Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1887 Nr. 7

Spalte:

147-151

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Ueber eine in Deutschland bisher unbekannte Fälschung des Simonides 1887

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

147 Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 7. 148

Begriffsbeftimmung, mit einem Worte eine tiefere Durch- I gemacht ift und dafs auch die uns erhaltenen griechifchen
dringung des Stoffes vvünfchen möchte — fchon der j Citate aus dem betreffenden Abfchnitt nicht berückfich-
Reichthum an Material, das hier mit raftlofem Fleifse | tigt worden find. ,Es ift fehr wohl möglich, dafs Simo-
gefammelt ift, macht es zu einem höchft werthvollen j nides das letzte Blatt des Cod. Lipsiensis verwerthet, ja

Hülfsmittel für die Exegefe und biblifche Theologie des
Neuen Teftamentes. Nur foll man nicht meinen, dafs
dadurch das treffliche Lexikon von Grimm entbehrlich
gemacht ift. Wer gut gerüftet fein will, mufs unbedingt
mit beiden Hülfsmitteln verfehen fein, die ja ganz ver-
fchiedenen Zwecken dienen.

Ein paar Deüderien, die mir beim Durchblättern
aufgeftofsen find, mögen zum Schluffe noch notirt
werden. In dem Artikel [tovoyevrjg S. 20g fällt auf, dafs
auf die Lesart itovnysrrjg -hög Joh. 1,18 keine Rückficht
genommen ift. Es gefchieht dies dann allerdings unter

noch eine andere Handfchrift, angeblich von einem Am-
philochios, verglichen hat. Möglich, dafs er nach letzterer
Handfchrift fein zweites Apographon, welches R.
Anger und W. Dindorf herausgegeben, gefertigt hat.
Auf lauter Schwindel beruht obige Mittheilung gewifs
nicht. In den Handfchriften freilich hat der nnXmqnuog
ävng auch hier gefchwindelt'. Nun theilt Hilgenfeld mit,
dafs die als fechste von Simonides befchriebene, von
der Wiener Bibliothek erworbene Handfchrift (Palimpfeft)
eine Fälfchung fei. Dennoch hält er es ,nach dem Inhalte
' für fchwer glaublich, dafs der griechifche Schlufs

dem Artikel ttsog S. 399 f. Aber die betreffenden Aus- j des Hermas reines Machwerk des Simonides fein folltc
führungen fcheinen mir doch unter erftere Rubrik zu j ,Es müfste ein höchft gelungenes Machwerk fein',
gehören; jedenfalls müfste dort darauf verwiefen fein. ! Nun — diefer griechifche Hermas ift allerdings ein
— Bei 0010g, öoibzijg wäre zu berückfichtigen: Meinke, i ,höchft gelungenes' Machwerk; es trägt meines Erachtens
Der platonifche und neuteftamentliche Begriff der ooiözing, I den Stempel der Fälfchung auf der Stirne. Die beiden
Stud. und Krit. 1884, S. 743—768 (oder ift die Berück- j Gelehrten hätten dem Publicum einen befferen Dienft er-
fichtigung abfichtlich unterblieben?). — Bei nqooevyj] i wiefen, wenn fie entweder diefen Schwindel der Verkönnten
für die Bedeutung ,Betört' noch mehr Beleg- geffenheit überlaffen oder, wenn denn das Stück hervor-
ftellen angeführt werden (f. meine Gefch. des jüdifchen gezogen werden mufste, es fofort in das gebührende
Volkes II, 370). Ich erlaube mir, bei diefer Gelegen- j Licht gefetzt hätten. Jetzt kann es erft recht Unheil
heit zu erwähnen, dafs über die Frage, ob es auch im j ftiften, da es, ohne Widerlegung abgedruckt, minder
Heidenthum als Bezeichnung einer Cultusftätte gebraucht j Kundige in Zukunft irrezuführen vermag. Die Widerwird
, unter den Archäologen eine Controverfe ftatt- I legung konnte weder Dräfeke noch Hilgenfeld fchwer
gefunden hat. Stephani hat nämlich behauptet, dafs 1 fallen. Ich verflehe daher nicht recht, warum fie beide

diefer Gebrauch nur jüdifch fei, indem fowohl die In-
fchrift von Olbia Corp. Inscr. Graec. n. 2079, als eine von
ihm felbft mitgetheilte Infchrift aus Anapa jüdifch feien
{Me langes greco-romains tires du Bulletin de VAcademie
imperiale des sciences de St.-Petersbourg t. II, 1859—1866,
p. 200—204). Dagegen hat neuerdings Latyfchev er-
wiefen, dafs gerade die Infchrift von Anapa heidnifch
ift [Inscriptiones antiquae orae septentrionalis Ponti liuxini
Graecae et Latinae cd. Latyschev, t. I, Petersburg 1885,

die Kritik abgelehnt haben. Da mir Gefahr im Verzug zu
fein fcheint, fofern diefer ,endlich gefundene' Hermas -
fchlufs bei der Popularität, deren fich patriftifche Entdeckungen
erfreuen, rafch der Ausgangspunkt für eine
kleine Literatur werden könnte, fo verzichte ich darauf,
einen erfchöpfenden Nachweis der Unechtheit zu geben,
refp. die übrigen Fälfchungen des Simonides um des
Sprachgebrauchs u. f. w. willen zu vergleichen. Ich hoffe,
dafs das, was ich bei der erften Leetüre mir angemerkt

Ueber eine in Deutschland bisher unbekannte Fälschung des

Simonides.

