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Ausgabe:

1887

Spalte:

163

Titel/Untertitel:

Möller, Das ausseramtliche Leben des Geistlichen 1887

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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163

Theologifche Literaturzeitung. 1-887. Nr. 7.

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den Dienft der innern Miffion, deren Werthfehätzung
übrigens in beftimmte Grenzen eingefchränkt wird. Als
das Ziel der religiöfen Bildung wird nun (S. 47) mit
Recht angegeben, dafs man als Menfch etwas Ganzes
werde. Sollte aber zu diefem Zwecke fchon genügen,
dafs es mehr Gelegenheit gebe, Gottes Wort predigen
zu hören, und fich in chriftlicher Gefelligkeit zu bewegen?
Ift denn die gangbare Art des kirchlichen Unterrichts
auf allen Stufen fo befchaffen, dafs die Jugend benimmt
dazu angeleitet wird, wie ein Jeder durch die chriftliche
Religion zu der Würde erhoben werde, welcher in jener
Formel ausgedrückt ift? Ich habe allen Grund anzunehmen
, dafs die zahlreichen Mitglieder des evange-
lifchen Klerus, welche als folche fich für die platonifche
Metaphyfik in der Theologie und für Myftik begeiflcrn,
keine Ahnung davon haben, dafs es auf ein gleichartiges
und gefchloffenes Ganze chriftlicher Erkenntnifs ankommt.
Ohne eine folche Erkenntnifs nämlich wird der kirchliche
Unterricht unwirkfam bleiben, um einem Chriften dazu zu
helfen, dafs er in der Würde eines Ganzen in feiner Art
feine Stelle in dem Ganzen der chriftlichen Gemeinfchaft
finde. Ich hätte gewünfeht, dafs der Herr Verf., welcher
durch feine amtliche Stellung mehr als ich im Stande
ift, diefe Seite der Kirche zu beleuchten, die eben angeregte
Frage möchte ins Auge gefafst haben.

Göttingen. A. Ritfchl.

Möller, Gen.-Superint. D., Das ausseramtliche Leben des

Geistlichen. Vortrag, auf der Paftoral-Konferenz der
Provinz Sachfen am 28. Septbr. 1886 zu Wittenberg
gehalten. Wittenberg, Herrofe, 1886. (32 S. 8.)
M. —.50.

Ein umfaffendes Thema, faft zu weit für die ge-
meffenen Grenzen eines Vortrags, behandelt hier der
Verf. Er verfleht fich indeffen zu befchränken, indem
er, von einem echt evangelifchen, von allen falfchen
Prätentionen freien Amtsbegriff aus, die hauptfächlichen
Gefichtspunkte für das Verhalten des Geiftlichen in den
verfchiedenen aufseramtlichen Lebenskreifen angiebt, in
welchen er fich zu bewegen hat, für fein Verhalten im
Haus, im politifchen Leben als Staatsbürger und Glied
der bürgerlichen Gemeinde, fowie gegenüber der kirchlichen
Vereinsthätigkeit, fpeciell der inneren Miffion,
ferner für fein Verhalten zur Wifftnfchaft und Kunft
und im gefelligen Leben, im Leben des Verkehrs. Auf
das Detail geht der Verf. nur fo weit ein, als es zur
Illuftration der von ihm aufgeflellten Principien nöthig
ift. Ausführlicher verbreitet er fich über folche Punkte,
die für unfere Zeit von befonderem Intereffe find, und
fpricht dabei fehr beherzigenswerthe Wahrheiten aus,
wenn er u. A. vor der Vermifchung der Religion mit
der Politik und vor der Vermengung des Geiftlichen
mit dem politifchen Parteigebiete warnt, oder wenn er
fich gegen die fchablonenmäfsige Betreibung der inneren
Miffion und gegen die Vielgefchäftigkeit auf diefem Gebiete
wendet, die zur Peilten Sammlung keine Zeit läfst.
Der ganze Vortrag ift von tiefem chriftlichem Ernfte
getragen, der am Schluffe in der warmen und eindringlichen
Mahnung gipfelt, fich in der Zucht des Geiftes
Chrifti zu einer einheitlichen fittlich - religiöfen Perfön-
lichkeit hindurchzuarbeiten, die in fich felbft die Normen
ihres Thuns und ihres Verhaltens trägt.

Dresden. Meier.

Kratz, Pfr.a.D.Gymn.-Oberlehr.Dr.Heinr., Das Weltproblem
und seine Lösung in der christlichen Weltanschauung.

Ein Beitrag zur Beförderung einheitlicher Welterkenntnis
auf realiftifcher Grundlage. Karlsruhe, Reuther,
1887. (VIII, 327 S. 8.) M. 5.— ; geb. M. 6.—
Unter dem Weltproblem verfteht der Herr Verf. die
Fragen, welche die Welt, d. h. alles Seiende, als Ganzes

und in allen Einzelheiten an den Menfchen (teilt; die
Löfung des Problems gefchieht durch eine einheitliche
Weltanfchauung. Dafs die chriftliche Weltanfchauung
allein folche Löfung wirklich bringe, das den ,Gebildeten'
zu beweifen, ift der Zweck des Buches.

