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Ausgabe:

1887

Spalte:

481-484

Autor/Hrsg.:

Löber, Rich.

Titel/Untertitel:

Die Machtstellung des evangelischen Glaubens in der Gegenwart 1887

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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als gefteigerte Einwirkung des neuen Lebens auf das j
natürliche Gefchehen.

Mit diefen Darlegungen will es {ich nun fchwer vereinen
, dafs Verf. im 3. Capitel die Fürfehung auch auf das
gefetzmäfsige Naturgefchehen ausdehnt. Gäbe es keine 1
creatürliche Freiheit, fondern nur ein Naturgefchehen
nach dem Caufalnexus, fo wäre für die gubcinatio kein j
Raum; die oratio und conservatio würden genügen, um i
die vorzeitliche 3tQ0#e0lQ auszuführen. Das ,fich gegen- |
feitig in Schach Halten' der natürlichen Kräfte, z. B. der j
Planeten und der Sonne (p. 164), ift durch die consei-vatio j
gegeben; wäre dazu noch eine besondere gubci natio nöthig,
fo wäre diefe eine Corrcctur der Weltfchöpfung. Erft
dadurch, dafs das natürliche Gefchehen verfetzt wird mit
dem freien Handeln gtiftiger Wefen und dafs das Heil
der letzteren als Endzweck alles natürlichen Gefchchens 1
gedacht wird, ift die Annahme einer dritten Thätigkeit
Gottes, der gubcinatio, nothwendig. Verf. vermifcht hier j
die vorzeitliche jryo&sotg mit der gubcinatio. Daher follte
Verf. der angefochtenen Aufhellung PfafTs vielmehr bei-
ftimmen: dafs dem blofsen Naturgefchehen gegenüber
die Fürfehung unnöthig fei. Im letzten Capitel weift
Verf. die Hohlheit und die Widerfprüche derauf den Dar- j
winismus fich nützenden antiteleologifchen Naturwiffen-
fchaft nach.

Die forgfältige Arbeit wird jeden nachdenkenden j
Eefcr anregen und befriedigen

Herborn. H. Sachfse.

Löber, Hofpred. Konfifl-R. D. Rieh., Die Machtstellung
des evangelischen Glaubens in der Gegenwart. Vortrag,
auf der Thüringer kirchl. Konferenz am 27. April 1887
in Rudolfladt gehalten. Dresden, v. Zahn & Jaenfch,
1887. (48 S. gr. 8.) M. 1.—

Selten wird eine kirchliche Conferenz das Glück
haben, durch einen fo anziehenden Vortrag, wie der 1
vorliegende, erfreut zu werden. Man fühlt es dem Worte
des Verf.'s ab, dafs er in geiftiger Stille lebt. Auch da,
wo er heftig ftreitet, bleibt er friedevoll und lüftet Frieden
. Viele werden auf's Freudigfte dadurch überrafcht
fein, dafs an folcher Stelle und bei folcher Gelegenheit
einmal wieder von der göttlichen Kraft geredet wird, '
die der Glaube deshalb hat, ,weil er an Chriftus fich
anfchliefst, in dem alle für den Menfchen eintretenden j
lummlifchen Mächte fich perfönlich zufammenfaffen'. Der
Verf. ift fich des Gegenfatzes wohl bewufst, in den er
dadurch zu der kirchenpolitifchen Zerftreutheit vieler
kirchlichen Kreife tritt. Er weifs, dafs kirchenpolitifche
Agitationen ,mit der Stärkung des Glaubens nur fchein- I
bar zufammenhängen und bisweilen auch von folchen
betrieben werden, die allen geiftigen Mächten völlig ent-
fremdet find'. In der Macht Jefu Chrifti ift die Macht- |
Heilung des evangel. Glaubens begründet. Die perfön-
liche Macht Jefu kann nur aus demjenigen erkannt j
werden, was fie wirkt. ,Die entfeheidendite Wirkung |
feiner Macht fehen wir aber darin, dafs Menfchen, die j
ihm einft fremd gegenüberftanden, fich von ihm überwältigen
und dahin bringen laffen, ihm fich ganz zu ergeben
. Das ift evangelifcher Glaube'. Dann folgt eine j
herrliche, echt lutherifche Schilderung des Glaubens, von
der .unabhängigen Pofition' desfelben, ,in der es eine
Luft zu leben ift'. Die Sündenvergebung Chrifti giebt
uns innere Kraft und Freiheit; aber die letztere bewährt
fich darin, dafs wir der Dinge mächtig werden, die auf
auf uns überwältigend wirkten. Der von evangelifchem j
Glauben befcelte Menfch ift nicht bei einer kirchlichen j
Vcrfichcrungsanftalt eingefchrieben und liegt nicht einer !
Himmelskönigin als Wickelkind im Arm, londern er ift |
das fchickfalbezwingende, wcltüberwindende Kind eines
allmächtigen Vaters, das zum vollen Genufs feines Däferns
gelangt, indem es wahrhaft für Andere lebt. Ein

