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Ausgabe:

1887 Nr. 4

Spalte:

76-79

Autor/Hrsg.:

Meyer, Heinr. Aug. Wilh.

Titel/Untertitel:

Kritisch exegetischer kommentar über das Neue Testament. 2., 7. u. 9. Abth 1887

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 4.

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l ue Idee des Bundes, welche uns feit unferer früheften
Jugend mit der Gefchichte Ifrael's unablöslich verbunden
zu fein fcheint, foll nacli Wellhaufen eine Schöpfung der
fpäteren Propheten fein. ,Das Verhältnifs Jahve's zu
Ifrael war von Haus aus ein natürliches'. Die allgemeinen
Erwägungen, welche Finsler hiergegen vorbringt,
enthalten viel Richtiges. Es darf aber auch auf die
concrete Thatfache hingewiefen werden, dafs der Bundesgedanke
fich in ältefter Zeit auch fchon bei Nicht-
ifraeliten findet, alfo urfprünglich gar nicht etwas fpe-
cififch Ifraelitifches ift. Der Baal Berith der Sichemiten
ift nicht, wie es freilich ungrammatifch genug gewöhnlich
erklärt wird, der Baal, welcher den Bund oder die
Bündnifse'fchützt (Zeig ooxiog), fondern der, mit dem
man einen Bund gefchloffen hat, wie fich unwiderleglich
aus Gen. 14,13 ergiebt. Die Bedeutung, welche die Idee
des Bundes in Ifrael gewonnen hat, wird durch diefen
Nachweis durchaus nicht verringert. Finsler weift gelegentlich
fehr richtig darauf hin, dafs die Einzigartigkeit
des religiöfen Genies nicht davon abhängt, ob die von
ihm vertretenen Wahrheitsgedanken zeitlich fchon vor
ihm ausgefprochen worden find oder nicht, und, wie ich
hinzufetze, ob fie fich etwa räumlich auf anderen Gebieten
nachweifen laffen; fondern von der befonderen
Ausgeftaltung derfelben und noch mehr von der unmittelbaren
Gewifsheit, mit der die Wahrheit aufleuchtet
und zur perfönlichen Lebensenergie wird. In diefer Beziehung
fleht Israel einzigartig da; aber die Bundesidee
an und für fich, d. h. der religiöfe Gedanke, dafs man
mit der Gottheit ein gegenfeitiges fittliches Verhältnifs
eingehen kann, ift nicht etwas fpecififch Ifraelitifches, um
fo weniger aber ift fie erft kurz vor dem Exil ausgeprägt
worden.

Noch ein anderes Beifpiel. Nach Wellhaufen ift die
Opfergefetzgebung erft codificirt worden nach der Zer-
ftörung des Tempels, weil während feines Beftandes gar
keine Veranlaffung dazu vorhanden gewefen wäre. Danach
könnten auch die Opfertafeln von Carthago und
Maffilia, die übrigens Excerpte aus umfangreicheren Verordnungen
find, erft nach der Zerftörung Carthago's ab-
gefafst fein. Solche Behauptung wäre aber abfurd.
Diefe Opfertafeln find fernerauch inhaltlich von gröfstem
Intereffe und dürfen, wo es fich um die Erläuterung und
Altersbeftimmung der altteftamentlichen Opfergefetzgebung
handelt, nicht einfach ignorirt werden. Die
Opfertafel von Maffilia zeigt die auffallendften Berührungen
mit Leviticus 1 ff. In derfelben Reihenfolge wie
hier bilden dort den Stoff des Opfers Grofsvieh, Kleinvieh
, Vögel, Feldfrüchte. Die hervorragende Bedeutung
des Brandopfers bei A, welche nach Wellhaufen eine
fpäte Neuerung fein foll, hat ihre genaue Parallele darin,
dafs auch auf der Tafel von Maffilia das dem hebräifchen
nby entfprechende phönicifche 2b3 an erfter Stelle genannt
ift. Dafs die verfchiedene Praxis in Bezug auf
die Abgabe an den Priefter fich fehr wohl aus localen
Differenzen erklären läfst, fieht man daraus, dafs nach
der maffilienfifchen Tafel die Priefter durch Geld und
P leifch entfchädigt wurden, das Fell aber dem Darbringer
des Opfers gehörte, während auf der der maffilienfifchen
fonft äufserft nahe verwandten erften Opfertafel von
Carthago von Geld nicht die Rede ift (aufser beim Geflügelopfer
), das Fell der Opferthiere aber dem Priefter
zugefprochen wird wie Levit. 7,8. Aber noch wichtiger
als diefe Einzelheiten ift mir die Thatfache, dafs in Carthago
Jahrhunderte vor dem Untergange des Staates
peinlich genaue, den hebräifchen nahe verwandte Verordnungen
über die Opfer fchriftlich exiftirt haben. Dafs
die Technik des Opfers einem alten Volke gleichgültig
gewefen fein follte, ift eine durch und durch moderne
Anfchauung, vielmehr ift gerade fie es, über welche die
Priefter peinlich zu wachen haben. Die Kenntnifs diefer
Technik wird anfangs durch mündliche Tradition vererbt
, dann durch fchriftliche Fixirung. Aber fo unprak-

tifch find die Alten nicht gewefen, dafs fie die Gefetze
erft dann aufgefchrieben hätten, als fie nicht mehr in

, Anwendung kamen. Die älteften Inhaber der Schreibe-
kunft waren die Priefter; fie werden ihre Kunft auch auf

| das verwandt haben, was ihnen am meiften am Herzen

I lag, und die Priefter im alten Ifrael werden hiervon

i keine Ausnahme gemacht haben.

