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Ausgabe:

1887

Spalte:

457-460

Autor/Hrsg.:

Zahn, Adolph

Titel/Untertitel:

Predigten, gehalten im Dom zu Halle a. d. S. in den Jahren 1860 - 1876 1887

Rezensent:

Ehlers, Rudolph

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45d

ja wohl für unfere modernen kirchenmufikalifchen Be- I nicht blofs dem äfthetifchen Sinn, fondern auch dem chrift-
ftrebungen recht heilfam gevvefen, dafs fie zunächft in ; liehen Gefühl zum Anftofs gereichen, z.B. wenn er S. 87
die Zucht folch ffrenger Principien genommen wurde, j die vor ihm verfammelte chriftliche Gemeinde zu über

Aber wir find doch Gottlob feit den bahnbrechenden
Anregungen Schöberlein's etwas weiter gekommen, und
haben den Muth gefafst, was da finget und klinget Gott
zu Lob und Ehren auch für unfere Gottesdienfte wieder

zeugen fucht: ,ihr feid alle Zöllner und Huren' und wenn
er dabei Gott zum Zeugen nimmt: ,was werden wir in
diefem Augenblick fehen, wenn du unfer Aller geiftliche
Befchäftigung aufdecken wollten:!' Er follte fich doch

in Anfpruch zu nehmen. Doch gefchieht dadurch dem | fagen, dafs er es felbft mit verfchuldet hat, wenn die
Werth des vorliegenden Werkes kein Abbruch, und es J Gedanken fich nicht gerade auf liebliche Dinge richten
ift keine Verleugnung feiner Principien, wenn Sp. den und fich in unreinen Vorftellungen ergehen. Aus allen

Grundcharakter des Werkes unverändert gelaffen hat.

Predigten redet das heifse Verlangen, dem Menfchen

Ref. kann ihm nur völlig zuflimmen, wenn er in der 1 fein Nichts zum Bewufstfein zu bringen, damit er die
Vorrede fagt: ,So wenig ich es billigen kann, dafs man ' Alleinherrfchaft Chrifli und die Alleinwirkfamkeit Gottes
fich in den Kirchenchören mit den von Schöberlein ' erkennen und preifen lerne. Dafür flehen dem Verfaffer
allein aufgenommenen Chören begnügt, und die Pflege j immer neue Wendungen zu Gebote; namentlich weifs er
anderweiter Kirchenmulik principiell ausfchliefst, fo ent- die Selbfttäufchungen des natürlichen Menfchen in feiner
fchieden möchte ich wünfehen, dafs man fich dort zu- j Selbflgerechtigkeit und Selbftgefälligkeit, die ganze Tragik
nächft und, in kleineren Vereinen, zumeiftmit Schöber- j des Menfchenlebens ohne Gott in erfchütternder Weife
lein's Lieblingsmeiftern befchäftigte'. Und ebenfo, wenn | zu fchildern. — Nur ausnahmsweife läfst der Redner
er als das, was diefer Sammlung vor vielen anderen für ! feiner Textausführung eine Einleitung vorausgehen;
Kirchenchöre beftimmten einen unvergänglichen Vorzug meiftens geht er gleich in medias res; zuweilen giebt er
verleiht, vor allem ihre ftilvolle Einheit bezeichnet, gegen- | in kurzen Andeutungen den Gang an, welchen feine Be-
über dem bunten Vielerlei jener Sammlungen, und hin- j trachtung nehmen foll (Nr. 5 u. Nr. 6); bei anderen Pre-
zufügt: ,Es ift unmöglich, dafs auf diefe Weife in den I digten giebt er gleich die Ueberfchrift über den erften
fraglichen Kreifen ein Gefühl für das kirchlich Erlaubte ; Theil (Nr. 2) ,die Stadt, die Gott bauet'; worauf dann
und Schöne geweckt wird. Dafs es hierauf in unferer ; 2) folgt: ,die Stadt, welche die Menfchen bauen'. Klar-
liturgifch verwilderten Zeit ankommt, und nicht blofs i heit und Behältlichkeit, welchen die Eintheilung nachzu-
auf das Wecken einer allgemeinen Begeifterung für j trachten hat, vermiffen wir Nr. 10, Nr. 13 und Nr. 6:
künftlerifche Verklärung des Cultus, bedarf keiner wei- | ,laffet uns betrachten die Freimacht Chrifli und in welche
teren Erörterung. Unter diefem Gefichtspunkt be- 1 Seelenftimmung diefe Freiheit eingreift'; unlogifch ift die
trachtet hat die Befchränkung der in die Musica Sacra ■ Eintheilung von Nr. 18, wo Redner auf Grund von Ev.
aufgenommenen Chöre auf die Producte aus der Periode , Joh. 16, 13 h redet über das heilige Ich, das heilige Wort,
der reinen Vocalmufik ihr gutes Recht und ihren blei- I das heilige Amt des heiligen Geiftes, denn das Wort und
benden Werth. In diefer ihrer neuen Geftalt, mit der 1 feine Ausrichtung, das Zeugen von Chrifto ift doch fchon
trefflichen Auswahl von liturgifchen Gefängen und kurzen die Bethätigung feines Amtes. Die Ausführung ift hier
liturgifchen Einleitungen im Anhang bereichert, kann wie fonft oft ftark anthropomorphiftifch. Der Redner
die M. s. den Kirchenchören nicht warm genug empfohlen | liebt eben das Paradoxe —; nicht feiten verliert er fich
werden. dabei in das Bizarre; es ift, als hätte er darauf fludirt,

