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Ausgabe:

1887

Spalte:

44-45

Autor/Hrsg.:

Thikötter, Jul.

Titel/Untertitel:

Heriman, der westfale. Eine epische Dichtung in zwölf Gesängen 1887

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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dafs der Verfaffer der vorliegenden Schrift mit reifer [ Macht gegenüber auch in gefchloffenen Gliedern vorge-
und tiefeindringender Sachkenntnifs nachweift, wie die j gangen werden, damit aus unferer Jugend ein Gefchlecht
ernft genommene Taufpathenfchaft mannigfache Mittel | erwachfe, das gegen die Mächte der Finfternifs fich bedarbietet
, das innerhalb der Chriftenheit aufwachfende : haupten kann. Eine reiche Fülle kirchenpolitifcher und

Gefchlecht geiftlich und fittlich zu heben. Zuerft erinnert
der Verf. daran, dafs die Taufpathen, wenn fie
nicht nur zur unwahren Decoration dienen, fondern auf
die Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder Einflufs
üben wollen, in ihrer chriftlichen Erkenntnifs und Charakterbildung
zu einer gewiffen Reife gekommen fein
müffen, die im Lebensalter der Confirmation nur feiten
angetroffen wird. Wer nicht eine wenigftens annähernde
Selbftändigkeit feiner chriftlichen Einficht und Grundfätze
erlangt hat, der ift auch nicht fähig und berufen, an der

paftoraler Weisheit wird uns in diefem Vortrag mit männlich
-gediegener Beredtfamkeit dargeboten.

Dresden. Löber.

Thikötter, Jul., Heriman, der Westfale. Eine epifche
Dichtung in zwölf Gefängen. Bremen, Heinfius, 1887.

(V,. 235 S. 81) M. 4. -; geb. M. 5. -

Dafs die Theol. Literatur-Zeitung diefe Dichtung zur
Anzeige bringt, wird niemanden befremden, der fie geHeranbildung
anderer Seelen mitzuwirken; hieran knüpft I lefen hat. Es ift keine theologifche Dichtung, aber

der Verf. den Vorfchlag, das Recht der Taufpathenfchaft eine im tiefften Kern chriftliche, echt religiöfe Dichtung

den Katechumcnen nicht fchon bei der Confirmation, fon
dem in einer befonderen kirchlichen Feier erft dann zu-
zufprechen, wenn fie bis zum 18. Jahre mit Erfolg an
der ,Chriftenlehre' theilgenommen und überhaupt dem
erzieherifchen Einflufs des geiftlichen Amtes fich unter-
ftellt haben.

Nun werden zwar die, welche von folchen Einwirkungen
fich abwenden, durch das in Ausficht flehende
und erft zu erftrebende Recht der Taufpathenfchaft kaum
dahin gebracht werden, jenen Einwirkungen fich wieder
zuzuwenden; aber an das Recht der Taufpathenfchaft
knüpfen fich noch andere Rechte, deren Verluft mehr
empfunden werden dürfte. Denn wer nicht als fähig erkannt
werden kann, an der Erziehung eines einzelnen
Menfchen mitzuarbeiten, der kann noch viel weniger den
Anfpruch erheben, an der Leitung einer ganzen Gemeinde
oder gar der Kirche fich zu betheiligen. In der Taufpathenfchaft
öffnet fich den jungen Chriflen ein Gebiet,
in dem fie ohne Oftentation und Selbftüberhebung auf

von mächtiger Wirkung. Auf dem gefchichtlichen
Hintergrunde der Kaiferzeit Karl's des Grofsen erhebt
fich die Figur des heidnifchen Sachfenedlen Heriman
. Er weigert fich, an dem Kriegszug Widukind's
gegen den Rhein theilzunehmen, weil Dank für Lebensrettung
ihn dem Ludger, des Klofters Werthina (Werden
a. d. Ruhri frommem Abte, verpflichtet hat. Zu Taffilo,
dem Baiernherzog, gefandt, findet er Gaflfreundfchaft
im Haufe des Edlen Helmbald, deffen Tochter Gifela
fein Herz gewinnt. Den fchweren Kampf zwifchen
Sachfentreue zu den heimathlichen Göttern und der Liebe
zur chriftlichen Jungfrau, die nur durch feinen Uebertritt
zum Chriftenthum fein eigen werden kann, beginnt;
priefterliche Hinterlift macht fein Bleiben im Haufe 1 lelm-
bald's unmöglich. Wir finden ihn im Lager Ludwig's,
des Sohnes von Kaifer Karl, im heldenmüthigen Kampf
vor Barcelona; er kehrt zu Gifela zurück, um bald wieder
um der Treue willen zu feinen Göttern die Heimftätte
in Helmbald's Haufe zu verlaffen. Eine von Taffilo ver-

