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Ausgabe:

1887 Nr. 2

Spalte:

545-549

Autor/Hrsg.:

Scherer, Rudolf Ritter von

Titel/Untertitel:

Handbuch des Kirchenrechts. 1. Band. 2. Hälfte 1887

Rezensent:

Köhler, Karl

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545

Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 23.

aufserdem lefenswerthe Stellen aus den Homilien
und Sermonen der Kirchenväter und Abfchnitte
aus den Lebensb cfchreibungen der Heiligen.
Haben diefc Stücke den Zweck, den Betenden zu Erinnerung
und Belehrung zu dienen, fo follen andererfeits
die ,Capilula' und ,Collecten' d. i. gebetähnliche Lefungen
und Bittfprüche, die in der Kirche zu befonderem An-
fehcn gekommen find, zu unmittelbarer Erhebung wirken.
Wie der Verfaffer alle diefe Elemente zwar nicht im
Einzelnen, aber doch im Ganzen aus den bibliographi-
fchen Quellen nachweifl, fo verfäumt er nicht, am Schlufs
feiner Darfteilung eine Tabelle über die vorhandenen
liturgifchen Bücher der abendländifchen Kirche zu geben,
deren Menge felbft für Solche, die fich mit dem katho-
lifchen Cultus wiffenfchaftlich befchäftigen, etwas Ueber-
rafchendcs an fich trägt. Mancherlei alfo ifl aus dem
Buche zu lernen: es Hellt, wie es von einem Berufswerke
des Herrn Vcrfaffers nicht anders zu erwarten war, den
gewählten Gegenfland in kurzer und kerniger Sprache
auf Grund gründlicher Quellenstudien lehrhaft dar. Darf
Referent noch ein Paar Wünfche ausfprechen? Der
erffe ift, dafs der Herr Verfaffer die kirchlichen
Tonarten, auf die er bei Gelegenheit der Antiphonen
zu fprechen kommt, nicht blofs berührt, fondern fie
fammt der kirchlichen Notation, in deren Kenntnifs
er zu den Mehlem gehört, etwas näher befprochen
haben möchte. Vielleicht erklärt fich die Unterlaffung aus
einem von ihm fchon gefafsten Plane, in einer befondern
Eortfetzung des Werkes davon ausführlich zu handeln.
Ferner ifl die Lehre von der kirchlichen Schriftlesung
auffallend kurz gcrathen, und docli ift gerade
auf diefem Gebiet noch Vieles klar zu ftcllen. EncN-
lich möchte ich den Herrn Verfaffer erfuchen, in Bezug
auf den Gebrauch der Schriften des Amala-
rius fehr behutfam zu fein. Als ich mich vor mehr als
vierzig Jahren eingehend mit denfelben befchäftigte, ifl
es mir nicht entgangen, dafs er zwar ein recht begabter
und von feuriger Liebe zur Kirche erfüllter, aber doch
ein in Bezug auf feine Deutungen kirchlicher Einrich- [
tungen nicht ganz zuverläffiger Autor ift: er läfst nicht
feiten feiner Phantafie mehr, als erlaubt ift, den Zügel
fchiefsen. Diefe Wünfche follen dem Danke, den wir Herrn
Brambach fchulden, keinen Eintrag thun, fondern die
Wirkung des von ihm Gegebenen fichern.

Marburg. Ernft Ranke.

Scherer, Confifl.-R. Prof. Dr. Rud. Ritter v., Handbuch
des Kirchenrechts. U Bd. 2. Hälfte. Graz, Mofer, 1886.
(VIII u. S. 309—687. gr. 8.) M. 7. 60.

Mit diefem Halbband kommt der erfte Band des
vorliegenden ,Handbuchs', deffen erfte Hälfte in Nr. 25,
1885 vom Ref. angezeigt wurde, zum Abfchlufs. Er um-
fafst das dritte Buch des Ganzen, .kirchliches Verfaffungs-
recht' überfchrieben, und behandelt I) die Stände in der
Kirche (Laienftand und Klerikalftand, S. 309—402, wovon
bezeichnender Weife dem erfteren nicht mehr als 1 '/2 Seiten
zufallen), 2) das kirchliche Aemterwefen (S.403—659) 3)die
Synoden (S. 659—687). Was über den wiffenfehaftlichen
Werth des Werkes in der erften Anzeige ausgefprochen
wurde, findet in der vorliegenden Eortfetzung vollauf
feine Bestätigung. Der Verf. bekundet auf jeder Seite
eine umfaffende, eindringende Gelchrfamkeit, verbunden
mit flaunenswerther Literaturkcnntnifs. Mit Sorgfalt und
Scharffmn, in klarer und knapper Darftellungsform, durchgängig
auf die pofitiven Rcchtsquellen fufsend, wird das
Syftcm bis in's Einzelfte, felbft die Feinheiten des kirchlichen
Ceremonielles nicht ausgefchloffen, entwickelt, fo
dafs, wer fich über irgend ein kirchliches Rechtsinftitut
im Ganzen oder im Einzelnen zu orientiren wünfeht, in
Schcrer's Handbuch niemals vergeblich um Rath fragen
wird. Der Standpunkt ift der in den einleitenden Theilen

