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Ausgabe:

1887

Spalte:

630-631

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferd.

Titel/Untertitel:

Ueber religiösen Glauben im Sinne des Christenthums 1887

Rezensent:

Lobstein, Paul

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erkennen und zur Sittlichkeit, 1879, S. 391 fg., 401 fg. — hat die neuere Forfchung auch auf das romanifche Bettel-
z.ur zweiten die letzterfchienene Schrift H.'s, Die Gewifsheit mönchthum ein neues Licht verbreitet, und den echt mit-
des Glaubens und die Freiheit der Theologie 1887, telalterlichen Charakter desfelben feftgeftellt: als Haupt-
S. 30—31). Ueber folche Probleme weiter zu verhandeln Vertreter diefes Bettelmönchthums tritt uns Savonarola
wäre gewifs lohnend, und auch die einem Vortrag ge- entgegen, den wir nach den Unterfuchungen von Villari,
zogenen Schranken geftatteten einen kurzen Hinweis auf , Ranke und Gheradi als eine durch und durch mittelalter-
Punkte, welchen H. feine Beachtung nicht verfagen kann, j liehe Geftalt zu verftehen haben. — In einem letzten
Wenn man dagegen fein Vergnügen darin findet, die Abfchnitt fpricht M. noch von der Erhebung und Geftal-
Worte des Gegners zu zerzaufen, wenn man etwa (wie j tung des religiöfen Volkslebens in Deutfchland. Die ganze
es mir vorgekommen) den aus dem Zufammenhang ge- ; Zeit von etwa 1450 an ift eine Epoche fteigender reli-
riffenen und völlig milsdeuteten Ausfpruch ,nur der Weg 1 giöfer Bedürftigkeit, heftiger religiöfer Erregung, und
des Gefetzes kann ein Weg des Lebens fein' (S. 5,. als einer faft grcnzenlofen Steigerung aller Heilsmittel der
eine höchft bedenkliche, dem Evangelium direct wider- mittelalterlichen Frömmigkeit, Bruderfchaften und Wall-
fprechende, offenbar aus Kant's rationalifirender Moral fahrten, Abiäffe und Gebete, Heiligendienft und Reliquien-
ltammende Aeufserungdenuncirt, fo mag allerdings gegen j cult; im Hinblick auf diefe Erfcheinung urtheilt der Ver-
folchc Einwürfe der Rath am Platze fein, welchen Luther , faffer, dafs die von Gothein, Kolde, Kawerau, Lenz und
den Teufeln gegenüber ertheilt und deffen kräftigen Aus- j Bezold im Gegenfatz zu Janffen's Darftellung gemeinfam

druck ich bereits oben angeführt habe.

Der Vortrag von Müller liefert ein Bild davon, wie
auf Grund der verfchiedenen, in den letzten Jahren er

begründete Anficht zu Recht befteht, dafs nämlich der
religiöfe Trieb in einer krankhaften Verbildung entwickelt
ift. Neben diefen religiöfen Factoren weift aber

fchienenen Forfchungcn die Grundanfchauungen über j noch die Zeitftrömung eine ganz andere Schichte auf,
das Vorterrain der Reformation des 16. Jahrhunderts fich j nämlich eine Fülle von Zündftoff, die auf eine Umwälzung
geändert oder vertieft und erweitert haben. Den Haupt- I der beftehenden Verhältnifse deutet: die Oppofition regt

gewinn, welcher aus den Erörterungen der letzten Jahre
unbedingt feftfteht, formulirt der Verfaffer dahin, ,dafs
das kirchliche und religiöfe Leben während des 15. Jahrhunderts
fich aus feiner Auflöfung fammelt und von da
an nach einer Seite hin in auffteigender Richtung bis zur
Reformation verharrt, fo dafs diefe fchliefslich nicht in
ein religionslofes, kirchenfeindliches Zeitalter eintritt,
fondern vielmehr auf eine aufserordentlich gefpannte
religiöfe Erregung ftöfst und mit diefer in Wettbewerb
treten mufs' (S. 32). — An die Spitze feiner Darftellung

fich auf allen Gebieten, und in diefem wirren Knäuel der
gewaltigften deftruetiven Mächte ift nur eine Inftitution
in unverkennbarem Fortfehritt begriffen, die landesfürft-
liche Gewalt. —■ Ueberblickt man das lebensvolle Bild,
welches Müller nicht lediglich auf Grund fremder For-
fchungen entwickelt, fondern zu deffen Schilderung und
Richtigftellung er felbft viele Züge geliefert hat, fo ift
man überrafcht von den, auf diefem auch für uns Protef-
tanten fo intereffanten Felde vollzogenen Fortfehritten:
an die Stelle der verfehlten und blaften Schablone Ull-