Durchaus zweckentfprechend gliedert fich das Werk
in zwei Theile, deren erfter das Weltproblem, deren
zweiter die Löfung des Weltproblems auf angegebenem
Wege behandelt; jeder diefer Theile hat wiederum zwei
Capitel. ,Genefis des Weltproblems' ift das erfte
Capitel des erften Theils überfchrieben (S. 3—35). Von
der Genefis desfelben in den Gebildeten unterer Tage
ift die Rede, und von der Kindheit an durch alle Arten
von Schulen hindurch wird der Gang der Bildung verfolgt
, bis fie ihr Product fertig gebracht hat. Von be-
fonders grofsem Intereffe ift das zweite Capitel des
erften Theils: ,Statiftik des Weltproblems' (S. 35—181).
Nichts Geringeres als eine Conftatirung refp. Regiftrirung
des gefammten Weltftandes, eine Ueberficht alles deffen,
was am Himmel und auf Erden ift und Gegenftand des
menfehlichen Forfchens und Wiffens, der menfehlichen
Gefelligkeit und des Verkehrs, der Einrichtungen in
Familie, Staat und Kirche, der Anhalten des öffentlichen
Wohles u. f. w. u. f. w. empfangen wir hier. Ohne behaupten
zu wollen, dafs nichts ausgelaffen fei, bewundern
wir die überrafchende Vollftändigkeit, die bis zu den
,Curiofitäten' der organifchen Schöpfung fich erftreckende
erftaunliche Kenntnifs des Herrn Verf.'s. Obgleich gerade
in diefem Theil der Stil unglaublich ift — dafs eine Satzperiode
drei Seiten umfafst und eine Fülle von Paren-
thefen in Gedankenftrichen, in runden und eckigen
Klammern umfafst, ift gar keine Seltenheit—, wird der
Lefer doch keineswegs ermüdet, weil der Spürfinn des
! Herrn Verf.'s und die Vollftändigkeit feiner Regifter immer
neue Ueberrafchungen darbietet. Der zweite Theil,
welcher die ,Löfung des Weltproblems' behandelt, giebt
zuerft (im dritten Capitel: .Inhalt der chriftlichen Weltanfchauung
' S. 181—262) eine ,Reconftruction der Weltanfchauung
Jefu Chrifti', denn nur diefe erkennt der
: Herr Verf. als fpeeififeh ,chriftlich' an. Im vollften Mafse
ift die warme Begeifterung des Herrn Verf.'s fowohl für
die Perfon Jefu Chrifti als für die Weltanfchauung des Herrn,
nicht weniger die ungemeine Sorgfalt, die fich bis auf's
Einzelne erftreckt und ein fehr ausgebreitetes Wiffen
des Herrn Verf.'s in jeder Zeile verräth, anzuerkennen.
Gleichwohl ift diefes Capitel leider die fchwache Seite
des Buches. Die Theologie des Herrn Verf.'s ift etwas
fchwächlich. So bereitwillig derfelbe ift, in jedem Menfchen
Unvollkommenheit und ein Zurückbleiben hinter dem
Guten zu conftatiren, fo hält er es doch für arge Ueber-
treibung, dafs im Menfchen aufser Chrifto nichts eigentlich
fo zu nennendes Gutes folle vorhanden fein, und
das Wort: was vom Fleifch geboren wird, ift Fleifch,
ift ihm verborgen geblieben. In der Lehre von der Perfon
Chrifti kommt er über das Wort des Nicodemus von
,dem Lehrer, von Gott gefandt', nicht hinaus; zwar die
,Paffion Jefu Chrifti' — nur fie? — ,hat fühnende, d. i.
Anderer Sündenfchuld tilgende Kraft' (S. 224 ff.), aber
wie das möglich ift auf Grund einer folchen Lehre von
der Perfon des Herrn, in welcher der Begriff der Offenbarung
Gottes in feinem Perfonleben (nicht nur in
feiner Lehre) völlig fehlt, in welcher daher auch alles
fehlt, was fich durch Rückfchlufs und Vorfchlufs daraus
ergiebt, ift nicht einzufehen. In gar vielen Einzelheiten
merkt man den theologifchen Dilettanten, oder vielleicht
richtiger: den Apologeten, welcher der Gefahr, das
Chriftenthum feines fpecififchen Charakters zu entkleiden,
um es den gebildeten' fchmackhaft zu machen, nicht
völlig entgangen ift. Auch das Erhöhtfein Chrifti hat
für uns keinerlei religiöfe Bedeutung; ,doch mag es da-
, neben (dafs Jefus Chriftus volle Gemeinfchaft mit Gott
i hat) immerhin ein für uns tröftlichcr Gedanke fein, dafs
I Jemand an der göttlichen Weltregierung Theil hat, der