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Ausgabe:

1887

Spalte:

73-76

Autor/Hrsg.:

Finsler, Rud.

Titel/Untertitel:

Darstellung und Kritik der Ansicht Wellhausens von Geschichte und Religion des Alten Testamentes 1887

Rezensent:

Baethgen, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Marburg,und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Ericheint Prels
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N° 4. 26. Februar 1887. 12. Jahrgang.

Finsler, Wellhaufen's Anficht (Baethgen). : Ritfehl, Unterricht in der chriftlichen Religion.

Meyer, Kritifch exegetifcher Kommentar über 3. Aufl. (A. Harnack).

das N. T. Neue Bearbeitungen von Weifs Frommel, Die zehn Gebote in Predigten

[Joh.Ev.], Sieffert [Galaterbrief] und Franke (Achelis).

[Philipp. Kolofl". Philemon] (Holtzmann). j Windel, Beiträge aus der Seelforge (Bafler-

Abercius von Hieropolis (Krüger). mann).

Claffen, Kant und die Theorie der Sinneswahrnehmung
(F. A. Müller).

Renan, L'Abesse de Jouarre (A. Harnack).

Entgegnung von Bärthold und Duplik von
Wetzel.

Finsler. Ffr. Rud., Darstellung und Kritik der Ansicht Wellhausens
von Geschichte und Religion des Alten Testamentes.

'Aus: ,Verhandlgn. d. Asket. Gefellfch. in Zürich'.]
Zürich, Schulthefs, 1887. (91 S. 8.) M. 1. 20.

Die erfite umfangreichere Hälfte diefer kleinen Schrift
enthält ein fleifsiges Excerpt aus Wellhaufen's Prolego-
mena. Auf den für die Kritik übrig bleibenden 48 Seiten
läfst fich nun freilich, wie Finsler es verfucht, ein Well-

fammenzuftellen, welche Bekanntfchaft mit A verrathen.
Solche Stellen find vorhanden, und fie verlieren dadurch
Nichts von ihrem Gewicht, dafs fie auf diejenigen keinen
Eindruck machen, welche von dem jüngeren Alter der
Grundfchrift ,überzeugt' find. Ferner ift nach derfelben
Methode, durch welche früher der nachmofaifche Ur-
fprung von A erwiefen ift, d. h. aus dem Inhalte diefer
Quellenfchrift, der Nachweis zu führen, dafs fie nicht
erft im Exil entftanden fein kann, und dafs die von

häufen nicht widerlegen; auch bedarf es, um die von | Wellhaufen für den exilifchen Urfprung vorgebrachten
ihm errichtete Burg zu erftürmen, eines fchwereren Ge- ', Argumente nicht ftichhaltig find. Hierfür hat Finsler
fchützes, als es dem Verfaffer zu Gebote fteht. Damit I Einiges geleiftet; es bleibt aber noch Viel zu thun übrig,
foll jedoch nicht geleugnet fein, dafs Finsler eine Anzahl und es find noch andere Gefichtspunkte in Betracht zu
treffender Argumente gegen Wellhaufen vorgebracht hat i ziehen als die, auf welche Finsler fich befchränkt hat.
und gelegentlich mit Gefchick auf die Schwächen feiner ! Hier nur ein Beifpiel.

Kritik hinweift. Ich rechne hierher den erneuten Nach- Von grofser Wichtigkeit für die Altersbeftimmung

weis, dafs fchon von Hiskias die Centralifation des Cultus i der in der Quellenfchrift A enthaltenen Anfchauungen
angefirebt worden ift, und dafs diefer Verfuch an cen- | und von ihr fanetionirten Inftitute ift die Vergleichung
tralifirende Beftrebungen der Priefterfchaft in Jerufalem mit den parallelen Erfcheinungen bei ftammverwandten
angeknüpft haben wird. Ferner ift belonders fchlage-nd 1 Völkern, natürlich folchen, welche auf derfelben Cultur-
der Hinweis auf den unerträglichen Widerfpruch, in den 1 ftufe ftanden, wie die Ifraeliten. Die Refultate. welche
Wellhaufen fich verwickelt, wenn er einerfeits die Be- I fich mir auf diefe Weife ergeben haben, find für mich
deutung Mofis für die Herrfchaft des Gottesbewufstfeins eins der wichtigften Momente, Wellhaufen's Auffaffung