ftellt M. die Reformunternehmungen von Wiklif und Hus. j mann's und Bonnechofe's ift eine durchaus concrete,
In klarer und fehr anfprechender Weife zieht Müller mannigfaltige, lebendige Erkenntnifs getreten, eine Erdas
Ergebnifa der Forfchungen von Buddenfieg, Gott- ! kenntnifs, bei welcher es fich überall herausftellt, wie
fchick, Loferth, Bezold u. A., welche durch eine gewaltige j durchaus original Luther's Entwickelung und feine EntFülle
unwiderfprechlicher Zeugnifse die im Allgemeinen
bereits anerkannte, aber noch nicht zur unbedingten Geltung
gelangte Thatfache belegen, dafs fich beide Männer
auf der Grundlage der mittelalterlichen Religiofität und
Auffaffung des Chriftenthums erheben und von den
Grundlagen und Kräften fpeeififeh evangelifcher Frömmigkeit
auch nicht eine Spur aufweifen. — Nach der Er

deckung der neuen religiöfen Gedanken verlaufen ift,
wie unabhängig felbft die Vorftufen zu derfelben durch
ihn ausgegraben worden find. Je mehr die Ullmann'fchen
Legenden von den Vorreformatoren zerfchlagen worden
find, um fo höher und reiner erhebt fich die Geftalt des
Reformators von der Grundlage der Zeit ab, welcher er
entfliegen ift (S. 48). — Obgleich der Vortrag M.'s fich

örertung jener nationalen Bewegungen, welche in der I vorwiegend zu einem Referat von Arbeiten Anderer geReform
beginnen, um mit ihrem Hauptftrom in der Zer- ftaltet, fo erkennt man doch leicht, dafs man es mit einem
(lörung zu endigen, geht M. zu andern über, welche Gefchichtsforfcher fo thun hat, welcher den Stoff voll-
Hand in Hand mit der beftehenden Kirche gehen und kommen beherrfcht, und befugt ift, felber über die von

theilvveife von diefer felbft oder ihren einzelnen leitenden
Kreifen unternommen werden. Er (teilt voran, auch der
zeitlichen Ordnung folgend, die Reformationen auf dem
Gebiet des Mönchthums. Zwei grofse Gruppen find hier
zu unterfcheiden. Die eine, das Gebiet der Orden, die
näher oder entfernter auf dem Grund der Benedtctiner- Kattenbusch, Prof Dr. Ferd., Ueber religiösen Glauben im
regel erwachfen find , hat feine hervorragendften Mittel- Sinne des Christenthums. Academifche Feftrede, gehalten

ihm fo lichtvoll charaktcrifirte Epoche ein mafsgebendes
Urtheil auszufprechen.

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

punkte am Niederrhein und in Niederfachfen: auch hier
liehen wir durchaus auf mittelaltcrlich-katholifchem Boden;
der alte Mythus von dem evangelifchen Wefen der

am Stiftungstage der Univerfität Giefsen i. Juli 1887.
Giefsen, Ricker, 1887. (32 S. 8.) M. —.60.

Brüder des gemeinfamen Lebens ift durch Acquoy und Kattenbufch fpricht in feiner Rectoratsrede von der

Hirfchc für immer zu Grabe getragen. Bedeutfamer für
die Entwickelung des religiöfen Lebens in Deutfchland
wie in den anderen Ländern find die Reformen der
zweiten Gruppe, nämlich des Bettelmönchthums. Hier
richtet der kundige Berichterftatter und Beurtheilcr unfere

Stellung und Bedeutung des religiöfen Glaubens im Sinne
des Chriftenthums. — Bei der grofsen Unklarheit und
Unficherheit, welche über diefe Frage unter den Gebildeten
und den wiffenfehaftlich denkenden Zeitgcnoffen herrfcht,
lohnte es fich ohne Zweifel, diefes Problem zu behandeln.

Aufmerkfamkeit auf drei Punkte. Einmal ift die That- I Die Art und Weife, wie der Redner dasfelbe unterfucht,

fache bedeutfam, dafs diefe reformirten Congregationen

verräth den Zuhörerkreis, an welchen er fich wendet. Er

den gröfsten Einflufs beim Volke erhielten, die eigent- knüpft mit grofsem Gefchick an die landläufigen, eine
liehen Leiter der volkstümlichen Frömmigkeit in der i zutreffende Beurteilung der Sache erfchwerenden Vor-

zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden; fodann hat
das treffliche Buch von Kolde, die deutfehe Auguftiner-
Congregation und Johann Staupitz, 1879, die Congrega-
tion der deutfehen Auguftiner-Eremiten, welcher Luther
angehört hat, in frappanter Weife beleuchtet; endlich

urtheile an. Eine kritifche Beleuchtung der weitverbreiteten
, in ihren berechtigten Momenten übrigens gewürdigten
Anficht, der Glaube fei lediglich eine Privatangelegenheit
, führt zunächft zu dem Refultat, dafs der
Glaube ein Bewufstwerden mitBezug auf Realitäten unferes