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Ausgabe:

1888 Nr. 9

Spalte:

219-221

Autor/Hrsg.:

Wahle, Gust. Fr.

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Johannes 1888

Rezensent:

Holtzmann, Oskar

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Theologifche Literaturzeitung. 1888. Nr. 9.

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fall ausfchliefslich Arbeiten proteftantifcher Theologen;
vielerlei Fachkenntnifse flehen dem Verfaffer zur Seite.
Aber überall find die Texte fehr cavaliermäfsig behandelt
; wenn der Verf. einen Gedanken aufgegriffen hat,
fo kommt es ihm auf eine Handvoll mehr oder weniger
nicht an. Ifl es ihm gelungen, mit feiner Conflruction
diefe oder jene wirkliche oder vermeintliche Schwierigkeit
zu befeitigen, fo überfieht er Berge von Hindernifsen,
die fich ihr entgegenthürmen. Wie foll man, um bei
Kön. II, 6 zu bleiben, den Wortlaut von 5a von 2 im
Inneren auf den Boden gelegten Balken verftehen, wie

Leider hat der Verfaffer an diefe m. E. durchaus
richtigen Sätze allzu rafche Folgerungen geknüpft. Ge-
wifs folgt aus ihnen, dafs der Evangelift nur den gefchicht-
lichen Chriftus uns vorführen will, weil er eben durch
diefen gefchichtlichen Chriftus fich neugefchaffen weifs.
Aber eine andere Frage ift, ob der Gefchichtsverlauf,
den uns der Evangelift nun wirklich vorführt, für den
ruhig nacharbeitenden Hiftoriker fich überall als Ge-
fchichte erweift. Das wird fich doch allein aus einer
wiffenfchaftlichen Vergleichung johanneifcher und fyn-
optifcher Darfteilung ergeben können. Wenn nun der

das ,denn' vor 6i> bei des Verf.'s Deutung des nUHÄtt? j Verfaffer der Ergänzungshypothefe gegenüber behauptet:
Wie verträgt fich 7b mit der gewaltigen Zimmerarbeit im ,nirgends finden fich Merkmale von einer Verarbeitung

Innern des ganzen Tempels, wie 8a mit diefer Lage der
Wendeltreppen? Wie kann der Verf. die Palmen in v. 29,
die deutlich nebft den Cherubim flach an den Wänden
anliegen, auf den äufseren Ueberzug freiftehender Pfeiler
deuten, wie will er es erklären, dafs von der dreifchiffigen

eigenen Materials an der Hand fremder Darftellung' und
wenn er an anderer Stelle erklärt: ,eine literarifche Abhängigkeit
unferes Evangeliften von den Synoptikern ift
ganz unerweislich', fo finde ich jene Behauptung und
diefe Erklärung namentlich in Bezug auf die Leidens-

Anlage und diefen fo in das Auge fallenden Palmenpfeilern 1 gefchichte ganz unhaltbar,
nirgends eine Spur fich findet, während die QTitaS' in Nicht richtig fcheint mir auch die gegen Lüthardt

c. 7 fo hervorgehoben werden? Wie darf er die Tiefe 1 aufgeftellte Thefe zu fein, dafs im Johannesevangelium

des Allerheiligften durch feinen Verbindungsgang ohne
weiteres auf 13 Ellen herabfetzen? Gegen feine Palaft-
conftruction genügt es die Raumverhältnifse geltend zu
machen; es ift unmöglich, dafs Salomo alles, was der
Verf. ihm zumuthet, in diefen Raum zufammengepfercht
hätte. Das flache Dach der Halle, mit dem er fo viel
auszurichten meint, ift fehr entbehrlich, fintemal das Dach
des Haufes felbft die gleichen Dienfte thut. ,Der fo oft

der Glaube an das Wunder an und für fich dem Glauben
an das Wort gleichftehe. Hierüber fagt Wahle: ,in beiden
Fällen kommt es nur darauf an, wie weit wir Chrifto unfer
Ich überlaffen'. Aber es handelt fich hier doch nicht um
die Frage, ob für uns ein gottoffenbarendes Wunder dem
gottoffenbarenden Worte gleichwerthig fei, fondern ob
das für den Evangeliften der Fall ift. Wenn nun freilich
, wie Wahle hervorhebt, bis zuletzt der johanneifche

wiederkehrende Ausdruck' "nila? bs> findet fich in Wirk- j Chriftus Zeichen thut, fo ift doch darauf hinzuweifen,
lichkeit nur Chron. II, 23, 13, daneben in der Parallel- | dafs in Cap. 2—6 deren vier bis fünf, in Cap. 7—12 deren
ftelle Kön. II, II, 14 und Kön. II, 23, 3, beide von Fr. zwei, in Cap. 13—20 deren eines gefchildert wird. Daraus

angeführt, TfiaSTI bj>, die dritte Stelle exiftirt nicht. Auch
in der Benutzung der Monumente läuft viel Willkür unter,
fo in der Deutung des Modells S. 58, der kyprifchen
Münzen S. 39, den ,Gurken' S. 67 und vielem anderen.
Wenn der Verf. S. 57 betont, dafs untere Bauberichte um
fo werthvoller feien, weil fie uns erkennen liefsen, wie

