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Ausgabe:

1887 Nr. 24

Spalte:

575-577

Autor/Hrsg.:

Lossen, Max

Titel/Untertitel:

Briefe von Andreas Masius und seinen Freunden 1538 bis 1573 1887

Rezensent:

Below, G.

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 24.

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fcheint er trotzdem nicht an den dortigen Verhandlungen
Theil genommen zu haben, ja feine Uberfiedelung dorthin
fteht wohl ganz aufser Zufammenhang mit den-
felben. Erft am 21. Juli fandte Zoch den erften
Bericht über den Reichstag: über feine Eröffnung,
über mancherlei Spectacula, Freudenfeuer, Tournier u.
dergl. Am 30. berichtet er dann wieder, dafs er jetzt
die Vollmacht der 3 Brüder erhalten habe, er be-
fuche aber die Fürftenfeflion nicht, da er im kurfürftl.
Rathe zu fitzen habe, werde aber feinen Auftraggebern
nichts vergeben. ,Alle find hier in Zwiefpältigkeit, es
ift erfchrecklich zu fehen und zu hören; der lutherifchen
Sekte halben find viel feltfame Praktiken vorhanden, mehr
denn je gewefen', worüber er mündlich dereinft Genaueres
berichten will. Dann fendet er heimgekehrt am 16. Sept.
aus Halle den Reichstagsabfchied ein; es hat fich wunderlich
da verlaufen, wie er fein Leben lang nicht erfahren
hat, und doch ifts letztlich auf diefen Abfchied gebracht
worden. Man werde an den Kaifer wohl keine Fürften
fchicken, da fich diefe dazu nicht vermögen laffen wollen,
fondern von der geiftlichen Bank Herrn Marquard v.
Stein und Dr. Fabri, von der weltlichen den Grafen Albrecht
von Mansfeld und Sturm, den Bürger von Strafsburg
. Endlich meldete er fich am 6. Oct. für den 18.
oder 19. zu mündlicher Relation über den Reichstag in
Deffau an. Das ift die fpärliche Ausbeute diefes Archivs.
— Zu S. 133 bemerke ich, dafs die Deutung des Engels
der Offenb. Job. auf Luther von feinem Ordensbruder
M. Stiefel herrührt. — Ueberrafchend war mir S. 69
,ein gewiffer Joh. Ruhl von Eisleben'; kennt der Verf.
nicht den mansfeldifchen Rath, den Schwager Luther's
Joh. Rühel, mit dem diefer fo viele Briefe gewechfelt
hat? Unter den beim Reichstag Anwefenden wäre übrigens
auch der mansfeld. Kanzler Caspar Müller aufzuführen
gewefen. S. 594 lies ,unter(tützt Adam [nicht Konrad |
v. Thüngen'. S. 585 ift wohl aus des Erlanger Hauck
Namen das unverftändliche ,Herzog, (Hamburg) Realen-
cyklopädie' geworden. Proteftiren müffen doch wohl auch
die Profanhiftoriker gegen den Satz S. 57: ,mit dem
Geilte des Lutherthums erfüllt, d. h. dem Geilte der
freien Forfchung gegenüber der ftarren Autorität'. Auch
die Bezeichnung Luther's als eines ,Anhängers der freien
Gemeinde, wie die apoftolifche Zeit fie gefehen' S. 114
mufs beanftandet werden, wenigftens hat Luther niemals
gelehrt, dafs dasjenige Gemeindeglied das Wort zu verkünden
habe, ,dem der Geilt es eingiebt', —1 fo fcheint
es der Verf. zu meinen — fondern hat Itets Beruf und
Auftrag von Seiten der Gemeinde refp. der fie vertretenden
Organe dafür verlangt. — Wortbildungen wie ,in-
fonderlich' S. 363 und ,mancherhand' S. 390 find doch
wohl unnöthige Bereicherungen unferer Sprache. — Diefe
kleinen Beanftandungen follen dem lebhaften Danke eben-
fo für die mühevollen archivalifchen Studien wie für die
forgfame Verarbeitung des Stoffes keinen Eintrag thun.

Kiel. G. Kawerau.

Lossen, Dr. Max, Briefe von Andreas Masius und seinen

Freunden 1538 bis 1573. [Publikationen der Gefell-
fchaft für Rheinifche Gefchichtskunde, IL] Leipzig,
A. Dürr, 1886. (XX, 537 S. gr. 8.) M. 11.40.