dargelegte des correcten, vollbewufsten römifchen Katho-
licismus. Doch mufs anerkannt werden, dafs die Be-
I handlung der Gegenftände durchweg eine rein fachliche,
wiffenfchaftlich ernfte, das Urtheil, fo weit die gegebenen
Vorausfetzungen es geftatten, befonnen und mafsvoll ift.
1 Der Verf. ift unbefangen genug zuzugeftehen, dafs das
I Cölibatsgefetz, deffen .Möglichkeit und Ziemlichkeit' felbft-
verftändlich feftgehalten wird, nicht göttlichen Rechts
und nicht von den Apofteln dem Klerus gegeben fei
(S. 388). Er behauptet in gewiffem Sinne die Selbft-
ftändigkeit der bifchöflichen Jurisdictionsgewalt neben
t der päpftlichen (S. 457. 557 ff.). Die kanonifchen Standes-
Privilegien der Kleriker gelten ihm nicht als juris divini
j (wenigstens wird es nicht geradezu behauptet S. 398),
die kirchliche Gehorfamspflicht nicht als unbedingt (S.445).
Er gesteht dem Staate das Recht zu, fich gegen allen-
fallfige Uebergriffe der Kirchengewalt in nicht-kirchliches
Gebiet zu wahren (S. 467) und fpricht das grofse Wort
gelaffen aus, dafs ,ein Zwang der Akatholiken zur Theil-
nahme an dem katholifchen Gottesdienst oder den Sacra-
menten als unmoralifch unter allen Umständen zu verwerfen
' fei (S. 635): das fcharfe Verwerfungsurtheil,
welches damit über zahlreiche der glänzendsten Erfolge
der Gegenreformation gefällt ist, fcheint ihm nicht zum
Bewufstfein gekommen zu fein. Ueberhaupt zeigt fich
durchweg das anerkennenswerthe Bestreben, den Gegenfatz
zwifchen den kirchlichen Forderungen und der modernen
Wirklichkeit eher zu mildern als zu fchärfen und daher,
fo weit möglich, nicht die fchärfften Spitzen des Syftems
hervorzukehren.

Das Mifsliche und Schwierige folchen Bemühens tritt
freilich an zahlreichen Stellen zu Tage. In dem Streite
zwifchen Curialismus und Epifkopalismus fucht der Verf.
für den letzteren zu retten, was zu retten ift (die Bifchöfe
follen nicht zu Vicaren des Papftes werden S. 557), und
will nicht zugeben, dafs das Vaticanum für den Curialismus
fpreche (S. 558). Doch kommt er nicht weiter als
zu dem Satze, dafs der Streit zwifchen den beiden
Syftemen noch unentfehieden fei (S. 559). Er ift in Wirklichkeit
unwiderruflich entfehieden, feitdem das Vaticanum
die Papftgewalt als eine vere cpiscopalis et imme-
diata, im ganzen Gebiete der Kirche wirkfame, alfo mit
derjenigen jedes Bifchofs in feinen eigenthümlichen Functionen
coneurrirende erklärt hat. Wie auf demfelben
Gebiete und in denfelben Angelegenheiten zweierlei Jurisdictionen
gleicher Art follen coneurriren können, ohne
dafs die eine die Quelle der anderen, diefe alfo eine dele-
girte ifl, ift ohne inneren Widerfpruch nicht denkbar,
zumal wenn der Inhaber der erfteren befugt fein foll,
jeden Augenblick nach Gutfinden die andere zu fuspen-
diren und deren Zuständigkeiten an fich zu ziehen. Das
altkanonifche Prädicat der Bifchöfe als vom Papft inpar-
tem sollicitudinis vocaü ift jetzt volle Wahrheit geworden.
— Der Papft als Univerfalbifchof, wird S. 460 gelehrt,
ift ,einfach Alles in der Kirche zu verfügen competent',
allerdings nur in der Kirche, daher die Gehorfamspflicht
gegen ihn und die von ihm bevollmächtigten kirchlichen
übern fich nur ,auf kirchliche, d. h. der Jurisdiction der
Kirche unterstehende Acte erstreckt' (S. 445). Darauf beruht
der Widerfpruch des Verf.'s gegen die Annahme
einer abfoluten kirchlichen Gehorfamspflicht: eine Ge-
horfamsverweigerung aus dem formalen Grunde derCom-
petenzüberfchreitung von Seiten des befehlenden Oberen
gilt ihm als möglich. Indeffen wird bemerkt, dafs folchc
Competenzüberfchrcitungen zwar möglich, ,doch nie zu
vermuthen* feien (S. 465), dafs Mißbrauch der päpftlichen
Gewalt, wenn auch in thesi denkbar, doch in Wirklichkeit
nicht vorkomme (er fei .weder zu vermuthen, noch zu be-
forgen' wegen der von Christus der Kirche verheifsenen
Leitung des heil. Geiftes S. 462). So bleibt für die theo-
retifch zugeftandene Möglichkeit einer Competenzprüfung
feitens des Gehorfamspflichtigcn nur ein verfchwindend
kleiner Spielraum : von einem Recht oder einer Pflicht

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