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Ausgabe:

1887

Spalte:

474-475

Autor/Hrsg.:

Egli, Emil

Titel/Untertitel:

Die St. Galler Täufer. Geschildert im Rahmen der städtischen Reformationsgeschichte 1887

Rezensent:

Staehelin, Rudolf

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Schickfale erlegen, wenn er nicht — Briefe hinterlaffen
hätte, die man befafs und nicht vergeffen konnte. Lediglich
Paulus der Schriftfteller hat Paulus den Apoftel ge-
fchützt. Letzteren konnte man bei der Bildung der Tradition
fchlechterdings nicht brauchen, und er hat bis
über den Anfang des 3. Jahrhunderts hinaus die gröfsten
Schwierigkeiten gemacht. Das, was die Tübinger Kritik
im 2. Jahrhundert an Gegenwirkungen gegen Paulus bemerkt
, ift richtig bemerkt, aber falfch gedeutet. Diefe
Gegenwirkungen arbeiteten als flille Factoren, aber mit
der Gewalt elementarer Kräfte; fie können daher nur im
Rahmen des Problems der Bildung der kirchlichen
Tradition verftändlich gemacht werden. Auch diefe

Egli, Privatdoc. Pfr. Lic. Emil, Die St. Galler Täufer. Ge-

fchildert im Rahmen der ftädtifchen Reformations-
gefchichte. Mit Beiträgen zur Vita Vadiani. Zürich,
Schulthefs, 1887. (VII, 67 S. gr. 8.) M. 1. 40.

Wie die 1878 von dem gleichen Verfaffer veröffentlichte
Gefchichte der Zürchcrifchen Wiedertäufer, fo ift
auch die vorliegende Schrift über die Täuferbewegung in
St. Gallen als ein werthvoller und in gedrängterZufammen-
faffung Vieles bietender Beitrag zur fchweizerifchen Re-
formationsgefchichte willkommen zu heifsen. Der Verf.
hat fich darin die Aufgabe geftellt, mit vorzugsweifer
Benutzung der bis jetzt noch unverwertheten Daten des

Bildung ift eine ftille Entwickelung gewefen, die man nicht j archivalifchen Materials, namentlich des Rathsbuchs, den

in öffentliche Actionen aufzulöfen vermag. Weil dem
Verf. dies verborgen geblieben ift, fo greift er an ent-
fcheidenden Stellen zur Erklärung der Probleme auf den
Gegenfatz des Heidenchriftenthums und des Judenchriften-
thums, auf bewufste Unificirungen u. f. w. zurück. Et
ilt freilich fchon recht vorfichtig geworden, viel zurückhaltender
, als die Meißen, die, wie er, unter dem Einfluffe
Ilausrath's und Holften's ftehen; allein um fo mehr
frappirt die gelegentliche Auskunft. Ich meine natürlich
nicht, dafs man für die Frage nach dem Urfprung und
der Bedeutung des Apoftolats von dem Gegenfatz zwifchen
Paulus und feinen judenchriftlichen Gegnern abfehen
könne. Es verfteht fich von felbft, dafs im apoftolifchen
Zeitalter (im engften Sinn des Worts) diefer Gegenfatz
für unfere Frage von höchftem Belang gewefen ift; aber
darüber hinaus vermag ich ein Fortwirken jenes Gegensatzes
innerhalb der Heidenkirche nicht zu conftatiren.
Sie hat aus jenen Kämpfen den noch unfertigen
Apoftelbegriff mit einer ganz beftimmten Tendenz
der WeiterentWickelung empfangen; aber die Factoren
, die dann auf diefe Weiterentwickelung eingewirkt
haben, find ganz neue gewefen. Was der Verf. über die
typifche Bedeutung des Zwülfapoftolats und über den
Apoftolat in der fpäteren judaiftifchen Literatur ausgeführt
hat, fcheint mir befonders problcmatifch. Auch
feine Behandlung der fynoptifchen Evangelien geht von
Vorausfetzungen aus, die ich nicht zu theilen vermag.
Dies führt mich auf ein Drittes.

