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Ausgabe:

1887 Nr. 24

Spalte:

565-569

Titel/Untertitel:

Winke über die Wiederherstellung der ältesten lateinischen Bibelübersetzung 1887

Rezensent:

Ranke, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 24.

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rianten zum Vaticanus gegeben werden. Aufser ihm find
nur noch drei Codices herangezogen. 1) Für den Pen-
tateuch bis Mitte Jofua der cod. Ambrosianiis (bei Holmes
= VII, bei Swete = F), nach der Ausgabe Ceriani's
in deffen Monumenta sacra et profana t. III, 1864. Ce-
riam fetzt ihn in die erfle Hälfte des fünften Jahrhunderts.
Sein Text ficht jedoch an Güte dem Vaticanus erheblich
nach (dem Alexandrinus viel näher als dem Vaticanus),
2) Für die Genefis der von Tifchendorf im J. 1853 aus
dem Orient mitgebrachte Bodleianus (bei Swete = E),
nach der Ausgabe von Tifchendorf in deffen Monumenta
sacra inedita t. II. Der Codex flammt zwar erft aus dem
achten Jahrhundert, enthält aber einen relativ fehr guten
Text. 3) Ebenfalls für die Genefis der Cottonianus (bei
Holmes =1, bei Swete = D), aus dem fünften oder
fechfien Jahrhundert. Er hat freilich durch den Brand
des Afhburnham-Haufes im J. 1731 arg gelitten, fo dafs
er nur noch aus 150 ,verkohlten Fragmenten' befteht.
Dicfelben find (mit Ausnahme einiger, die nicht in das
britifche Mufeum gekommen find) herausgegeben von
Tifchendorf in feinen Monumenta sacra med. t. IL Im
Uebrigen kennt man die Lesarten der Handfchrift durch
eine von Grabe vor dem Brande angefertigte und im
J. 1778 von Owen herausgegebene Collation.

Ein Theil der Varianten, nämlich folche von ganz
untergeordneter Bedeutung, find nicht unter dem Texte
mitgetheilt, fondern in einen Anhang verwiefen (S. 805
bis 827). Die Auswahl konnte hierbei freilich nicht nach
ganz feften Principien gefchehen. Im allgemeinen wird
man aber auch diefe Anordnung als eine zweckmäfsige
bezeichnen müffen, da durch Ausfcheidung der belang-
lofen Varianten die Ueberfichtlichkeit erhöht wird. —
Die Prolegomena (S. V—XXVII) orientiren in ausreichender
und forgfältiger Weife über den Plan des
Unternehmens und über die benützten Handfchriften.

P'ür die Gründlichkeit und Sorgfalt der Ausführung I
bürgt der Name des Verfaffers. Da die Verwaltung der |
University Press auch den Preis äufserft niedrig gefleht ;
hat (7 s. 6 d.), fo darf es fortan als felbfiverftändlich betrachtet
werden, dafs auch in Deutfchland Jeder, der
einen Septuaginta - Text zum Handgebrauche fich an-
fehaffen will, fich diefer ungemein dankenswerthen Ausgabe
bedienen wird. Der von der Firma Brockhaus verbreitete
Stereotyptext, für welchen noch immer Tifchen-
dorf's Name als Aushängefchild dienen mufs, hat feit dem
Erfcheinen diefer neuen Ausgabe fchlcchterdings keine
Exiftenzberechtigung mehr.

Giefsen. E. Schürer.

Winke über die Wiederherstellung der ältesten lateinischen
Bibelübersetzung.

Codex f- Corbeiensis sive Qvatuor evangelia ante
Hicronymum latine translata. E codice membranaceo
qvinto vel sexto saeculo, ut videtur, scripto, qvi in
Bibliotheca ,Nationali' Parisiensi asservatur. Nunc
primum edidit J. Belsheim. Partem sumptuum sup-
peditavit societas scientiarum Christianiensis. Chri-
stianiae, Aschehoug & Co., 1887. (VIII, 127 S. gr. 8.) |
M. 3. 50.

Um diefen neuefien Erweis des Eifers, mit welchem
der werthe norwegifchc Autor der Italaforfchung ergeben
ift, fachlich würdigen zu können, müffen wir uns
eines von ihm vor fechs Jahren herausgegebenen verwandten
Werkes erinnern, welches den Titel trägt: ;
Das Evangelium des Matthäus nach dem lateini-
fchen Codex ff1 Corbeiensis auf der Kaiferlichen j
Bibliothek zu St. Petersburg von Neuem in ver-
beffertcr Gefialt herausgegeben. Nebft einem
Abdruck des Briefes Jacobi nach Martianay's
Ausgabe von 1695. Chrifiiania, Verlag von P. T.

