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Ausgabe:

1887

Spalte:

97-99

Autor/Hrsg.:

Fritz, Johs.

Titel/Untertitel:

Aus antiker Weltanschauung. Die Entwicklung des jüdischen und griechischen Volkes zum Monotheismus, nach den neuesten Forschungen dargestellt 1887

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Hartiack, Prof. zu Marburg,und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Ericheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N° 5. 12. März 1887. 12. Jahrgang.

Fritz, Aus antiker Weltanfchauung (Holtz- ; Grau, Das Selbftbewufstfein Jefu (Holtzmann).

mann).

St an ton, The Jewish and the Christian Messiah
(Schürer).

Bigg, The Christian Platonists of Alexandria

(A. Harnack).
Seydel, Religion und WflTenfchaft (Holtzmann).

Scheele, Die kirchliche Katechetik (Bafler-
mann).

Zufchrift von E. Ranke

Fritz, Dr. Johs., Aus antiker Weltanschauung. Die Entwicklung
des jüdifchen und griechifchen Volkes zum
Monotheismus, nach den neueften Forfchungen dargestellt
. Hagen, Rifel & Co., 1886. (IV, 433 S. gr. 8.)
M. 7.—

Die Einleitung (S. 1—36) Hellt über ,religiöfe Ur-
fprünge' die bezüglichen Anflehten von Tide, Lippert
und Seydel, von Ebrard und Steude, von Sendling,
Delff und Max Müller ,fo fragmentarifch als möglich'
(S. 29) zufammen, um zu dem Refultate zu gelangen:
,in der menfehlichen Natur felbft mufs die Grundlage
aller Religion gefunden werden'. ,Aus der Tiefe diefes
unferes Selbftbewufstfeins entquillt dann als Erweiterung
und Vertiefung jenes urfprünglichen Glaubens und Ahnens

räth die Wendung ,gleichfam zum erflen Male' eine
Eigenthümlichkeit des Stils, die mit der inneren Unsicherheit
und Unfertigkeit der Gedankenwelt des Ver-
faffers zufammenhängt. Auch feine Referate aus den
oben angeführten Werken enthalten ,gleichfam das
Refultat einer jungen Geiftesdisciplin, der vergleichenden
Religionswiffenfchaft' (S. 35), und nachdem ein andermal
,die zu einem Gefammtbilde religiös-philofophifchen
Denkens aneinandergereihten Citate aus Timäos, Phädrus,
Phädon, dem Gaftmahl, der Metaphyfik, der Ethik und
der Seele den Lefer hineingeführt haben in das Bereich
griechifcherSpeculation des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr.,
damit er wenigflens die überrafchende Schönheit platonischer
Gedankenfülle und ariftotelifcher Geiftesfchärfe
ahne und fich einweihe in diefer Geiftesheroen Suche

eines Göttlichen das normativ Beftimmende, wie wir es | nach dem Brennpunkte alles Dafeins, fo haben wir jetzt

uns an fich oder zur Welt als Einheit oder zu den ein
zelnen Individuen denken, das wir dann wohl als das
im Laufe der Jahrtaufende erarbeitete Refultat eines
inneren Offenbarwerdens auffaffen dürfen' (S. 31). Wir
könnten diefem Satze noch unzählige andere an die
Seite ftellen, um darauf die Behauptung zu begründen,
dafs, was der Verfaffer vermuthlich lagen will, fich
gewöhnlich deutlicher mit einem einfachen, aus wenigen
Worten beftehenden Satze fagen liefse, was er aber
darüber hinaus fagt, auch infofern vom Uebel ift, als es
regelmäfsig nur dazu dient, den Sinn zu verdunkeln.
Man hat wohl einft fo gefchrieben, Niemand aber follte
heute mehr fchreiben, wie der Verfaffer z. B. S. 207 f.
gelegentlich der allgemeinen Charakteristik der heidnifchen
Religiofität thut: ,Das Gottesbewufstfein, wie es zufolge
der Icheinheit in die Welt hineingetragen wurde, war
diefer polytheiftifchen Menfchheit wie uns ein einheitliches
, und es fand feine concrete Fülle und Grundlage
in der Betrachtung der im Bann der Nothwendigkeit
und ewigen Gleichmäfsigkeit fich äufsernden Natur.
Und wie das tieffte Wefen der menfehlichen Natur, die
Egoität, fich ganz der Totalität des Weltalls hingab, weil
fie in ihm jenen Kettenzug der Natur empfand, der auch
den einzelnen Menfchen umfafst, ja diefer einzelne Menfch
eben kraft feiner Egoität fich für den Mittelpunkt der
Welt hielt und glaubte, dafs der Sternenwelt Dafein

