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Ausgabe:

1888 Nr. 9

Spalte:

225-227

Autor/Hrsg.:

Schuster, Leopold

Titel/Untertitel:

Johann Kepler und die grossen kirchlichen Streitfragen seiner Zeit 1888

Rezensent:

Reusch, Franz Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 9.

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Diefer bietet dagegen im Einzelnen mancherlei, was
eine eindringlichere Unterfuchung verräth, als Erfterer
angefleht hat; fo z. B. hinfichtlich der Bedeutung Carl-
ftadt's für H. oder derjenigen des Clem. Ziegler in
Strafsburg. Die .Melchioriten' haben fich nach der Ent-
täufchung über die Prophezeiungen ihres Meiflers fehr ernüchtert
; fie find zu einem Theile zur Staatskirche (fo
befonders in Strafsburg) zurückgekehrt und fonft zu
anderen Fractionen übergegangen; zur Linden verfolgt
noch die Fäden, die befonders durch die Vermittlung
von Menno Simons Bindeglieder zwifchen den ,Bundes-
genoffen' und anderen Kreifen geworden find. Ich habe
bei der Leetüre der beiden intereffanten Werke von
Neuem den Eindruck gehabt, dafs es wohl an der Zeit
fei, wenn einmal wieder eine Gefammtdarflellung der
fchwärmerifchen Bewegung des Reformationszeitalters
unternommen werde. Erb kam's Werk ifl kaum mehr
zu benutzen; dasjenige von Cornelius ifl immerhin
auch nur einer Specialität gewidmet und dazu ein Torfo
geblieben. Es ifl nachgerade fo viel Material beifammen,

Unrichtigkeiten. Galilei kann ebenfowenig wie Kepler
der Vorwurf gemacht werden, er fei ,in etwas unge-
fchickter Weife in das Gebiet der Exegefe eingebrochen
und habe die Theologen über die Auslegung der heil.
Schrift belehren wollen' (S. 92; vgl. 126). Von der römi-
fchen Inquifition kann nicht gefagt werden, fie habe wegen
der Denunciation Galilei's durch Lorini ,in die Sache eingehen
müffen' (S. 94. 126), und noch weniger, fie habe
1616 ,ein Urtheil gefällt, das felbftverftändlich für das
Gebiet der Glaubenslehre irrelevant war und nur für das
Gebiet der Kirchendisciplin Gehorfam fordern konnte'
(S. 94). Faft komifch ift die Behauptung, Kepler's Epi-
tome fei 1619 von der Index-Congregation ,für Italien'
verboten worden (S. 124). Der Verf. beruhigt fich fchliefs-
lich dabei, die Index-Congregation fei ,nur eine Cenfur-
behörde und nicht das MagisteriuM infallibile Pctro-
Apostolictim; ihre Decrete feien nicht unabänderlich und
in ihrem Decrete werde die Copernicanifche Lehre nicht
als häretifch und irrig im Glauben bezeichnet' (S. 128;
aber wohl als ,falfch und der heil. Schrift gänzlich wider-

dafs auch wer dasfelbe nur einmal einheitlich verarbeiten fprechend', S. 127). Wenn der Verf. auf Galilei's Procefs
wollte, die dankbarfte Aufgabe vor fich fähe. Zumal im Jahre 1632 (vielmehr 1633) nicht eingeht, fo konnte

auch über die Zufammenhänge der täuferifchen Bewegung
mit älteren kann ziemlich genau gehandelt werden.
In Hofmann's Leben finden wir — in der erden Zeit —
Huffitifche Bezüge (H. trifft in Livland mit Nicolaus
Rutze—- früher gewöhnlich Nie. Ru fs genannt —
zufammen, delfen Huffitifche Theorien foeben Lesker
im ,Katholik' 1887 beleuchtet hat). Wie mannigfaches
Material zur Beurtheilung des Verhältnifses, beziehentl.
Zufammenhangs von Schwärmerei und Huffitismus vorliegt
, fieht man in der Kürze fehr gut in H. Haupt's

er das immerhin damit rechtfertigen, dafs Kepler diefen
nicht mehr erlebte. Wenn er aber beifügt: es feien dabei
keine neuen Gefichtspunkte vorgebracht worden und
der ganze Vorgang habe fich auf dem Boden des Index-
decretes von 1616 und des damals an Galilei ergangenen
Verbotes abgefpielt (S. 135), fo erklärt er damit indirect
feine eigene, vorhin mitgetheilte Auffaffung für unrichtig;
denn 1633 erklärte nicht die Index-Congregation, fondern
die Inquifition, deren Präfident der Papft ift: Galilei habe
fich der .Ketzerei' ftark verdächtig gemacht, nämlich ver-

Auffatz: .Huffitifche Propaganda in Deutfchland' (Hift. ; dächtig, dafs er die falfche und der heil. Schrift wider-

Tafchenbuch. fechfle Folge, VII, 1888).

