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Ausgabe:

1887

Spalte:

620-623

Autor/Hrsg.:

Cheyne, Thomas Kelly

Titel/Untertitel:

Job and Solomon or the wisdom of the Old Testament 1887

Rezensent:

Guthe, Hermann

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6ig

Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 26.

620

Vorfchlägen zur Verbefferung des officiellen hebräifchen
Textes trotz der Unhaltbarkeit vieler Einzelheiten im
Ganzen mehr bleibenden Werth zufchreiben mufs, als
den überwiegend apologetifchen Bemühungen auf dem
Gebiete der höheren Kritik. Manche Conjecturen find
für den Sinn ziemlich gleichgültig und wollen dem
berechtigten (S. 191) Intereffe der philologifchen Akribie
dienen; vgl. Cp. 33, 1, wo Bred. mit Recht an
Cappellus fich anfchliefst, oder Cp. 32, 1, wo ich mit Hitzig
die 3 (5 ift Druckfehler) Lamed beibehalte, wie ich umgekehrt
Cp. 29, 11 den Artikel des Ketib (wieder mit
Hitzig gegen Bred.) als einen Schreibfehler anfehe. Aber
viele Conjecturen find für den Sinn wichtig, und da
finden wir neben guten Emendationen (vgl. Cp. 19, 18; J
34, 16 nach LXX) auch oft fehr gewagte Vermuthungen,
z. B. Cp. 21,6, wo Bred. mit Wortverfetzung aus Vs. 5
überfetzt: ,Geh, ftelle die Warte auf, luge den Auslug
', und Cp. 23, 7: ,deren Flaggen fie fernhin geleiteten
zur Anfiedlung'. Der Verf. konnte aus einem Col-
legienhefte Kloftermann's (S. 87 Anm.) manche Conjec- 1
turen mittheilen, welche ihm mit mehr (vgl. S. 113) oder
weniger (z. B. S. 172. 182) Recht einleuchtend erfchienen. i
Auch die Conjecturen von Lagarde, Wellhaufen und
Andern find fleifsig benutzt. Dabei darf man fagen,
dafs Bred., dem es nicht an exegetifchem Tacte fehlt
(vgl. Cp. 1, 17 die Ausfprache misn, LXX aöixovjievoq),
im Ganzen mafshaltend verfährt und eine mittlere Linie
zwifchen Kliefoth und Kloftermann einhält. Gewifs
müfste die Lofung ,Fortfchrittsmann in der niederen,
Traditionsmann in der höheren Kritik' zum fchlimmften
Mückenfeigen und Kameeleverfchlucken führen; aber i
Bred.'s Verfahren wird, wenn ich mich nicht fehr irre,
auf die confeffionell gerichteten Theologen einen überwiegend
günftigen Einflufs ausüben. Ohne als enfant
tcrrible durch wüfte Einfälle und verfchrobene Erklärungen
die Leute von vorneherein abzufchrecken, wird
der Verf. durch feine Textkritik die dogmatifche Scheu
vor Textänderung hoffentlich bei vielen Lefern leichter
überwinden helfen, wie ich denn auch darüber nur meine
Freude ausfprechen kann, dafs Bred. (S. 230. 232) Ge-
fchmack genug befitzt, um nicht an den dünnen Faden
des angeblichen Futurums in Cp. 40, 1 die Autorfchaft
Jefaja's zu hängen.

Selbft in Sachen der fogen. höheren Kritik bewegt
fich Bred. zum Theil viel freier, als Hengftcnberg und
feine nächflen Freunde je vermocht haben, fo dafs dadurch
der leider noch ftark genug wahrnehmbaren dog-
matifchen Befangenheit in willkommener Weife Abbruch
gefchieht. Aus der Fülle des Stoffs feien mir einige
Mittheilungen darüber noch geftattet. Wie der Verf.
Cp. 30, 26 die Worte ,wie das Licht von (genauer: der)
heben T.' als Gloffe ftreicht, fo erklärt er in Cp. 30, 6
die Ueberfchrift für unecht. Wir lefen S. 204: ,Die I
Echtheit derCapp. 13. 34. 35, fowie des Grundftocks von
Cap. 24—27, fleht und fallt miteinander. Diefe Abfchnitte
ftehen mit Recht unter den echten Reden des erften
Theils'. Da nach S. 96 nur Cp. 13 dem Verf. ,als jefa-
janifch gilt', Cp. 14, 1. 2 jedenfalls von anderer Hand
find', Cp. 14, 3—23 aber von einem zweiten unbekannten
Verfaffer, und da nach S. 226 Ewald's grofser Unbekannter
eine contradictio in adjecto ift, fo erblickt alfo Bred.
in Cp. 14 zwei unechte Abfchnitte kleiner Schriftfteller.
Ein wirklicher Rückgang der Sonne heifst S. 221 ,nicht
vorftellbar', wohl aber ift's (S. 219) eine ungefchichtliche
Steigerung durch die Tradition. Der Abfchnitt Cp. 36—
39 foll nicht von Jefaja gefchrieben, fondern von fpätcrer
Hand ,eingefetzt' (S. 223) fein. Warum ift er nicht einfach
an Cp. 1 — 35 angehängt, fo dafs Cp. 40—66
einen weiteren Anhang an Cp. 1—39 bilden? Statt einer
Antwort lefe ich nur: ,Dcr Redactor, welcher Cp. 39 vor
den 2. Theil geftellt hat, hat diefen jedenfalls für jefaja-
nifch angefehen'. Nach Kloftermann's Vorgang (ß. 226 f.)
folgt Bred. der unglücklichen Hypothcfc, dafs in Jef.