folcher Glaube wirkt Glauben in Anderen, weil aus feinen
wahrhaftigen Erweifungen das Bild Chrifti wiederftrahlt.
In Verbindung mit folchem Glaubenszeugnifs aus der
Gemeinde Chrifti wirkt das gefchichtliche Bild Chrifti den
Glauben, in welchem wir den Vater finden. Zu ihrer
vollen Entfaltung kommen aber diefe Wirkungen erft
dann, wenn der Glaube zu der Erkenntnifs emporwächft,
dafs eben darin der erhöhte Chriftus uns gefegnet hat
und allezeit fegnet. Auf diefer Erkcnntnifsftufe des
Glaubens bleibt aber ficherlich, damit wir nicht aus der
höchften Höhe in den tiefften Schmutz herabftürzen, die
Warnung des Verf.'s zu beherzigen: ,Da wir indefs von
dem zur Rechten Gottes erhöhten Chriftus uns keine
klare Vorftellung bilden können, fo ftellen wir uns das
Bild des einft auf Erden wandelnden Chriftus vor Augen,
indem wir deffen gewifs find, dafs er für uns eintritt'.
In diefer ganzen Ausführung wüfste ich nur folgenden
Satz zu beanftanden : ,Paulus hat den erhöhten Chriftus
gefchaut und hat mit ihm geredet; er fand in ihm den
feften Stützpunkt feines apoftolifchen Wirkens; darum
füllten die, welche das Wirken des erhöhten Chriftus
noch nicht innegeworden find, nicht mit plumper Dreiftig-
keit von Phantafiegebildcn reden'. Das ift ein die Wahrheit
verhüllender Satz. Trotz der Bedeutung, welche
die Erfcheinung auf dem Wege nach Damaskus für das
apoftolifche Wirken des Paulus gewonnen hat, ift der
Apoftel doch ernftlich bemüht gewefen, die Seinen davon
zu überzeugen, dafs die Zuftände, in welchen man
folche Erfcheinungen zu haben meint, nicht das Normale
und Erftrebenswerthc für den Chriften find. In folcher
Beurtheilung diefer Dinge ift ihm Luther gefolgt, der
fogar die ,Dreiftigkeit' gehabt hat, in feiner letzten gröfse-
ren Schrift Folgendes zu fchreiben: Jmo si in manu mea
res esset, Hon vcllcm, Deum mihi loqui de coelo, aut appa-
rerc mihi'. Dagegen hat Paulus ficherlich gemeint, ein
folches Innewerden des Lebens Chrifti in uns, wie er es
Gal. 2, 20 von fich bezeugt, fei für alle Chriften das Normale
. Es wird daher nicht nur möglich, fondern auch
fehr nothwendig fein, dafs man Beides von einander
unterfcheidet und nicht in einander mengt, wie der Verf.
in jenem Satze thut. Die Unterfcheidung ift auch nicht
fchwicrig. In dem elfteren Falle handelt es fich um eine
Vorftellung, welche in einem finnlich fafsbaren, zeitlich
begrenzten Erlebnifs ihren Halt hat. In dem zweiten
Falle handelt es fich um eine Erkenntnifs des Glaubens,
zu welcher der Glaube dadurch erhoben wird, dafs der
Inhalt der Gottesoffenbarung, die den Glauben hervorgebracht
hat, die volle Macht über das Denken des
Glaubens gewinnt. So werden dem «Chriften überhaupt
die Geheimnifse des Glaubens aufgethan; und fo auch
dies, dafs der erhöhte Chriftus auf uns wirkt. Dafs der
Glaube folche Gedanken faffen lernt, ift wahrlich nichts
Geringes; denn er wächft an weltüberwindender Kraft,
indem er in folcher Weife emporwächft. Der Verf. fcheint
mir jene Unterfcheidung als plumpe Dreiftigkeit auszulegen
. Wenn ich das tragen mufs, fo werde ich es auch
tragen können. Es ift aber ficher, dafs man gröfsere
Freudigkeit dabei gewinnt, wenn man gerade an diefem
Punkte dem fcheinbar frommen Gerede widerfteht, als
wenn man vor dem Andrang desfelben zurückkriecht,
wie der Verf. zu meinem Leidwefen zu thun fcheint. —
Mit voller chriftlicher Klarheit redet der Verf. dann wieder
über die Nothwcndigkeit, dafs in dem Herzen des
Chriften Leid und Freude, Armuth und Reichthum bei-
fammen find. Aber ich mufs es mir hier verfagen, auf
den ganzen Zufammenhang der trefflichen Rede einzugehen
. Nur Einzelnes fei noch hervorgehoben. ,Dic ge-
wohnheitsmäfsige Wiederholung der Glaubenszeugnifse,
mit denen einft Andere zu Chriftus fich bekannten, würde
mit innerer Unwahrheit behaftet und daher machtlos
fein. Auch trägt der evangelifche Glaube in fich jene
fcharfe kritifche Urtheilskraft, die es den aufrichtigen
Bekennern unmöglich macht, all die Formen, in denen