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Ausgabe:

1887

Spalte:

432-433

Autor/Hrsg.:

Kögel, Rud.

Titel/Untertitel:

Vaterländische und kirchliche Gedenktage. Reden und Ansprachen 1887

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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dagegen fcheint § 3 b der Statuten (,er fucht feine Aufgabe
zu löfen durch Vereinigung aller derer, welche
Miffion treiben') die Tendenz zu verrathen, die beftehen-
den Miffionsgefellfchaften aufzufaugen. — Die Thätig-
keit der Miffionsgefellfchaften wird anerkannt namentlich
im Programm, in den Vorträgen von Gerland und
Baffermann; daneben wird lediglich der feitherigen
Miffionspraxis die Schuld daran zugefchoben, dafs grofse
Schichten unferes Volkes bisher der Miffion gleichgültig
gegenübergeftanden haben. Jene Anerkennung tritt nur
fchüchtern auf in Anbetracht der Opfer an Gut und
Blut und Ehre, mit welchen die ,pietiftifchen' Kreife 1
und die Brüdergemeinde Jahrhunderte lang völlig ver-
einfamt den Miffionsgedanken hegten und praktifch be- |
thätigten, fo dafs in der That, wie Warneck einmal I
fagt, der Pietismus die Ehre der evangelifchen Chriften-
heit auf dem Gebiete der äufseren und inneren Miffion
gerettet hat. Jene Befchuldigung aber erwägt nicht, dafs
das Erwachen des Miffionsfinnes in den weiteren Kreifen,
welche nicht von fpecififch religiöfen Motiven geleitet
werden, niemals eher zu erwarten ift, als bis der ,über-
feeifche Blick' dem Volke geöffnet ift; und das ift erft
in unferen Tagen gefchehen. Selbft Gerland, welcher
die grofsen Verdienfte der Miffionare um Völkerkunde,
Sprachenkunde, Religionsgefchichte bereitwilligft anerkennt
, hält lieh von dem unferes Erachtens nicht berechtigten
Vorwurf nicht frei, dafs die Miffionare nur
,naturaliftifch' für -Wiffenfchaft und Cultur gewirkt, diefe
Wirkung aber nicht bewufst und wiffenfehaftlich ausgeübt
haben; er fordert, dafs die Miffionare, um ihrem hohen Beruf
gewachfen zu fein, Religionsforfcher, Geographen,
Eithnologen, Geologen u. f. w. fein müfsten. Ohne Zweifel
trefflich! Noch trefflicher, wenn auch alle Kaufleute,
Reifende, Geologen und Geographen überzeugungstreue
Miffionare wären. Wenn aber Pfleiderer in feinem Vortrag
: ,Die erzieherifche Aufgabe der chriftlichen Cultur-
völker an der nichtchriftlichen Menfchheit' die Anklage
gegen die beftehende Miffionspraxis erhebt, fie fei dog-
matifch doctrinär, kleinlich in ihren Zwecken wie Mitteln,
unpraktifch, vom realen Leben der Gefellfchaft fich ifo-
lirend und in transfeendenten Dogmen fich bewegend,
operirend mit einem complicirten confeffionell kirchlichen
Dogmenapparat, fo wird die Anerkennung der Miffionsgefellfchaften
zur Phrafe und die Befolgung von § 3f. der
Statuten, nach welchen der Miffionsverein feine Aufgabe
auch durch Unterftützung bereits beftehender Miffions-
unternehmungen zu löfen fucht, zur pofitiven Sünde. Es
ift eine ausgefprochene Gegnerfchaft vorhanden gegen
die feitherigen Miffionsgefellfchaften; ,fie nahmen unfere
Geldfpenden, aber unfere Liebe glaubten fie entbehren
zu können, und von unferm Glauben und unferer
Hoffnung hielten fie wenig oder gar nichts', predigt
Ehlers S. 40. Wir haben nichts dagegen einzuwenden,
dafs der Allgemeine Miffionsverein, wie Ehlers es unverblümt
ausfpricht, und wie es auch S. 170 ff. unbefangen
vorausgefetzt wird, eine Sache des kirchlichen Liberalismus
' ift, wir begrüfsen ihn vielmehr gerade defswegen;
allein eine Berechtigung zu der Befchwerde über Gun-
dert (S. 168), dass er den Allgem. Miffionsverein mit
jenem Ausdruck bezeichnet habe, fcheint dann nicht
vorhanden zu fein.