Unter denjenigen deutfchcn Territorien, welche bereits
vor der Reformation eine Art von Landeskirchenthum
entwickelt hatten, nimmt einen hervorragenden
Platz das Herzogthum Jülich-Cleve ein. Der geiftlichen
Jurisdiction waren hier zunächft materiell beftimmte Grenzen
gezogen. Die Ausübung derfelben hatten fodann,
wenigftens bis zu einem gewiffen Grade, die Archidia-
konen und Landdechanten. Der bifchöfliche Official hatte
ihnen diefe Befugnifs nicht zu entreifsen vermocht. Ihre
Zuftändigkeit wurde als eine der Landesfreiheiten ver-
theidigt. Ferner machte der Landesherr ausgedehnte

Rechte bei der Pfründenbefetzung geltend. Das diefe
Verhältnifse bezeichnende Wort dux Clh'iae est papa in
finibus suis ift allbekannt*). Nahm dies Territorium fchon
infofern beim Eintritt der reformatorifchen Bewegung
eine eigenthümliche Stellung ein, fo kam noch hinzu,
dafs der clevifchc Hof auch in den entbrennenden dpg-
matifchen Streitigkeiten ein ganz finguläres Verhalten
beobachtete. Herzog Wilhelm (um den es fich hier vornehmlich
handelt) fuchte nicht nur die von feinen Voreltern
ererbten, mehr kirchenpolitifchcn Rechte feilzuhalten
, fondern zugleich gewiffermafsen auf dogma-
tifchem Gebiete eine Landeskirche zu fchaffen. Es
gefchah das letztere nicht aus dem Vollgefühl unum-
fchränkter Herrfchergewalt, vielmehr aus beftimmten
kirchlichen Ueberzeugungen. Herzog Wilhelm und namhafte
Perfonen an feinem Hofe mit ihm waren der Anficht
, dafs man zwifchen Katholicismus und Proteftantis-

I mus vermitteln könne, dafs eine kirchliche Form möglich
fei, welche das Gute beider Extreme in fich vereinige.

| Auch andere deutfche Fürften jener Zeit haben zwifchen
Katholicismus und Proteftantismus zu vermitteln gefucht;
keiner aber hat den Vermittlungsftandpunkt fo princi-

j piell vertreten wie Herzog Wilhelm von Jülich-Cleve.
In diefe intcreffanten Verhältnifse führt uns die vorliegende
Publication. Herzog Wilhelm hielt es für nöthig,
fich für die befonderen kirchlichen Einrichtungen feines
Landes die päpftliche Beftätigung zu erwirken. Namentlich
wünfchte er fie für die beftehenden Verhältnifse der
geiftlichen Jurisdiction, für die Befugnifs des Landesherrn,
die Pfründen in den päpftlichen Monaten zu befetzen,
und endlich für eine Einrichtung, welche durch das dog-
matifche Syftem des Herzogs gefordert wurde, für die

I Austheilung des Abendmahles unter beiderlei Geftalt zu

j erhalten. Und der Agent, den er zu diefem Zweck (zugleich
auch zur Erledigung einer Reihe anderer Angelegenheiten
) wiederholt nach Rom fandte, war der Hu-
manift Andreas Mafius, deffen Correfpondenz uns hier
geboten wird. Die Bemühungen desfelben an der Curie

[ find zwar im wefentlichen erfolglos geblieben. Allein

! dem Werthe feiner Correfpondenz thut dies keinen Eintrag
. Sie ift eine der werthvollften Quellen für die Er-

i kenntnifs der Abfichten, Anfchauungen und Stimmungen
des jülicher Hofes wie der Curie. In Rom war die Auf-

1 nähme der Werbungen des Mafius eine verfchiedene je
nach der Perfönlichkeit des Papftes. Julius III. war einer
Bewilligung zwar nicht geneigt; aber mit ihm konnte
man die Verhandlung doch noch mit einiger Hoffnung
führen. Ganz anders wurde es natürlich, als Paul IV.
Caraffa den päpftlichen Stuhl beftieg. Wie follte ein
Paul IV., welchem das mittelalterliche Papftthum in feinem
vollen Glänze als Ideal vorfchwebte, eine landeskirchliche
Organifation anerkennen? Gerade bei einer folchen
Forderung mufste feine Lcidenfchaftlichkeit mit ihrer
ganzen Gewalt hervorbrechen. Wir haben in einem hoch-
intereffanten Briefe des Mafius 'Nr. 197) den Bericht über
die Audienz, die er bei Paul wegen des Gefuches um
Gewährung des Laienkelches hatte. Der Brief bildet In
Folge der Unmittelbarkeit der Schilderung einen fchätzens-
werthen Beitrag zur Charakteriftik des Papftes. Ueber-
haupt enthalten die Mittheilungen des Mafius charakte-
riftifche Notizen über Paul IV. Bemerkenswerth find z.
B. folgende Aeufserungen über die Stimmung, die fich
der Umgebung des gefürchteten Papftes bemächtigt hatte.
S. 241: ich vermerke so vi/, das kainer sich regen dar
[wagtl; dan hie taglichs der ain vor der ander nach peim

*) Bei diefer Gelegenheit mag auf die zwar ultramontan tendenzidfe,
immerhin aber heachtenswerthe kleine Schrift von Schölten, l'apft Engen
IV. und das clevifche I.andesbisthum (Cleve 1884) verwiefen werden,
welche darzuthun unternimmt, dafs mit dem clevifchen Bisthum nur ein
Interimifticum beabfichtigt war. Die Krage des clevifchen Bisthums wird
in Jahresfrift eine eingehende Behandlung durch Dr. Jof. Hänfen in einem
Bande der I'ublicationen aus den königl. preufs. Staatsarchiven erfahren.
Ueher die exceptio Eugeniana vgl. die vorliegende l'uhlication der Briefe
des Mafius S. 82.