40—66 ,altjefajanifcher Weisfagungsftoff von fpäteren
Schulern Jefaja's — 8, 16 erfcheint eine jefajanifche
Schule — reproducirt und geftaltet ift', und meint: ,Falls
die bisherige Kritik im Rechte ift, ift von einer verftän-
digen Redaction wenig zu fpüren. Eine reinliche Schei-
1 dung jefajanifcher und exilifcher Stoffe wird allerdings
1 fchwerlich je gelingen, und der Sprachgefchichte mufs
das Recht zuerkannt werden, den zweiten Theil im Allgemeinen
als exilifches Product zu verwerthen'. Der ,exi-
lifche Jefajaner' (S. 323) und feine Mitfchüler haben darnach
ihre eigenen Ausführungen zwifchen ,alte und dann
doch wohl jefajanifche' (S. 240, Stücke gefteckt! Bred.
fcheint (S. 157) die kanonifche Geltung des Koheleth zu
bezweifeln, nicht aber (S. 121), dafs es unerfüllte Weis-
fagungen giebt; andererfeits gelten ihm Stellen wie Jef.
55,3 f. als meffianifch, und er bemerkt zu der oberflächlichen
' gegentheiligen Annahme (S. 307): ,Als ob es
überhaupt einen Propheten gegeben, der die Meffias-
hoffnung feines Volkes nicht getheilt hätte!' Gerne
vermiffe ich beim Verf. (z. B. S. 104) das ftolzc Sclbft-
vertrauen der Unfehlbaren; zuweilen jedoch mag das
Schwankende der Haltung (vgl. S. 164) mit dem zwitterhaften
Wefen feiner ganzen Stellung zufammenhängen.
Wenn Bred. die Annahmen eines Hengftcnberg, Keil und
Schegg in Betreff des Eigennamens Korefch als blofsc
Ausflüchte apologetifcher Verlegenheit bezeichnet, fo
verdient das alle Achtung, um fo mehr, als der Verf.
doch nicht hinter fS. 262) der Gläubigkeit eines Win-
difchmann zurückftehen will. Nicht Oberflächlichkeit,
fondern unbewufste Unklarheit halte ich für das Hauptgebrechen
diefes Buches, obgleich ich das ehrliche Streben
des Verfaffers nach der für keinen Menfchen vollkommen
erreichbaren Folgerichtigkeit nicht verkenne.

Bonn. Adolf Kamp häufen.

Cheyne, Prof. Canon T. K., M. A., I >. D., Job and Solomon

or the wisdom of the Old Testament. London, Kegan

Paul, Trench & Co., 1887. (XIII, 309 S. gr. 8.) geb.

Der auch unter den deutfehen Theologen durch
feinen Jefaja-Commcntar wohl bekannte Verfaffer bietet
in diefem Werke ,a survey of the wisdom of Patestinr',
wie er S. 179 feine Arbeit näher beftimmt. Er fchliefst
daher die Weisheit Salomo's wegen ihrer hellenifti-
fchen Färbung aus feinem Gefichtskreis aus und be-
ruckfichtigt nur das Buch Hiob, die Sprüche, die Weisheit
Jefus Sirach's und den Prediger. Die Einrichtung
des Werkes ift die, dafs jedem der genannten Bücher
eine Reihe von Auffätzcn gewidmet ift, in denen der
Inhalt, Zeit und Ort der Entftehung, Werth und Eigen-
thümlichkeit in religiöfer und literarifchcr Hinficht bc-
fprochen werden. Der Verf. hat es mit Gefchick vermieden
, diefe Auffätze mit Einzeldingen zu überladen
und fie dadurch für einen gröfseren Leferkreis weniger
geniefsbar zu machen. Er weifs ftets allgemeinere Ge-
lichtspunkte geltend zu machen oder Beziehungen zu
anderen Erzcugnifsen des menfehlichen Geiftes aus alter
und neuer Zeit einfliefsen zu laffen. Sein Verfahren ift
unterfuchend, nicht darfteilend. Wenn ich eine Stelle
der Vorrede (S. VII) richtig deute, fo hat ihn, von anderen
Gründen abgefehen, auch die Rückficht auf feinen
nächflen Leferkreis in England dazu bewogen, diefes
Verfahren zu wählen. Allerdings erkennen die Lefer
aus demfelben deutlicher den Weg, auf dem der Verf.
zu feinen Ergebniffen gelangt ift, und werden leichter
geneigt und im Stande fein, ihn bis an das Ende zu
theilen; aber der Gefammtertrag ift in Folge davon
nicht fo leicht zu erkennen und feftzuftellcn. Ich werde
mich bemühen, in diefer Anzeige mehr von dem letzteren
zu reden.

Dem Verf. ift daran gelegen, die .Weifen' Ifraels
als einen befonderen Stand {,classl S. 123) aus dem