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Ausgabe:

1887 Nr. 22

Spalte:

528-529

Autor/Hrsg.:

Heuch, J. C.

Titel/Untertitel:

Das Wesen des Unglaubens. Populäre polemische Vorträge 1887

Rezensent:

Sachsse, Eugen

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527 Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 22. 528

■Gnade eines allmächtigen Gottes gewifs wird, dafs er ! auf etwas Anderes hinaus, nämlich auf die vom Verf.
vor die Leidensgeftalt Jefu gehellt wird, fo liegt ihm ge- 1 verworfene Strafftellvertretung. Auf fo fchwachen Füfsen
wifs nichts ferner, als in leichtfertigem Vertrauen auf ; fteht die Theorie, um deren Willen der Verf. gar nicht
Straferlafs den Ernft der fittlichen Selbftbeurtheilung zu | dazu kommt, die Hauptfache zu erörtern, nämlich dafs
verlieren. Anders wäre es, wenn wir die Vergebung , Gott, indem er in Chriftus mit uns in Verkehr tritt, die
durch eine^Lehre überkämen; dann müfste es nöthig er- Vergebung der Sünden thatfächlich an uns vollzieht,
fcheinen, die Botfchaft von der Vergebung durch die ! Auf eine ungefunde Vorliebe für Nebengedanken ift end-
Lehre von Strafftellvertretung oder Sühnung plaufibel lieh auch die chriftologifche Arbeit im engeren Sinne,
und unfehädlich zu machen. Es handelt fich aber nicht wie fie vom Verf. betrieben wird, zurückzuführen. Für
um die Annahme einer Lehre, fondern um die Auffaffung ' den Chriften kommt darauf Alles an, dafs er Gott
einer gefchichtlichen Wirklichkeit und um das Verftänd- in Jefus Chriftus findet, fo dafs er fich lagen darf, dafs
nifs des in Jefus uns zugewandten Gottes. Namentlich in Gott fich ihm in der Welt unwiderfprechlich enthüllt
feiner Polemik gegen Ritfehl läfst es der Verf. unver- [ hat und mit ihm in Verkehr getreten ift. Offenbar ift
hüllt hervortreten, dafs er fich unter der Vergebung , es alfo auch die Hauptaufgabe der Theologie, hierüber
Gottes nichts Anderes vorftellen kann, als eine Ankün- möglichfte Klarheit zu verbreiten. Und ich bekenne mit
digung und zwar eine Ankündigung des Straferlaffes. , aufrichtigem Danke, dafs ich auch den Erörterungen des
Er kann es daher gar nicht faffen, wie man nicht ge- 1 Verfaffers Manches für diefen Zweck Förderliche ent-
willt fein könne, dem Glauben an die Vergebung durch nommen habe. Wenn man nun fo zu Chriftus fteht, fo
die Theorie von einer voraufgegangenen Sühnung einen wird fich unwillkürlich die Vorftellung bilden, dafs die
Halt zu geben. Ich bin dagegen der Meinung, dafs durch ' Pcrfon diefes Mannes nicht wie die unferige in der Welt
alle folche Theorien, mit oder ohne Schriftbeweis, eine , geworden fei, fondern in einzigartiger Weife zu Gott ge-
blofse Botfchaft von der Vergebung nicht cindrucks- | höre. Es fällt mir nicht ein, das Recht diefer Vorftellung
voller werden kann. Die Lehre von einer ftellvertreten- 1 zu beftreiten, die uns auf das unergründliche Geheimnifs
den Genugthuung, man mag die letztere nun faffen wie der Thatfache hinweift, die uns wahres Leben giebt.
man will, wird niemals im Stande fein, das Selbftgericht 1 Aber man mufs doch durch unberechtigte Neigungen ftark
eines zu fittlichem Ernft geweckten Sünders zu be- geblendet fein, wenn man überfehen kann, dafs im Neuen
fchwichtigen und ihn dahin zu bringen, dafs er der An- Teftament jene Vorftellung keineswegs als Boden einer
kündigung, er folle ftraffrei fein, nicht mehr entgegen- chriftologifchen Speculation benutzt wird, in welcher der
hält, er fei durch eine göttliche Notwendigkeit gezwun- Zweig der Theologie, dem der Verf. angehört, feine
gen, fich felbft zu verurtheilen. Der Verf. würde mit [ kräftigften Blüthen treibt. Der vulgären Annahme, dafs
feiner Theologie ein gutes Stück weiter kommen, wenn die Anfätze dazu im Neuen Teftament vorhanden feien,
er fich einmal an der Hand von Luc. 7, 37 ff. klar 1 und dafs wir den Beruf hätten, diefe Anfänge fortzumachen
wollte, wie allein wirkliche Vergebung itattfinden führen, beftreite ich ihr Recht. Es fcheint mir richtiger
kann. Vielleicht darf ich ihn auch, da er mein Buch ,der zu fein, gerade die Zurückhaltung, welche die biblifchen
Verkehr des Chriften mit Gott' freundlich beachtet hat, Schriftfteller dabei beobachtet haben, ernftlich zu er-
auf das dort S. 40—45 Ausgeführte verweifen. Von diefer : wägen und ihnen darin zu folgen.

