch entgegengeftellt werden. Beachtenswerth
ift übrigens in diefem Abfchnitt das gelegentlich durchklingende
bittere Gefühl der Zurückfetzung der evangelifchen
Kirche gegen die römifche in dem gegenwärtigen
Stadium der Kirchenpolitik (S. 624), ein Gefühl, mit
welchem der Verf. nicht allein fteht, und mit welchem
zu rechnen unfere Staatslenker wohl thun würden.

Im Ganzen ift zu fagen, dafs die Reformforderungen
des Verf.'s von einem richtigen und achtungswerthen Gefühle
eingegeben find. Die evangelifche Kirche, zumal
in Deutfchland, bedarf der Reform; aber dies ift — man
kann das ausfprechen, ohne die grofsen und vielen Uebel,
worunter unfer kirchliches Leben leidet, zu verkennen —■
nicht ihre Schwäche, fondern ihr Vorzug. Unfere Kirche
ift nicht ein fertiger Bau von Dogmen und Inftitutionen,
an welchem nur hier und da noch ein neues Ornament
in Geftalt eines bisher nicht definirten Dogma's aiizu

wird von diefem Mafsftabe kein Gebrauch gemacht. Es
hätte z. B. bei der Engellehre gefchehen follen, welche
einen eigenen Artikel in des Verf.'s Bekenntnifsentwurf
ausmacht, und welche von ihm nicht feiten mit einer
gewiffen Vorliebe betont wird, wohl darum, weil der
Logos in feiner Auffaffung als das vornehmfte Glied einer
zwifchen Gott und Menfchheit flehenden Engelwelt er-
fcheint. Aber was man darüber auch fagen kann oder
mag, Ausfagen religiöfer Erfahrung können das keinen-
falls fein und darum auch kein Gegenftand eines Ge-
meindebekenntnifses.

Darmftadt. K. Köhler.

Hayen, Oberkirchenr. W., Oldenburgisches Kirchenrecht.

Vorfchriften und Entfcheidungen für die evangelifch-
lutherifche Kirche des Herzogthums Oldenburg. Oldenburg
, Schulze, 1888. (VIII, 448 S. 8.) M. 6.—

Der Herr Verfaffer bietet eine Zufammenftellung der
gegenwärtig in Geltung befindlichen kirchlichen Gefetze
bringen wäre, fondern ein in lebendigem Werden und ' und Erlaffe für die evangelifch-lutherifche Kirche Olden-

Wachfen begriffener Organismus. Sie ift darum nicht J burgs, fowie der auf diefelbe Bezug habenden Staats-
verurtheilt, ihre gefammte Vergangenheit als unfehlbare und Reichsgefetze; auch werden dazu ergangene wichtige
und unangreifbare Tradition mitzufchleppen; ihr Recht Entfcheidungen der Oberbehörden angeführt. Die auf-
und ihre Pflicht ift, das gefchichtlich Ueberkommene un- genommenen Beftimmungen find nach einem beftimmten
abläffig weiter zu entwickeln und auch zu berichtigen, i Syftem geordnet, im Uebrigen aber wörtlich unter Hin-
Es ift kein Zeichen einer Krankheit zum Tode, wenn fich j weglaffung der aufgehobenen Stellen wiedergegeben,
in ihr das Gefühl geltend macht, dafs Vieles beffer werden j Dabei wird das Princip befolgt, die einzelnen Gefetze etc.
müffe. Unfer Verf. liefert in feinem Werk einen mit 1 in der Regel nur an einer Stelle abzudrucken, auch wenn

Ernft und treuem Fleifs gearbeiteten Beitrag zu dem
Reformwerke. Ehrenwerth ift der ernfte Wahrheitsfinn,

in ihnen verfchiedene Materien behandelt werden, und
an den andern Stellen, für welche fie ebenfalls in Beirut
dem er redet, die Abwehr aller unklaren und halb- ; tracht kommen, einfach auf diefelben zu verweifen.
wahren Phrafeologie, das kräftige Gefühl für die Ge- j Hierdurch wird allerdings die Ueberfichtlichkeit etwas
wiffensnoth, in welche fo viele treue Geiftliche durch die | beeinträchtigt; doch ermöglichen gleichwohl die beige-