Giefsen. Gg. Schloffer. der chriftlichen Wahrheit den denkbar kraffeften, ja einen

Zahn, Adolph, Predigten, gehalten im Dom zu Halle a. d. S.
in den Jahren 1860—1876. Barmen, Klein, 1886. (VII,
270 S. 8.) M. 3.60.

In der vorliegenden Sammlung bietet der ehemalige Dienft des todten Geldes alles Schamgefühl verloren

geradezu herausfordernden Ausdruck zu geben. S. 198:
Gott ift Friede, Gott ift Liebe, Gott ift Erbarmen — und
das alles um der Stellvertretung Chrifli Willen, S. 193:
Niemand hat einen Gott, wer nicht Chriftum hat. S. 195:
Gott hat die Juden fo verhärtet, dafs fie gebannt in den

Domprediger in Halle, Adolph Zahn, zunächft feinen
alten Freunden als Dank für treues Gedenken und gaft-
liche Aufnahme, fodann der ganzen modernen Predigtweife
zum Trutz, 23 Predigten, welche er einftmals in
Zeiten der Frifche und Freudigkeit in feiner Gemeinde
gehalten. Sie behandeln alt- und neuteftamentliche
Texte, unter den letzteren evangelifche und epiftolifche
Abfchnitte.

Wir nehmen keinen Anftand, diefe Sammlung den
hervorragenden Erfcheinungen auf dem Gebiete der
Predigtliteratur an die Seite zu flehen. Es redet aus
ihnen eine Perfönlichkeit mit fcharf ausgeprägten Zügen
und gewifs eine religiös beftimmte Perfönlichkeit. Die
Predigten entflammen eindringlichem Studium der heiligen
Schrift und reicher, auf Selbfterkenntnifs ruhender
Kenntnifs des menfehlichen Herzens; faft in jeder einzelnen
finden fich überrafchende Anwendungen des
Schriftwortes auf die Verhältnifse des täglichen Lebens
und die Erfahrungen, welche früher oder fpäter, je nach
Individualität und Lebensführung in ftärkerem oder geringerem
Mafse, jeder Menfch macht, welcher von der
Wahrheit des Evangeliums ergriffen wird; der Verfaffer
weifs diefe Erfahrungen zu lebendigem Ausdruck zu
bringen; vieles, was er fagt, ift tief und zart empfunden
, Manches von geradezu packender Wirkung; er ift
bemüht, populär zu reden; dabei bleibt die Sprache edel,
nur zuweilen verleitet ihn das Bemühen, concret, anhaben
und als ein Gerichtsfchaufpiel Gottes durch die
Welt wandern. S. 267: ,Alle chriftliche Selbftbildung
ift Thorheit': im Widerfpruch mit 1 Petri 2, 4 und vielen
anderen ntftl. Stellen. S. 266: ,die ganze Tiefe der pau-
linifchen Lehre wurde ihm, dem Abraham (!), erfchloffen.
Gerade indem er fich felbft und alles Gefetz verlor, fand
er Gott, wie er in Chrifto fich offenbart. Die Schrift
wird uns überall ein Räthfel bleiben, wenn wir fie nicht
in allen ihrenTheilen mit der paulinifchen Rechtfertigungslehre
beleuchten'. Das ift nun fchon mehr als paradox;
hier vermiffen wir die Zucht des Gedankens. Das find
Einfälle, geiftreiche Velleitäten, aber nicht klare fichere
Erkenntnisse. Es rächt fich bei dem Verf., dafs er die
ganze moderne Lehrweife fo gründlich verachtet. Sie
könnte ihm helfen, feine Infpirationslehre zu berichtigen;
auch die Offenbarung Gottes in der Menfchheit hat eine
Gefchichte; ebenfo wie der Glaube in dem Herzen des
Menfchen. Der Verf. liebt es, die tiefen Gegenfätze
Sünde und Gnade, Fluch und Erbarmen ganz unvermittelt
neben einander zu ftellen. Dafs auch der natürliche
Menfch Gottes Gcfchöpf ift, dafs Gott die Menfchheit
niemals aufgegeben hat, dafs er fie zur Empfänglichkeit
für das Heil erzogen hat und noch erzieht: diefer
Gedanke tritt ganz zurück. Elbenfo ift von einem Werden
und Wachfen in chriftlichem Glauben und Leben feiten
die Rede; was der Geift Chrifli im Leben der Völker
wirkt, wird kaum anerkannt. Der Verfaffer verlieht fich

fchaulich zu reden, zu Bildern und Ausführungen, welche wohl auf das Pflanzen, wenig auf Pflegen und Begiefsen