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in Ifrael als eine für alle Zeiten epochemachende kenn
zeichnet, während anderfeits das Verhältnifs Jahve's zu
Ifrael als natürliches fchon vor Mol'es beftanden haben,
durch ein fittlich-bedingtes aber erft zur Zeit der
Syrer und Affyrer erfetzt fein foll. Finsler hat ganz
Recht, wenn er folcher Auffaffung gegenüber die Frage

der altifraelitifchen Gefchichte abzulehnen. Finsler ift
auf diefen Gefichtspunkt fall gar nicht eingegangen, und
es wird daher nicht als Ueberfchreitung meiner Kritik
feines Buches angefehen werden, wenn ich zum Zweck
der pofitiven Ergänzung beifpielsweife und in aller Kürze
auf einen oder den anderen Punkt hinweife.

aufwirft: Ja, was hat denn der Mann eigentlich geleiftet? I Nach Wellhaufen's Darftellung gewinnt man den
— Die Stellung, welche Wellhaufen Mofes zuweift, ift in j Eindruck, als ob die Begriffe Sünde und Schuld dem
der That einer der fchwächften Punkte in feinem Syftem; ! alten Ifrael fo gut wie fremd gewefen wären. Finsler
man würde wirklich kaum etwas vermiffen, wenn diefe j behauptet mit vollem Recht, dafs die Religion IfraeTs
Figur ganz aus dem von ihm gezeichneten Bilde der | auch im Alterthum keine fo weltfelige und oberflächliche
Gefchichte JfraeTs verfchwände. war. Aber die Behauptung mufs bewiefen werden, und

Der Kern von Finsler's Kritik befteht darin, dafs er '< ein Beweismoment liefern Religionsideen heidnifcher
den Inftitutionen des Mofaismus, der Stiftshütte, der i Semiten. In babylonifch-affyrifchen Bufspfalmen des
Opfergefetzgebung, der Fehlordnung und der Gliederung 1 höchften Alterthums, die dadurch nicht aus der Welt
des Cultusperfonals ein höheres Alter zu vindiciren fucht, 1 gefchafft werden, dafs man fich über fie luftig macht,
als Wellhaufen ihnen zugefteht. Finsler will fie im Wefent- äufsert fich das Schuldbewufstfein gegenüber der Gottheit
liehen der mofaifchen Zeit zuweifen, während er die j in ergreifender Weife, zum Theil in Ausdrücken und
Quellenfchrift, aus der wir fie kennen, zwifchen Jehovift Wendungen, die unwillkürlich an die biblifchen Pfalmen
und Deuteronomium um die Mitte der Königszeit anfetzt, erinnern. Auch Heiden haben unter der Schuld der
Hier läfst fich aber ohne genaue Einzelunterfuchung ! Sünde gefeufzt. Da hält es denn doch äufserft fchwer

Nichts zur Evidenz bringen; auch hat Finsler die Schwierigkeiten
, um die es fich handelt, nicht immer genügend
erkannt, und feine Exegefe ift mehrfach bedenklich.
Den Ausgangspunkt feiner Kritik bildet, wie billig, das
Alter der Quellenfchrift, welche die priefterliche Gefetz-
gebung enthält. Aber ein zwingender Beweis für die
vorexilifche Abfaffung der Grundfchrift des Pentateuch
(= 4) läfst fich nur durch eine umfaffendere Unter-

zu glauben, bei den Ifraeliten, deren Bedeutung für die
Weltgefchichte nicht zum wenigften in der tiefen Er-
kenntnifs des Wefens der Sünde und der Nothwendig-
keit ihrer Sühne befteht, bei den Ifraeliten fei diefe Er-
kenntnifs etwas Secundäres, während fie bei den heid-
nifchen Semiten freilich im Verhältnifs zu Ifrael primär
war, aber für die religiöfe Entwickelung der Menlchheit
ohne jede Bedeutung blieb. Oder haben etwa die Ifrae-

fuchung führen, als Finsler fie angefleht hat. Es find I liten das Schuldbewufstfein auch erft im Exil von den
zunächft die Stellen aus der vorexilifchen Literatur zu- 1 Babyloniern überkommen?

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