Giefsen. F. Kattenbufch.

fprechende Lehre, die Erde bewege fich 11. f. w., für wahr
gehalten habe, und Galilei mufste demgemäfs .befagte
Ketzerei' abfehwören. Als .unabänderlich' hat man freilich
in Rom, wenigftens fpäter, auch diefe Entfcheidung
Schuster. Prof. Dr. Leop., Johann Kepler und die grossen nicht angefehen. Die Inquifition hat, allerdings erft 1822,
kirchlichen Streitfragen seiner Zeit. Eine Kepler-Studie. befchloflcn, es fei der Druck von Werken geftattet, ,in
Graz. Mofer, 1S8S. (VII, 243 S. gr. 8.) M. 4.- I welchen yon der Beweglichkeit der Erde und der Un-
v ' ^ s ' * beweghchkeit der Sonne gemafs der gewöhnlichen An-

Das Buch enthält nach einer kurzen Einleitung drei ficht der modernen Aftronomen behandelt werde'. Ich
Capitel: Keplers Stellung zum Gregorianifchen Kalender, meine, der Verf. hätte doch aufser meinem Buche über
Kepler und das Copernicanifche Weltfyflem, Kepler's den Index, welches er S. 128 citirt, auch das Buch über
Glaubenskampf (die beiden erften Capitel find nach S. IV , Galilei, zu welchem ich dort nur Nachträge "ebe an-
zugleich als Feftfchrift der Univerfität Graz für das Jahr fehen fallen.

1887 ausgegeben worden). In dem erften Capitel fpricht I Was der Verf. im dritten Capitel Kepler's Glaubens-
der Verf, unnöthiger Weife ab ovo beginnend, zuerft von ' kämpf nennt, reducirt fich darauf, dafs er fich weigerte
der .Kalenderfrage in der alten Kirche', dann, ausführ- . die Concordicnformel bedingungslos zu unterfchreiben'
licher als es für fein Thema nöthig war, von der Gre- J weil er die Ubiquitätslehre für unrichtig hielt und dafs
gorianifchen Kalenderreform und dem Widerfpruche, auf! ihm deshalb der lutherifche Pfarrer zS I inz' öffentlich
den fie ftiefs, und kommt dann endlich (S. 55) auf j das Abendmahl verweigerte und diefe .Excommunication'
Kepler's Stellung zu derfelben: er theilt die Anficht feiner 1619 von dem Stuttgarter Confiftorium und der Tübinger
Glaubensgenoffen, dafs der Papft nicht, wie er bean- ! theologifchen Facultät in fehr fcharfen Ausdrücken (das
fpruchte, der ganzen Chriftenheit die Annahme des neuen Confiftorium bezeichnet Kepler als Schwindclhirnlin'l
Kalenders vorfchreiben könne; aber er halt es für Pflicht beftätigt wurde. Der Verf. behandelt den Geeenftanrj
auch der Proteftanten, den Kalender anzunehmen, wenn fehr ausführlich, hebt aber, während er allerlcf Ueber-
der Kaifer als Reichsoberhaupt die Annahme der nach , flülfiges, z. B. über die Concordienformel im allgemeinen,
feiner Ueberzeugung an fich empfehlenswerthen Reform einflicht, nicht fcharf genug hervor, worum es fich eigent-
anordne. — In dem zweiten Capitel ftellt der Verl., auch . lieh handelte, nämlich lediglich um die Ubiquitätslehre
hier etwas weit ausholend, zuerft Kepler s Verdienfte um und um ,die Lehren von der Perfon Chrifti und dem
die wiffenfchaftliche Begründung des Copernicanifchen heil. Abendmahle' (S. 163) nur eben in foweit als fie bei
Syftems dar, — übertrieben ift der Satz, dafs es wahr- der Ubiquitätslehre in Betracht kommen. Im übrigen
fcheinlich ohne Kepler einen Galilei in der Aftronomie war Kepler ein aufrichtig gläubiger Lutheraner wenn
nicht geben würde (S. IOO), — dann deflen Widerlegung auch infofern weitherziger als die meiften Theologen
der Behauptung, dafs dasfelbe mit der Bibel in Wider- ; feiner Zeit, als er die Idee der Einen Kirche fefthfelt
fpruch flehe. Intereffant ift die Notiz S. 109, dafs das Papiften, Lutheraner und Calviniften als drei Parteien in
darüber handelnde fünfte Capitel von Kepler's Prodro- derfelben anfah und, wie er felbft fagt, um deren Vcr
m/ts auf den Antrag Hafenreffers von dem Senate der ( emigung täglich mit feiner Familie betete fS. ic6 18c-
Tübinger Univerfität 1596 vor dem Druck geftrichen intereffant ift, dafs er fich wiederholt auf M A de Do
wurde und dafs es Kepler auch in der zweiten Ausgabe i minis beruft; S. 167. 185). Als die lutherifchen Prediger
von 1621 wegliefs. Natürlich kommt der Verf. hier auch : und Lehrer 1598 aus Steiermark vertrieben wurden wurde
auf Galilei zu fprechen. Dabei fehlt es aber nicht an | Kepler von der .general ausfehaffung' ausgenommen; er

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