Einficht aus würde der Verf. bemerken, dafs die Arten | Zum Schlufs möchte ich ausfprechen, dafs dem Verf.
der ftellvertretenden Genugthuung Nebengedanken dar- | die Ausführlichkeit meiner Recenlion das Intereffc an dem

Buche bezeugen foll, und dafs es mir nützlich erfchienen
ift, die Punkte, in welchen ich ihm zuttimme, hinter
den Differenzpunkten zurücktreten zu laffen.

Marburg. W. Herrmann.

ftellen, welche bei demjenigen, der die Vergebung durch
Chriftus bereits empfangen hat, nachträglich auftreten
können, welche aber felbft in der tieffinnigften Ausführung
nicht dazu dienen können, einem Menfchen die
göttliche Sündenvergebung zu verfchaffen. Der Verf.
kann fich ja freilich darauf berufen, dafs die Zurückftel-

lung der Hauptfache und die Bevorzugung eines Neben- 1 Heuch, J. C, Das Wesen des Unglaubens. Populäre pole

gedankens, welche ich bei ihm zu finden meine, auch in 1 mifche Vorträge. Aus dem Norwegifchcn von Patt,

der gefammten älteren Theologie der evangelifchen q Gleifs. Autorif. Ausg. Leipzig, Fr. Richter, 1886.

Kirche, die Reformatoren miteingefchloflen, vorliegen cjorM-sfin

würde. Aber was früher unter dem Druck juriftifcher (1V> 312 a- ö-> m- 3-°°-

Analogien, die uns jetzt entfehwunden find, und in der Obwohl in diefen Vorlefungen der Stoff bearbeitet
regen Erinnerung an das römifche Bufsfakramcnt ent- ift, den wir meift als .Apologetik' bezeichnen, fo nennt
fchuldbar oder kirchlich berechtigt war, wird jetzt anders Verf. fie doch polemifche Vorlefungen aus einem befon-
zu beurtheilen fein. Denn dafs man inzwifchen in der deren Grunde. Er hält es für ganz vergeblich, die chrift-
evangel. Kirche jene Nebengedanken als folche erkannt ; liehe Wahrheit vor der allgemeinen Vernunft rechtferti-
hat, dürfte wohl einfach daraus hervorgehen, dafs nie- | gen zu wollen; darum weil die chriftlichc Wahrheit über
mand mehr daran Anttofs nimmt, wenn die Vorftcllungen J diefe Vernunft hinausgehe. Es ift alfo eine Mifshandlung
von einer ftellvertretenden Genugthuung in einer bunten der chriftlichen Wahrheit, wenn man fie wie einen AnMannigfaltigkeit
ausgeprägt werden, welche für die geklagten vor den Richterftuhl der allgemeinen Vernunft
Nebengedanken zuläffig ift, dagegen für die Formulirung fchleppt, um da ihr Urtheil zu empfangen; und was vor
des wichtigften Glaubensgutes nicht natthaft fein dürfte, diefem Tribunal als Wahrheit anerkannt wird, kann un-
Es ift daher in der That bereits der Moment eingetreten, möglich noch das echte Chriftenthum fein. Verf. fchlägt
wo die Bevorzugung jener Nebengedanken einen fecti- J deshalb einen andern Weg ein: er will das Chriftenthum
rerifchen Beigefchmack empfängt. Für den Satz, dafs vertheidigen, indem er gegen die ungläubige Vernunft
Gott für die Sünde, die er vergeben wolle, um feiner Ge- 1 angreifend vorgeht. Zunächft entwickelt er, dafs der
rechtigkeit willen eine Sühne fordern müffe, beruft fich ! Unglaube fich vom Glauben unterfcheide nicht durch den
der Verf. immer wieder auf Rom. 3, 24 ff. Diefe Stelle Stoff, den er umfafst, fondern durch die fittliche Gefin-
vergleicht doch nun ohne Zweifel den Tod Jefu mit dem nung. Viele Namenchriften halten fzft an dem ganzen
Opfer am grofsen Verföhnungstage. Dafs es fich aber Stoff chriftlicher Wahrheit und find doch ungläubig; viele
bei diefem Opfer um Sühnung in dem Sinne des Verf.'s, I fuchende Chriften zweifeln noch an vielen Wahrheiten
d.h. im Sinne von williger Anerkennung und Erduldung und find doch gläubig. Glaube ift die Willigkeit, fich
der Sündcnftrafe gehandelt habe, dürfte wohl kaum zu Gott hinzugeben, wo er fich offenbart, während Unglaube
beweifen fein. Wenigftens kommt Riehms Verfuch, Behauptung des Eigenwillens ift. Sodann.weiftVerf.es
diefem Opfer eine fühnende Bedeutung zu vindiciren, | als Selbfttäufchung nach, wenn die Ungläubigen bchaup-