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Ausgabe:

1887 Nr. 22

Spalte:

520-528

Autor/Hrsg.:

Gess, Wolfg. Friedr.

Titel/Untertitel:

Christi Person und Werk nach Christi Selbstzeugnis und den Zeugnissen der Apostel. 3. Abth.: Dogmatische Verarbeitung des Selbstzeugnisses Christi und der apostolischen Zeugnisse 1887

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 22.

520

auf der Theologifchen Conferenz zu Giefsen am 24. j
Juni 1886. Giefsen, Ricker, 1887. (120 S. 8.) M. 1.60.

Die Giefsener Theologifche Conferenz vom vorigen
Jahre hat uns wiederum mit zwei dankenswerthen Vorträgen
, die nachträglich gedruckt worden find, befchenkt. j
In dem erften derfelben unternimmt es Seil, die ge-
fchichtliche Entwicklung der Kirche im 19. Jahrh. und 1
die ihr dadurch geftellte Aufgabe darzulegen. Bei dem
gewaltigen Stoff, der hier in den knappen Rahmen
eines Vortrags hineinzudrängen war, mufste fich natur-
gemäfs S. der gröfsten Kürze befleifsigen. Es war nicht
zu vermeiden, dafs die Darftellung häufig den Charakter
flatiffifcher Aufzählung annahm. Auf diefe Weife ift es
aber dem Vortragenden gelungen, mit annähernder
Vollftändigkeit alle wichtigen Erfcheinungen zur Sprache
zu bringen. Ueber die Behandlung im Einzelnen liefse
fich ja fehr leicht ftreiten. Manchem werden hervorragende
Bewegungen zu flüchtig berührt fein. Andere
mögen finden, dafs der Verf. hie und da fich zu fehr
auf's Einzelne eingelaffen hat. — Zunächft wendet der
Verf. der römifchen Kirche im 19. Jahrh. feine Auf-
merkfamkeit zu und hier gelingt es ihm vortrefflich zu
zeigen, zu welcher Machtentwicklung durch alle Wechfel-
fälle hindurch, die es fich flets zu Nutze zu machen
wufste, das römifche Papftthum in unferm Jahrhundert
gelangt ift. Hierbei wird nicht nur Deutfchland, fpeciell
Preufsen, fondern auch das übrige Europa und Amerika
mit hineingezogen in den Kreis der Betrachtung. — Aus
dem zweiten Abfchnitte, der den Proteftantism us im
19. Jahrh. in's Auge fafst, fei befonders die warme, von
vielfacher fonftiger Beurtheilung abweichende Anerkennung
, mit der die Verdienfte Friedrich Wilhelm's III.
um unfere Kirche gewürdigt werden, hervorgehoben.
Während in diefem Capitel gleichfalls die aufserdeutfchen
Länder, befonders die franzöfifche Schweiz, eingehend
berückfichtigt werden, müffen Theologie und Miffion mit
fehr befcheidenem Räume fich begnügen. — Die Bedeutung
der morgenländi fchen Kirche, die S. zuletzt
erörtert, fchlägt er viel höher an gerade wegen ihres
zugleich politifchen Einfluffes, wie es fonft wohl ge-
fchieht. — Zum Schluffe führt der Verf. noch in aller
Kürze die Aufgaben an, welche fich aus dem Gange
der Gefchichte ergeben, und fchildert Art und Mittel,
vermöge deren jede einzelne der drei Kirchen die
Löfung diefer Aufgaben in Angriff nimmt bezw. nehmen
follte. —

Heinrici fetzt mit feiner Darftellung des heutigen I
Standes der paulinifchen Forfchungen mit vollem Recht
bei Baur ein, deffen epochemachende Leiftungen er
wiederholt in den ftärkften Ausdrücken preift. Um fo
auffallender mufs erfcheinen, dafs der Verf. im Weiteren
von bleibenden Verdienflen der Arbeiten und Refultate
Baur's, denen er eine fehr eingehende, faft zu breite Erörterung
widmet, wenig merken läfst. Vielmehr ift H. 1
bei allen wefentlichen Punkten in der Lage, fich im 1
Gegenfatze zu dem gepriefenen Meifter der Tübinger
der Richtung und den Ergebnifsen der Forfchungen
Ritfchl's anzufchliefsen. — Nachdem der Verf. in Kürze
die in Zuftimmung oder Ablehnung an Baur anknüpfenden
Gefammtauffaffungen des Urchriftenthums befpro-
chen hat, wendet er fich zu den paulinifchen Briefen der
Reihe nach, berührt im Vorbeigehen einzelne wichtige
Fragen, wie die der Verfaffung und der Chriftusvifion,
erörtert dann die wichtigften biblifch - theologifchen
Probleme auf dem Gebiete des Paulinismus und fchliefst,
indem er eine Reihe fchwerwiegender, fehr umfaffender
Fragen aufwirft, deren Löfung in engem Zufammenhange
mit den Problemen des Paulinismus fleht. Einen einiger-
mafsen vollftändigen Ueberblick über die grofse Fülle
von hierher gehörenden Arbeiten, bei dem hie und da
kleine Ungenauigkeiten in der Wiedergabe der betreffenden
Anflehten — vgl. z. B. z. Römbr. S. 90 f., z. Colbr.