die Philofophen zweiten Ranges gleichfam in's Äuge
zu faffen' (S. 299). Und wie das ,Gleichfam', fo liebt
der Verfaffer aus denfelben Gründen auch das ,Ziemlich'.
Nach G. Unruh läfst fich ein ziemlich deutliches
Bild von Jerufalem gewinnen, wenn man Zion und Morija
als zwei Mittelpunkte betrachtet (S. 114), und der Verfaffer
felbft verfucht von vornherein nur, ,eine ziemlich
klare Erkenntnifs über die geiftige Entwicklung des
ägyptifchen Volkes zu gewinnen' (S. 57).

Zweierlei Lob kann ihm gleichwohl nicht vorenthalten
werden. Er ift erftens von einer guten Abficht
geleitet, wenn er ,den religiöfen Denkprocefs' (S. 2) der
Semiten und der Arier, fpeciell der Israeliten und der
Griechen ,von feinen finnlichen Anfängen bis zum mono-
theiftifchen Erfaffen des Göttlichen auf Grund der neueften
Darftellungen hervorragender Orientaliften und Gefchicht-
fchreiber' (S. 36) zur Anfchauung bringen will, um fo
ein neues Intereffe für Fragen zu erwecken, welche fo
viele Zeitgenoffen mit dem biblifchen Gefchichtsunter-
richt und feinem ,Supranaturalismus' ein- für allemal
abgethan zu haben glauben (S. 85). Zweitens hat er
zu diefem Zwecke eine Unmaffe von Literatur bewältigt
, die mannigfachsten Kenntnifse angefammelt und es
an Fleifs nicht fehlen laffen. Darin dürfte geradezu der
Werth des Buches gefunden werden. Auch ich habe
darin Vielerlei gefunden, was mir zuvor unbekannt geZweck
fei, ihm feines Gefchickes Fügung und Verlauf! wefen war. Aber der Verfaffer kennt faft Alles nur von

zu dolmetfchen, fo übertrug er auch bald in Folge feiner
erregten Phantafie und feines wachfenden Reflexions-
beftrebens auf die Natur, was feines Herzens Grundzug
war' (S. 207 f.). ,Wenn in der ägyptifchen Priefterwelt,
wie überhaupt im gefammten femitifchen Heidenthum,
das Dafein Gottes als fubjective Vorftellung gefafst
wurde, fo betonte Mofes gleichfam zum erften Male
feine reale Exiftenz, wie heutzutage z. B. dem menfehlichen
Geifte eine reale Exiftenz zugefchrieben wird im
Gegenfatze zur Erfaffung desfelben als einfaches Lebens-
pnneip unferes Körpers' (S. 74).

In diefen auch inhaltlich bezeichnenden Sätzen ver-

zweiter Hand. Zumal beruht, was im erften Buch über
,das jüdifche Volk' gefagt wird (S. 37—195), durchweg
nur auf Lefefrüchten. Da er fich nicht blofs an veraltete
oder an fich zweideutige, fondern zum guten Theil auch
an bewährte und verläfsliche Gewährsmänner hält, fo
bringt er felbftverftändlich des Guten und Wahren nicht
wenig. Aber feine Anflehten über die letzten Wurzeln
des hebräifchen Monotheismus find verdeckt von einer
Maffe zwecklos aufgefchütteten gefchichtlichen Materials,
und nicht einmal die Zufammenhänge, welche jedenfalls
beftehen zwifchen den religiöfen und den Sittlichen Anlagen
und Errungenfchaften der Israeliten, treten in

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