Der Verf. hätte eine gefichertere Darfteilung liefern

Verlauf diefer Bewegung nicht fowohl nach ihren einzelnen
, durch die Chroniken Kefsler's und Bullinger's
bereits bekannten Epifoden, als vielmehr in feinem Zu-
fammenhang mit der allgemeinen Reformationsgefchichte
jener Stadt zur Darftcllung zu bringen. Und der Ertrag,
welcher aus diefer Forfchung für das Verftändnifs fowohl
der anabaptiftifchen als der kirchlichen Reformbewegung
gewonnen wird, ift in der That ein erheblicher. Aus Einer
W urzel heraus fehen wir zunächft beide fich entwickeln,
indem gerade eines der charaktcriftifchften und urfprüng-
lichften Kennzeichen der anabaptiftifchen Separation, die
Schrifterklärung in Privathäufern und durch Laienprediger
, in St. Gallen in Folge der Abwefenheit aller irgendwie
bedeutenden theologifchen Führer die Form war, in
welcher zuerft der Gegenfatz gegen die alte Kirche fich
durchfetzte und eine zum Handeln entfchloffene An-
hängerfchaft um fich bammelte. Aber während unter
der befonnenen Leitung eines Kefsler und Vadian diefe
Beftrebungcn bei der Mehrheit allmählich den Zielen der
evangelifchen Kirchenbildung cntgegengeleitet wurden,
gewann bei anderen Gliedern diefes Kreifes der von
Zürich her eindringende Geift des Anabaptismus die
überhand und fand in der kurzen Zeit vom Herbft 1524
bis zum Frühjahr 1525 einen folchen Anhang, dafs zu
üftern des letzteren Jahres die Zahl der Wiedergetauften
auf 500 fich belief und die drohende Zerrüttung der
Kirche nur durch die äufserften Anftrengungen Vadian's
und feiner Freunde abgewendet werden konnte. Sowohl
die Art der Ausbreitung, wie die hauptfächlichen Führer
können, wenn er fich ausfchliefslicher an die Quellen- und die entfeheidenden Motive derfelben werden in

ftellen gehalten und weniger Theorien und Reflexionen
eingeflochten hätte. Ein Thema wie das feinige, fo umfangreich
und fo wichtig, dazu in diefer Weife noch niemals
behandelt, verlangte von dem Bearbeiter, einmal
von Allem abzufehen, was die Gelehrfamkeit und der
Scharffinn moderner Gelehrter über einfchlagende Fragen
zu Tage gefördert, und alle Theorien über das apofto

wenigen Zügen treffend gefchildert, und in Bezug auf
-den ganzen Geift der Bewegung gewifs mit Recht hervorgehoben
, dafs in jenem erften Stadium ihre Anhänger,
wenn auch als übereifrige, doch als fromme und ernft-
hafte Leute erfcheinen, die hauptfächlich durch die Einfachheit
ihrer Lebensweife und ihre Entfchiedenheit im
Dringen auf Durchführung einer dem Evangelium ent-

lifche Zeitalter, die fynoptifchen Evangelien u. f. w. bei fprechendenCultus-undLcbensordnungEindruckmachten,
Seite zu laffen oder fich doch hier mit den knappften aberanderfeits doch durch die fanatifche und felbftgercchte
Anleihen zu begnügen. Statt deffen hat der Verf. viele Art ihrer Askefe, ihre Verteidigung der verdienftlichen
Hypothefen und Theorien hereingezogen, die, in ihrer Werke und ihre religiöfe Werthfchätzung der durch die
Geltung unficher und beftritten, die Stringcnz der neuen Wiedertaufe geftifteten Brüdcrfchaft als im Wefentlichen
Unterfuchungen gefährden, ja z. Th. aufheben. j noch durch die Motive der fpeeififeh katholifchen Fröm-

Dennoch ftehc ich nicht an, das oben abgegebene Ur- | migkeit beftirnmt fich darftellen wie denn auch ein
theil zu wiederholen, dafs die Arbeit eine tüchtige und er- gleichzeitiger Chronift in der Aufzahlung ihrer Urheber
fpriefsliche Leiftung ift. Im Einzelnen finden fich viele feine dle entlaufenen Mönche in die erfte Reihe ftellt (S.20.) Die
und aufklärende Ausführungen, auf die einzugehen, Ref. gegen fie angewandten obrigkeitlichen Straf beftimmungen
fich verfagen mufs. Auch auf vorchriftliche ,Apoftel' ift !'nd demgemafs auch, wie die S. 42 f. mitgetheilten Ur-
der Verf. eingegangen. Dafs er hier wenig Thatfachcn und ™eile zeigen, durchweg noch fehr milder Art (zwei
viele Hypothefen beigebracht hat, ift nicht feine Schuld; ^auler * »■ werden dazu verurtheilt, ein Jahr lang alle
denn wir wiffen eben von jüdifchen Apofteln fehr wenig ? °£;?tage m dle Stadtkirche zur Predigt zu gehen), und
und auch der Urfprung der Trias: ,Apoftel, Propheten fcld't gegen mehrfach Rückfällige wird immer wieder
und Lehrer' ift uns verborgen. — Hätten wir nur mehr Schonung geübt; eine ftrengere Behandlung tritt erft ein,
folcher Pfarrer, die fo fleifsig ftudiren und fo unbefangen als ln Folge der Unterdrückung der Fanatismus in die
.forfchen, wie der Verf. diefer Preisfchrift! bekannten Ausbrüche des religiöfen Wahnwitzes und des

fittlichen Antinomismus ausartete. Auch für die GeMarburg
. Adolf Harnack. fchichte der landeskirchlichen ürganifation, deren Zu-

fammenhang mit den Täuferunruhen durch die Dar-
I Heilung des Verf.'s in ein helles Licht geftellt wird, bietet