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Ausgabe:

1887 Nr. 4

Spalte:

86-88

Autor/Hrsg.:

Frommel, Emil

Titel/Untertitel:

Die zehn Gebote Gottes in Predigten. 5. verb. Aufl 1887

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 4.

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den Geilt in der Erfcheinung zu faffen und das Zufällige den alten Tummelplatz theologifcher Velleitäten hinüber-
und Vergängliche von dem Bleibenden zu unterfcheiden. fpielen zu können, die man für die Hauptfachen erachtet.

Es ift fchon manchmal, und in der letzten Zeit lauter Dafs es Manchem mit diefen Lehren, die weder vor dem
als früher behauptet worden, dafs die Predigt und die > Forum der Gefchichte noch des Verbandes beliehen
Perfon Jefu fich nicht löfen laffe von dem gefchichtlichen können und das Evangelium verwirren, bitterer Ernft ift,
Boden, auf welchem er geftanden hat, dafs zwifchen dem weifs ich fehr wohl. Aber unbegreiflich ift es mir, dafs
Evangelium Jefu und dem Chriftenthum feiner Jünger, ein Theologe, der mit entfchloffenem Wahrheitsfinn und
vor atlem des Paulus, eine unüberbrückbare Kluft liege, vollkommener Hingebung die Gefchichte der Kirche
und dafs endlich die reformatorifche Zufammenfaffung ftudirt hat, fich bei dem Gebilde von Chriftenthum be-
des Chriftenthums dem Flvangelium nicht entfpreche, ruhigen kann, welches unfere dogmatifchen Lehrbücher
fondern vielmehr eine Art von neuer Religion begründe, j als folches ausgeben.

Welchem Forfcher wären bei der Unterfuchung diefer I Auch wer mit Ritfehl in der Frage der Lösbarkeit
Dinge nicht Zweifel aufgeftiegen! Aber immer wieder der Aufgabe, wie er fie fich geftellt hat, übereinftimmt,
und immer klarer wird dem, der fich um fie ernfthaft wird manches grofse und kleine Fragezeichen den Ausbemüht
, das Evangelium in einer Innerlichkeit und Ho- führungen diefes .Unterrichts' beizufetzen haben. Ich
heit entgegentreten, die ihm die Fähigkeit verleihen, die will nur Eines nennen, was mir befonders am Herzen
verfchiedenften Formen des Denkens und der Lebens- liegt. So felbftändig der Verfaffer verfahren ift — er
regelung zu ertragen, ohne von ihnen erdrückt zu werden. , hat doch das Beftreben gehabt, auch im Einzelnen feine
Immer wieder wird er empfinden, dafs es eine Kraft Darftellung den lehrhaften Ausführungen biblifcher
ift, Gefinnung und That erweckend, die von Jefus Chri- , Schriftfteller und der Reformatoren, foweit möglich, an-
ftus ausgegangen ift. Diefe Kraft ift in den erften Jüngern I zunähern. Das gefchichtliche Recht diefes Verfahrens
mächtig gewefen und hat ihnen die Gewifsheit gegeben, in der Kirche fteht aufser Zweifel und darf am Wenigften
dem lebendigen Gott verantwortlich, aber auch von ihm . von denen beanftandet werden, deren ganzes Syftem auf
gefchützt zu Tein. Sie hat fie freudig gemacht, fich ihres : complicirten Accomodationen und fortgefetzten Umdeu-
Gottes zu tröften trotz einer Welt der Sünde und fich tungen beruht. Allein es ift mir fehr fraglich, ob der
als Gottes Mitarbeiter an feinem Reiche zu wiffen unter Sache damit wirklich gedient ift, und ob es nicht auch
einem verkehrten Gefchlecht. In folchem Glauben und in diefer Hinficht geboten ift, mit dem alten dogmen-
folcher Arbeit haben fie aufgeblickt zu ihrem Herrn 1 gefchichtlichen Procefs der Umdeutungen und halben
Jefus Chriftus, der ihnen den Vater kund gethan, der Anfchlüffe zu brechen. Wir leben in einem Zeitalter,
Sünde und Tod überwunden hat und mit feinem Geilte welches gegen jede Formel empfindlich und mifstrau-
mitten unter ihnen ift. Ich kann nicht finden, dafs Lu- ■ ifch ift, die fich nicht völlig mit der Sache deckt. Den
ther's Chriftenthum ein anderes gewefen ift. Die Mächte, ' Sprachgebrauch werden wir fchwerlich, wie dies in

die er kannte und bei Namen gerufen hat, waren die
felben, und das Ziel, dem er defshalb freudig entgegen-
fah, welches er nicht fchaute und doch glaubte, war das-
felbe.