Andere fördernd wirken können; fie werden hier dazu 1 anlafste Reife zu den Avaren, fie zum Kriegszug wider
erzogen, dereinft in weiteren Kreifen zu wirken und mit ; die Franken zu bewegen, führt ihn und den Baiernherzog
dem klaren Bewufstfein der Verantwortlichkeit für Andere vor Karl's Gericht: Verzeihung wird ihm und der Befitz
zu leben. Dafs jetzt fo Viele ohne hinreichende Aus- i Gifela's um den Preis zugefagt, dafs er feine Götter ver-
rüftung fich zu Vereinen zufammenfchliefsen, um das | leugne; er bleibt ftandhaft, Leib und Liebesglück in
heranwachfende Gefchlecht zu unterrichten und zu er- die Schanzen fchlagend. Da tritt der milde Abt Ludger

ziehen, erklärt fich namentlich aus einer weitverbreiteten
Mifskennung der dem kirchlichen Gemeinwefen einge-
ftifteten Berufsthätigkeiten und Aemter und aus der
Nichtachtung der hiezu dargebotenen Bildungsmittel.

Die mit der Taufe verbundene Sinnesänderung verlieh
einft die Fähigkeit, das in Chrifto erfchienene Heil
recht zu erfaffen, und wer fich taufen liefs, gab damit zu
erkennen, dafs er Angefichts des aufgehenden Heils an

für ihn ein; Heriman wird begnadigt, empfängt Gifela
zum Weibe und führt fie heim auf feine Burg Harden-
ftein. Was weder Lift noch Gewalt von ihm vermocht,
das vermag das Evangelium in ureigner Kraft, vermag
die aus dem Evangelium geborene Kraft der Liebe und
des ftillen Gottvertrauens. Ludger hat ihm den Heliand
gebracht, und tief und machtvoll beugt der Heliand des
heidnifchen Sachfen Sinn; Ludger wacht und wartet mit

den herkömmlichen Ordnungen der Gottesgemeinde kein j heilkundiger Hand des auf den Tod erkrankten Söhn-
Genüge finde. Die Taufe und das aus ihr hervorgehende | leins Heriman's; während er felbft nach Troft und Stille-
Aufeinanderwirken der Chriften befähigt uns auch jetzt, ! fein vergebens ringt, fchaut er in Gifela die ftille, demuth-

in rechter Geiftesverfaffung dem, was da kommt, entgegenzugehen
. Daher ift mit der grofsen Adventhoffnung
der Kirche nicht das unklare und verworrene
Verlangen derer zu verwechfeln, welche an die Stelle
der Kirche und ihrer Ordnungen eine Menge Vereins

volle gläubige Chriftin, und der ,Heliand' überwindet
den Heiden, Heriman wird ein Chrift. Mit der Feier der
Taufe des Helden fchliefst das Gedicht.

In leichten, vierfüfsigen, gereimten Jamben fliefsen
die Gelänge dahin, ohne den epifchen Charakter zu ver-

thätigkeiten fetzen und von diefen alles Heil erwarten, leugnen; durch finnvollen Wechfel männlicher und weib

Man fcheint zu glauben, dafs jetzt an die Stelle der
Taufe und der mit ihr gegebenen Lebensziele etwas
anderes treten müffe, wie einft durch die Stiftung der
Taufe alle früheren Heilsmittel als ungenügend bezeichnet

licher Reime, durch Verwendung von Reimpaaren und
Reimftrophen bleibt der Dichter völlig Meifter über die
Empfindungen, welche er erweckt, und fein Wort fchmiegt
fich forgfältig dem Gedanken an. Bisweilen aber wird

wurden. 1 der epifche Gang unterbrochen; lateinifche Hymnen von

Was der Verfaffer am Schlufs feines Vortrages von
der Einen Deutfchen evangelifchen Kirche fagt, fleht
mit der von ihm befprochenen Taufpathenfchaft nicht
in nothwendigem Zufammenhang und kann daher hier
übergangen werden. Da wir es aber mit einer fyftema-
tifchen Verführungsmacht zu thun haben, die unfere
Jugend geiftlich und leiblich ruinirt, um fie zuletzt derjenigen
geiftlichen Gewalt in die Hände zu treiben, die
unter einem kraftlofen, ausgefogenen Gefchlechte ihre

trefflicher Bildung und echt mittelalterlichem Gepräge
fingen die Scholaren des Klofters Werthina, und in zwang-
lofer Weife folgt dem lateinifchen Text die Verdeutschung
in kunftreicher alliterirender Art; die lyrifche
Begrüfsung bairifcher Sennerinnen, die fie dem Heriman
und der Gifela weihen, ebenfo die Sehnfuchtslieder
Gifela's, in denen fie des in Spanien weilenden Geliebten
gedenkt, find von dichterifcher Zartheit und von einer
Innigkeit der Empfindung, dafs wir fie als fehr edle Per-

höchften Triumphe feiert, fo mufs diefer gefchloffenen | len in dem Goldreif der Dichtung bezeichnen möchten