erkennt man, dafs nach der Darfteilung des Evangeliften
das Wunder in dem Mafse zurücktritt, als fich Chriftus
durch das Wort der Welt und den Seinigen auffchliefst.
Der verhältnifsmäfsig geringe Werth des Wunderglaubens
wird aber von Anfang an bis zum Schluffe im
Johannesevangelium betont (1,50. 51; 2,23 — 3,3; 4,48;

die Phöniker, die fo wenig fichtbare Spuren zurückge- | 20,29).
laffen, gebaut hätten, fo darf man daraus entnehmen, wie Der Verfaffer verfchliefst fich aber diefer Gedankenwenig
in Wirklichkeit die phönikifchen Alterthümer bisher | reihe offenbar deshalb, weil er im Gegenfatze gegen die
zur Deutung diefer Bauberichte beitragen können. Wir j Baur'fche Auffaffung der Compofition des Johanneshaben
alfo alle Urfache, das Vorliegende zunächft aus j evangeliums jede Einwirkung des durch die alexandri-
fich ruhig und nüchtern zu erklären. j nifche Philofophie dem Judenthum übermittelten Ge-

Immerhin ifl aus der Schrift mancherlei zu lernen, dankenkreifes auf das vierte Evangelium leugnen möchte,
auch giebt fie Hoffnung, dafs der Verf. bei methodifcherer j In Bezug auf grofse Abfchnitte des Evangeliums ift es
Benutzung feiner weit verbreiteten Kenntnifse unmittelbar '■ ja vollkommen richtig, wenn Wahle fagt: ,Wo die Baur'-
Förderndes für die Löfung diefer fchwierigen Probleme j fche Logosidee fich entfalten follte, da bricht immer
beifleuern wird. wieder fpröde, andersartige Gefchichte hindurch'. Aber

Die fremdfprachlichen Abfätze wimmeln leider von trotz diefes Zugeftändnifses bleibt doch für den aufmerk-
Druckfehlern, daneben z. B. Schenkl ftatt Schenkel, famen Betrachter des Evangeliums eine Reihe fpröder
Onken ftatt üncken gleich auf S. 1 f. Thatfachen zurück, die eine Beeinfluffung des Evange-

Bonn. K. Budde.

Wahle, Garnifonpfr. Dr. Gufl. Fr., Das Evangelium nach

Johannes, ausgelegt. Gotha, F. A. Perthes, 1888.
(714 S. gr. 8.) M. 12.—

Vorliegender Commentar zum Johannesevangelium
unterfcheidet fich von vielen feiner Vorgänger günftig
dadurch, dafs er den Evangeliften bei Abfaffung feines
Buches in erfter Linie nicht von einem hiftorifchen,
polemifchen, apologetifchen oder philofophifchen, fondern
von einem innerperfönlichen Zwecke geleitet fein läfst.
,In Chrifto weifs fich der Evangelift als eine neue Per-
fönlichkeit und eben diefe durch Chriftum gewordene
Perfönlichkeit ift es, die er in feinem Evangelium zum
Worte kommen läfst'. ,Seinem Glauben, der an den
Zeichen Jefu lebendig geworden und darin immer wieder
von neuem das Leben findet, feiner Liebe, die von diefem
Leben in Chrifto den Brüdern fagen mufs, will er mit

feinem Werk genug thun'. j und doch andererfeits gering gefchätzt werden, nur aus

liften durch den jüdifch-alexandrinifchen Gedankenkreis
gar nicht verkennen laffen. Der Evangelift verwendet
den der ftoifch-alexandrinifchen Philofophie fo geläufigen
Logosnamen ohne attributiven Zufatz zur Wcfens-
beftimmung Jefu Chrifti (vgl. Wahle S. 82 Z. 1 v. u. und
83 Z. 6 v. u.); er unterfcheidet die Sx twv avio von denen
«/. tutv xdrw; er fordert demgemäfs als Grundbedingung
des ewigen Lebens ein uvtoD-ev yevvSod-ai; feine Darfteilung
wird beherrfcht durch die Gegenfätze Licht und
Finfternifs, Wahrheit und Lüge; alles Guthandeln ift ihm
ein Vollbringen der Wahrheit; ja, er behauptet im Unter-
fchiede von der Synopfe und Paulus, dafs nicht der Sünder,
fondern der, welcher die Wahrheit thut, zum Lichte d. h.
zu Chrifto komme, lauter Anfchauungen, die mit der
dualiftifchen Metaphyfik der alexandrinifchen Philofophie
urfprünglich zufammenhängen, mag diefelbe auch durch
das Chriftenthum des Verfaffers im Uebrigen überwunden
fein. Und fo erklärt fich auch die merkwürdige Gedankenbildung
, der zufolge Zeichen und Wunder eine
immer wiederkehrende Form der Gottesoffenbarung find