S. 101 — nur zu leicht begegnen konnten, vermochte H.
nur dadurch zu erzielen, dafs er fich vielfach bei den
Monographien mit einfacher Angabe des Namens und
Gegenftandes begnügt. — Im Einzelnen fei noch bemerkt
, dafs doch wohl die Verdienfte Klöpper's um
II. Cor. Br. nicht genügend hervorgehoben, die Bedeutung
Holften's und Pfleiderer's für tiefere Ergründung
des Paulinismus einigermafsen unterfchätzt find, während
es fraglich erfcheinen mufs, ob Männer wie Loman, Br.
Bauer und Havet fo ernft zu nehmen find, wie es Verf.
für richtig hält.

Halle a/S. Ed. Gräfe.

Gess, Gen.-Superint. a. D. Dr. Wolfg. Friedr., Christi
Person und Werk nach Chrifti Selbftzeugnifs und den
Zeugnifsen der Apoftel. 3. Abth.: Dogmatifche Verarbeitung
des Selbftzeugnifses Chrifti und der apofto-
lifchen Zeugnifse. Bafel, Detloff, 1887. (XXVIII, 488 S.
gr. 8.) M. 7.60.

Diefes Buch bildet den Abfchlufs des Werkes, in
welchem der Verf. feine Kenofislehre umfaffender darlegen
und begründen wollte, als es in der kleineren
Schrift von 1856 gefchehen war. Zunächft wird in fechs
Abfchnitten das Werk Chrifti (in den Fleifchestagen,
zwifchen Tod und Auferftehung, zwifchen Auferftehung
und Himmelfahrt, zwifchen Himmelfahrt und Wiederkunft
, Wiederkunft, in der Fülle der Zeiten) behandelt,
weil, wie der Verf. richtig bemerkt, dies der von Jefus
felbfl gewiefene Weg zu einer lebensvollen Erkenntnifs
feiner Perfon fei. Die orthodoxe Lehrweife in der Gliederung
eines munns triplex wird abgelehnt. Zur Widerlegung
dient dabei der me-kwürdige Satz, der Königs
name eigne fich, wie die Selbftbezeichnung Jefu als des
Hirten, nicht fo fehr für den dogmatifchen als für den
praktifchen Sprachgebrauch. Die Dogrruitik verfährt doch
wohl auch unpraktifch, wenn fie dem Werke Jefu den
Titel nicht geben will, der demfelben als dem meffia-
nifchen Werke in erfter Linie zukommt. Alsdann folgt
in elf Abfchnitten die Lehre von Chrifti Perfon. Nach
dem über den richtigen Erkenntnifsweg Bemerkten
könnte man meinen, dafs die Gedanken des Glaubens
über diefe Perfon aus dem Verftändnifs des Werkes
derfelben entwickelt werden würden. Das gefchieht aber
nicht. Es wird vielmehr der vom Verf. aus den biblifchen
Urkunden gewonnene Bericht über das Werk Jefu als
Anlafs zu der Frage benutzt: wie mufste der Mann be-
fchaffen fein, der ein folches Werk vollbringen konnte?
Die Antwort darauf findet der Verf. in dem Selbftzeugnifs
Jefu von feiner Gottesfohnfchaft. Unter der letzteren
wird verftanden, ,dafs ihm der Vater gegeben hat, Lebensquell
zu fein, wie der Vater Lebensquell ift'. Daran
wird ,das ewige Gezeugtfein* des Sohnes ange-
fchloffen. ,Die Identität des Ichs des Jefus auf Erden
und des erhöhten Jesus mit dem Ich, welches zuvor in
der Herrlichkeit bei dem Vater gewefen, enthält die
Kraft Jefu zu feinem Werk, enthält aber zugleich das
fchwere Problem feiner Perfon'. Die Löfung diefes Problems
findet der Verf. in der Lehre von der Entherr-
lichung des Logos, d. h. von einem „Uebergange aus dem
fich felbfl Setzen in das Gefetztfein'. Dabei werden die
chriftologifchen Lehren von Ritfehl, Schultz, Rothe,
Dorner, deffen frühere Pofition Kähler wieder aufgenommen
habe, und Frank zurückgewiefen; — eine Ausein-
anderfetzung mit Thomafius, Kahnis, Luthardt fcheint
der Verf. für überflüffig zu halten. Pibenfo ftark wird
aber auch der Widerfpruch betont, in welchen fich der
Verf. zu der orthodoxen Dogmatik fetzt, fofern diefelbe
die Dogmen von Nicäa und Chalcedon aufrecht erhalten
will. Der Verf. beftreitet in der Trinitätslehre die
Identität der Wefenheit von Vater, Sohn und Geift(452),
will aber doch auf der einen Seite die Gottheit des