Der Katechismus der Religion des Evangeliums ift
kurz, und der chriftliche Glaube, der in der Liebe thätig
ift, verträgt es nicht, nach der Breite und Länge ge-
meffen zu werden. Wie er nicht die fublimen Bedürf-
nifse einer raffinirten Frömmigkeit befriedigt — fie find
ein Erbtheil der verfallenden Antike und für fie find einft
die Myfterien gefchaffen worden —, fo befriedigt er
auch nicht das Streben nach einer tieferen Erkenntnifs
der Welt. Er hat es überhaupt nicht mit der Welt zu
thun, fondern allein mit dem Heil, das von der Welt

früheren Jahrhunderten fo oft gefchehen ift, in diefen
Dingen mehr ändern. Nur wo ein Wort in der religiöfen
Sprache urfprünglich wirklich den zutreffenden Sinn
gehabt hat, der heute giltige aber der fpätere ift, ift es
Pflicht, den Verfuch zu machen, das Wort in feiner ur-
fprünglichen Bedeutung zur Anerkennung zu bringen —
fo z. B. in Bezug auf den terminus Sohn Gottes. Ritfehl
hat in diefer Hinficht bereits viel geleiftet; aber mir
fcheint, dafs noch Manches zu thun übrig ift. Was z. B.
die Chriftologie anlangt, fo find die Ausführungen der
zweiten Auflage m. E. nicht überall Verbefferungen. Da
das Buch grundfätzlich nicht Prolegomena, fondern die
Sache geben will, fo ift auch auf jede einleitende Darlegung
des Gebrauchs, der von der h. Schrift zu machen

befreit. .Freuet euch nicht, dafs euch die Geifter unter- ; ift, verzichtet. Allein fo wie die Dinge liegen, zeigt der

than find, freuet euch aber, dafs euere Namen im Himmel
angefchrieben find'. —

Als .Untericht in der chriftlichen Religion' fufst diefes
Werk von Ritfehl auf keiner Tradition. Indem es
die oben gefchilderte Aufgabe zu löfen fucht, mufste es
fich Anordnung, Form und Ausdruck zum Theil erft

factifche Gebrauch doch nicht hinreichend deutlich,
welche Stellung der evangelifche Chrift zur Schrift einzunehmen
hat.

Doch es ift nicht meine Abficht, Bedenken oder
Wünfche im Einzelnen zu formuliren. In der Geftalt,
wie es vorliegt, hat diefes Buch fchon feine Dienfte gefchaffen
. Wer überfchlägt, was das heifsen will, braucht ; than und wird fie ferner thun. Die Aufgabe, die hier
nicht erft daran erinnert zu werden, dafs er hier im geftellt und in wichtigen Stücken gelöft ilt, kann der
befonderem Mafse zu der Beurteilung verpflichtet ift, j evangelifchen Theologie um ihrer felbft und um der
welche das Gute anerkennt. Er wird in dem dankbaren Kirche willen nicht mehr entfallen. Diefes Buch aber
Gefühl, dafs hier eine grofse Aufgabe richtig angefafst ift, wird unvergeffen bleiben.

erfreut fein Augenmerk zunächft auf das Grofse richten, ' Marburg. A. Harnack.

was gelungen ift. Hätte man in dem gegnerifchen Lager --------_

auch nur die Spur eines Gefühles davon gezeigt, dafs Frommel, Hofpred. Garnif.-Pfr. Dr. Emil, Die zehn Gebote
eine Aenderung der Lehrweife notwendigifl:, c¥s ge- Gnttes ;„ predigten> ?_ yerb Aufl R Rlrf 8g

fehichtheh ficher erkannte Wahrheiten nicht fchlechtere 3 ■>

Wahrheiten find als irgend welche andere, und dafs (Vll, 213 b. 8.) M. 3.-; geb. M. 4.—

unfere Scholaftik das Evangelium bedeckt und dem

,W

eniges habe ich nur im Laufe der Jahre ändern

evangelifchen Volke nahezu entfremdet hat — die gegen- können; wollte ich nicht von Grund aus fie umgeftalten,
wärtigen Kämpfe hätten von Anfang an eine andere Ge- mufste ich fie flehen und gehen laffen, wie fie find', tagt

ftalt angenommen. Aber davon war wenig zu fpüren.
Weder die Gröfse der Schuld, welche die Kirche fich
aufgeladen hat, noch die wahre Urfache der Entfrem

der Herr Verf. in der Vorrede zu diefer fünften Auflage.
Die Erklärung, welche der frühere Badifche Landeskatechismus
in Verfchmelzung des kleinen Lutherifchen

dung wird anerkannt, und für die Aufgabe, welche Ritfehl . und des Heidelberger Katechismus giebt, ift der Leit-
fich geftellt hat, fcheint das Verftändnifs fo fehr zu fehlen, faden der Gedankenentwicklung. Die bekannte Meifter-
dafs man glaubt, fich ihr entziehen und den Streit auf ! fchaft Frommel's als Prediger, in welcher er vielleicht

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