Bemerkungen zu n. 98). habe, genügen wird, um diefe neue Fälfchung des Simo-

Giefsen E Schürer ' mdes als folche zu erweifen.

1) Simonides hat nach der Kataftrophe vom J. 1856
(fiehe die Literatur über diefelbe in meinem ,/Jermae
pastor' p. XLII) feine Fälfchungen fortgefetzt und in
Pingland unterzubringen verfucht. Er ift dabei frecher
verfahren als je früher. Beweis dafür ift feine Barnabas-
ausgabe ,auf Grund von 7 (8) Handfchriften', die er auf
das Jahr 1843 zurückdatirt hat, obgleich fie auf der Entdeckung
des Sinaiticus durch Tifchendorf beruht, alfo
jedenfalls nach 1863 entftanden ift. Um die Fälfchung
zu decken, ift er in der Unverfchämtheit fo weit gegangen
, eine Zeitungsnummer mit der Auffchrift ,Smyrna
1843' drucken zu laffen, welche eine lange Recenfion
feiner Ausgabe enthält (f. Athenaeum Jan. 8. 1876 p. $3sq.,
Barnab. ep. ed. Gebhardt etc. p. XXIII). Wer um 1863
fo gefälfeht hat, nachdem er 1855 die Gelehrten grob
befchwindelt hatte, von dem ift auch in der Zwifchen-
zeit (1859, f. oben) nichts Gutes zu erwarten. Man achte
aber auch dort wie hier auf die ,7 oder 8 Handfchriften'.
Simonides edirte nach einer oder nach zwei Handfchriften,
fcheint aber gern von mehreren gefprochen zu haben,
um fich für die Zukunft das Gefchäft nicht zu verderben;
denn — wie uns auch die Fälfcher des Renaiffancezeit-
alters lehren — es ift viel bequemer, eine Schrift in
mehreren Handfchriften zu produciren, als mehrere Schriften
in je einer Handfchrift.

2) Die Befchreibung der beiden Handfchriften, aus
denen der Text des Hermasfchluffes gegeben ift — eine
des Amphilochius, eine des Clemens (Dräfeke S. 174h) -—
ift fo verdächtig wie möglich. Die Schrift foll bei Amphilochius
in drei Abtheilungen zerfallen mit folgenden
Ueberfchriften: Eqiia öovkov ctnoazoXov Iinaoti Xqiotov
oqaoeig navte — Egua öovlov tov cmoozolov Irjooi'

In der Ztfchr. f. wiffenfeh. Theol. 1887, H. 2, S. 172 fr.
hat J. Dräfeke unter dem Titel ,Zum Hirten des Hermas'
den b'sher noch immer vermifsten griechifchen Schlufs
des Hirten des Hermas abgedruckt. Entnommen ift der-
felbe einem angeblich in London 1859 bei David Nutt
erfchienenen Sammelwerke vonKonftantin Simonides:
'Ogü-oöök'iov 'Ellyvcov ■aeoloyr/.ai ygaqjai zriiaageg, von
welchem man in Deutfchland aus guten Gründen feiner
Zeit keine Notiz mehr genommen zu haben fcheint. In
diefem Werke befchreibt Simonides feine neun(!) griechifchen
Hermashandfchriften und theilt dann aus zweien,
der Amphilochius- und Clemenshandfchrift, unter Zugrundelegung
der letzteren, den Text des Schluffes des
Hirten mit. Dräfeke urtheilt, obgleich er gewarnt worden
ift: ,die Angaben (über die neun Handfchriften) in
Zweifel zu ziehen, liegt, wie mir fcheint, zunächft kein
ftichhaltiger Grund vor'. Er theilt Einiges aus ihnen mit
und läfst dann den Abdruck des bisher vermifsten
Stückes folgen: ,Unbeirrt durch die Verdächtigungen,
die Simonides von feinen Zeitgenoffen, zum Theil auch
noch — wie ich hinzufetzen kann, ohne ftichhaltigen
Grund — von heutigen Hellenen zu erleiden gehabt hat,
und unbekümmert um den Streit der fünfziger Jahre
auch über den Hirten des Hermas, laffe ich Simonides'
Veröffentlichung folgen .... Ich felbft enthalte mich
jedes Urtheils u. f. w.' In dem Nachwort (S. 185 f.) drückt
fich Hilgenfeld ebenfo refervirt aus wie Dräfeke. Er con-
ftatirt, dafs diefer griechifche Schlufs nicht aus den beiden

lateinifchen und der äthiopifchen Ueberfetzung zurecht Xgiazov evzoXai diwdey.a [sie] — Eg. ö. z. a. I. Xg. näga-