Kiel. Friedrich Baethgen.

Meyer, Dr. Heinr. Aug. Wilh., Kritisch exegetischer Kommentar
über das Neue Testament. 2., 7. u. 9. Abth.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprechts Verl., 1886.
(gr. 8.) M. 19. 60.

Inhalt: 2. Das Evangelium des Johannes. 7. Aufl., neu bearbeitet von
Ob.-Confitt.-R. Prof. Dr. Bernh. Weifs. (VIII, 716 S.) M. 8. —. —
7. Der Brief an die Galater. 7. Aufl., neu bearbeitet von Prof. Dr.
Friedr. Sieffert. (XIII, 377 S.) M. 5. —. — 9. Die Briefe an die
Philipper, Koloffer und Philemon. 5. Aufl., völlig umgearbeitet von
Prof. Dr. A. H. Franke. (VIII, 539 S.) M. 6. 60.

Gleichzeitig find mehrere Bände des Meyer'fchen
{ Commentars in neuen Auflagen, theilweife auch in neuen
Bearbeitungen erfchienen. Ueber das Verhältnifs der
Arbeit von B. Weifs zu Meyer's Grundlage und über die
ganze Anlage und Stellung des Meyer-Weifs'fchen Jo-
' hannes-Commentars hat Schürer feiner Zeit ausführlich
! berichtet (f. Theol. Litztg. 1880, Nr. 21, Sp. 501—503), und
' der Unterzeichnete wüfste dem weder etwas zuzufügen
i noch abzuziehen. Dem dort ausgefprochenen Wunfche
] nach Zufammenftellung der textkritifchen Beobachtungen
des Herausgebers ift nicht entfprochen worden, ohne
Zweifel fchon aus Gründen der Gleichmäfsigkeit. Auch
j die anderen von Weifs bearbeiteten Theile des Commen-
i tars entbehren eines Abfchnittes über handfchriftliche
Ueberlieferung. Doch find die neueren Arbeiten englifcher
Gelehrten für die textkritifchen Anmerkungen verwerthet;
durchgängig neu benutzt die Commentare von Keil und
Schanz; fehr mit Recht wird dabei die wiffenfchaftliche
Unfangenheit auf Seite des katholifchen Exegeten höher
taxirt, als die des Vertreters der äufserften proteftan-
tifchen Orthodoxie und Harmoniftik. Godet's neue Auflage
hat, weil noch nicht in deutfcher Ueberfetzung erfchienen
, keine Berückfichtigung erfahren. Auch fonlt
finden fich in der um 21 Seiten angewachfenen neuen
Auflage mancherlei Spuren und Früchte von Nacharbeit.
Infonderheit find nicht wenige der zahlreichen Verfehen
und Druckfehler, welche die Auflage von 1880 aufwies,
verbeffert. So ift der falfche Accent aufRenan's Name
verfchwunden und demgemäfs Hoffnung vorhanden, dafs
auch AI. Schweizer, der nicht Schweitzer (S. 40 f.) heifst,
zu feinem Recht gelange. Für eine etwaige neue Auflage
feien noch folgende Druckfehler der hier vorliegenden
notirt: S. 3 Jahrbücher für pract. (ftatt proteft.) Theologie.
S. 18 Theophylus. S. 89 Lev. 14,57 (ftatt 15,47). S. 123
Tob. 11,18 (ftatt 9,12. 10,1). S. 197 Jef. (ftatt Jer.) 31,3.
S. 218 13 (ftatt 12). S. 243 ift B hinter üy«lliaa^ijvai zu
ftreichen (trotz Tifchendorf cd. 8). S. 249 gemeinte (ftatt
genannte). S. 384 AI. (ftatt Ab.). S. 396, 3. Z. v. u. fie
(ftatt es). S. 503 ift De W. Z. 4 u. 5 zu verfchiedenen Erklärungen
notirt, doch wohl Z. 4 zu ftreichen. S. 623 V. 20
—26 (ftatt 29). S. 632 Z. 3 v. u. Matth, (ftatt Mark.) 26,52.
S. 636 ift unter denjenigen, welche in der Nennung des
Petrus 18,10 antipetrinifche Tendenz wittern, Kuinöl jedenfalls
irrig genannt; es wird Keim heifsen follen, trifft aber
auch dann nicht recht zu (vgl. Gefchichte Jefu III, S.
315 f.). S. 661 Theol. Jahrb. 1854 (ftatt 1864). S. 663 Z. '
4 v. o. 18,33 (ftatt V. 33). S. 687. V. 16 (ftatt 10).

F,s ift Tehr richtig, was der Bearbeiter S. VIII bemerkt
, dafs von den philologifchen, lexikalifchen und
archäologifchen Nachweifungen Meyer's Vieles veraltet
und dafs es nicht mehr möglich ift, in einem handlichen
Commentar ein wefentlich vollftändiges Bild der ganzen
exegetifchen Arbeit zu geben, die an die auszulegende