Hinfichtlich des Verhaltens des Miffionsvereins zu
den deutfehen Colonien befteht eine Doppelftrömung,
welche eine Ausgleichung noch nicht gefunden hat. Von
Seiten der Berliner Mitglieder des Vereins wird die
patriotifche Pflicht betont, Miffionare in die deutfehen
Colonien zu entfenden; ein Widerfpruch tritt auf in dem
Vorwurf, dafs die feitherigen Gefellfchaften die heimath-
liche Form des Chriftenthums in die Heidenländer verpflanzt
hätten (S. 40 ff.), und in der Forderung (S. 106
gegen Warneck), dafs deutfehe chriftliche Sitte,
deutfehes evangelifches Gemeindeleben hinausgetragen
werden müffe. Es wird S. 27 hervorgehoben, dafs mit

der Arbeit einzelner Sendboten die fociale Mafien-
Wirkung des Völkerverkehrs und der Colonifation fich
verbinden müffe, um die Aufgabe der Miffion, die fitt-
liche Volkserziehung, zu erfüllen; aber die praktifche
Confequenz diefer Anfchauung, dafs die Miffionsvereine
fich den deutfehen Colonifationen anzufchliefsen haben,
fcheitert an dem ftatutenmäfsigen Zweck des Vereins,
,Miffion unter den Culturvölkern' zu treiben, und die
Berliner Mitglieder haben es nur zu dem fchw-achen Be-
fchlufs gebracht, der Verein werde, fobald die Verhält-
nifse es geftatten, zur Miffionsthätigkeit in Kaifer-Wilhelms
-Land die Hand bieten.

Den erften feiner Miffionare hat der Verein in der
Perlon des fchweizerifchen Pfarrers Spinner nach Japan
ausgefandt. In kurzer Zeit ift es dem warmherzigen und
thatkräftigen Manne gelungen, in Yokohama und in
Tokio die dort lebenden Deutfehen zu Gemeinden zu
fammeln, deren Pfarrer er geworden ift. ,Miffion' im
ftrengen Sinne des Wortes ift das nun freilich nicht;
allein es giebt einen höchft erwünfehten Stützpunkt für die
eigentliche Miffionsarbeit, die Spinner mit frifchem Muth
und fchönem Erfolg an zahlreichen wiffensdurftigen Japanern
begonnen hat. Unter diefen fehlt es freilich nicht an
folchen, welche zu dem Zwecke, deutfeh zu lernen, dem
Religionsunterricht fich unterziehen; auch dort alfo ift
nicht alles Gold, was glänzt. Aufser Spinner hat der
Verein auch den aus dem Verbände der Rheinifchen
Miffion entlaffenen bekannten Sinologen Faber, welcher
in Shanghai lediglich literarifch thätig ift, als feinen
Miffionar angenommen. Derfelbe ift übrigens nicht, wie
S. 52 behauptet wird, ,akademifch' gebildet, fondern
feines Zeichens ein Klempner, in der Miffionsanftalt zu
Barmen unter Fabri's Leitung ausgebildet, und hat hernach
ein Jahr lang in Tübingen und Berlin die Erlaub-
nifs erhalten, Vorlefungen zu befuchen. Faber ift ein
Beweis, dafs auch aus der feitherigen Miffionspraxis
wiffenfehaftlich hervorragende Männer hervorgehen
können und hervorgegangen find.

Zum Schlufs fei notirt, dafs aus dem Verein durch
die Profefforen Gerland und Holtzmann die beher-
zigenswerthe Aufforderung ausgegangen ift, in Verbindung
mit der Strafsburger Univerfitätsbibliothek eine Miffions-
bibliothek fammeln zu helfen, welche alle auf die
Miffion bezüglichen Schriften enthalten foll. Der Aufforderung
wünfehen wir willige Herzen und offene Hände.

Marburg. Achelis.

Kögel, Schlofspfr. Ober-Hofpred. General-Superint. Dr.
Rud., Vaterländische und kirchliche Gedenktage. Reden
und Anfprachen. Bremen, Müller, 1887. (VIII, 175 S.
8.) M. 2.40.

Den Dank des deutfehen Volkes hat der Herr Verf.
durch die Herausgabe diefer Reden und Predigten fich
verdient. Die hohen Ehren- und Freudentage des kaifer-
lichen Haufes, welche ganz Deutfchland mit feinem hochgeliebten
Kaifer gefeiert hat: das Feft der goldenen Hochzeit
, das F"eft des fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläums
des Königs von Preufsen, die Feier der Vermählung
der Mitglieder der kaiferlichen Familie, das
Feft der Taufe des erften kaiferlichen Urenkels; jene
Fefte alle, welchen der Herr Verf. in feiner Eigenfchaft
als Oberhofprediger durch fein Wort und amtlichen Dienft
die kirchliche Weihe gegeben hat, werden durch die
Gabe des Herrn Verf.'s noch einmal durchlebt. Daneben
erfreuen uns die Gcdächtnifsreden zum hundertjährigen
Geburtstag der Königin Louife, zum hundertjährigen
Todestag Friedrichs des Grofsen, zur Enthüllungsfeier
des Denkmals Friedrich Wilhelm's des Vierten; auch die
gehaltvollen Reden beim Leichenbegängnifs des Prinzen
Friedrich Karl und bei der Einweihung der Dankeskirche
wie bei der Grundfteinlegung des Reichstagsgcbäudts,