Malling's Buchhandlung 1S81. Hat Herr Belsheim
in der früheren Schrift den Text von cod. ff1 veröffentlicht
, fo hat er es hier mit cod. ff2 zu thun und zwar
bedient er fich in der Behandlung desfelben fachlich
der bei jener befolgten Methode. Der Unterfchied ifi
nur der, dafs er, der geborne Norwege, fich in jenem
Buch der deutfehen Sprache bedient hat, in diefem der
lateinifchen den Vorzug giebt.

Aber was ift mit diefen Elementen der Buchftaben-
rechnung, und was ifi darüber hinaus mit ihren Zahlen-
coefficienten eigentlich gemeint?

Die Frage würde fich für den in kritifchen Dingen
weniger heimifchen Lefer durch die einfache Hinweifung
auf die betreffende Zeile der Prolegomenen Tifchendorf's
zu feiner editio sepüvia des N. T.'s löfen laffen. Aber
irgend welches, wenn auch nur formales, Intereffe für
das Werk wäre damit nicht gewonnen. Von wirklichem
Belang wird uns eine kritifche Unternehmung erft dann,
wenn es uns gelingt, das Einzelne, was fie bringt, in
feinem Zufammenhangc mit dem Ganzen zu erkennen.
Gerade einer umfaffenden theologifchen Zeitfchrift wird
es anflehen, hier dem Bedürfnifs der weniger Eingeweihten
Rechnung zu tragen, und der Ref. wird darauf hoffen
dürfen, dafs man es ihm zu gute halten werde, wenn
er verfucht, fo gut er's vermag, Rath zu fchaffen, und
erfcheinenden Einzelarbeiten kritifcher Art, wie die vorliegenden
find, bei der Einfahrt in den Hafen theo-
logifcher Ausfiellungen und Verhandlungen einfache
Lootfendienfte zu leiden.

Man wird nicht zu viel fagen, wenn man auch diefe
Arbeiten mit Richard Simon in Zufammenhang bringt.
Er ift thatfächlich der Vater der heutigen Italaforfchung.
Nicht als hätten fich feine Aufftellungen über die alte
und die neue Vulgata überall als haltbar erwiefen.
Aber feine Nachweifungen über das Vorkommen und
die Eigenfchaften der erfteren im Verhältnifs zu der
letzteren find fo reich und gelehrt, dafs man noch heute,
nach dem Verlauf zweier Jahrhunderte von ihm lernen
kann. Staunensweith ift feine Belefenheit in den Werken
der hier in Betracht kommenden alten und mittelalterlichen
Kirchenfchriftfteller: diefelben find ihm wie gegenwärtig
, er fpricht mit ihnen, lernt von ihnen, und bringt
es die Sache mit fich, fleht er nicht an, fie zu widerlegen
. Die Capitel 3—6 feiner kritifchen Hiftorie der
Ueberfetzungen des N. T.'s müffen im Verein mit dem,
was er in feinen Nouvclles Observations niedergelegt,
für Jedermann die Grundlage des Studiums der Itala
bleiben. Indcfs trug R. Simon nicht die Ruhe in fich, die
dazu gehört haben würde, die ihm zugänglichen Urkunden
derfelben ihrem Inhalt nach dem Publicum zu
vermitteln. Es ift das Verdienft eines anderen franzöfifchen
Gelehrten feiner Zeit, hierfür eingetreten zu fein: des Dom
Jean Martianay. Durch fein Unternehmen einer Herausgabe
der Werke des Hieronymus auf das Studium des
Hauptwerkes desfelben, die Vulgata, geführt, fuchte er den
Unterfchied feftzullellen, der zwifchen ihr und den vor ihr
gültig gewefenen lateinifchen Bibelüberfetzungen befteht.
Einige alte, von ihm in der Bibliothek des Klofters Altcorvey
entdeckte Handfchriften, von denen zwei das
Evangelium Matthäi (Nr. 21 und 15), eine dritte (Nr. 625)
den Brief des Jacobus in vorhieron. Ueberfetzung enthielten
, kamen ihm hierbei zu Hülfe: er gab fie, leider
in allzugrofser Eilfertigkeit, im Jahre 1698 in der Weife
heraus, dafs er den Matthäustext der einen (Nr. 21) mit
den Lesarten der anderen (Nr. 15) bereicherte, die des
Jacobusbriefs aber ohne Weiteres aus feiner Quelle abdrucken
liefs. Hier befinden wir uns fofort in bekannter
Gefellfchaft. Jene Altcorveyer Handfchrift Nr. 15, deren
Lesarten Martianay zur Herausgabe der Nr. 21 benutzte,
ift von John Wordsworth als eine fo bedeutende Be-
zeugerin des Italatextes des Evang. Matthäi erkannt
worden, dafs er fie an die Spitze der von ihm herausgegebenen
Old-Latin Biblical texts: Nr. I (Oxf. 1883) ge-