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Ausgabe:

1887 Nr. 18

Spalte:

424-426

Autor/Hrsg.:

Witte, Leop.

Titel/Untertitel:

Das Leben D. Friedrich August Gottreu Tholuck‘s. 2. Bd. 1826 - 1877 1887

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 18.

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ftellern vor Cyprian überfchlägt, wer endlich an die Bemühungen
der fpäteren Zeit denkt, das Gedächtnifs der
älteften lateinifch-chriftlichen Schriftfteller nicht untergehen
zu laffen, der wird urtheilen, dafs die Annahme,
vor Minucius und Tertullian fei eine bedeutende latei-
nifche Apologie gefchrieben worden, an fich höchft
unwahrfcheinlich ift. Um an ihre einfüge Exiftenz zu
glauben, mufs man die ftärkften Argumente fordern.
Ich finde nicht, dafs fich aus den Nachweifen des Verf.'s
folche ergeben. Er hat fehr viel Einleuchtendes beigebracht
, aber unwiderfprechlich ift feine Beweisführung
nicht. Vielleicht urtheilen Andere anders; ich habe
beim Durchlefen allerdings ftets den ftrengften Mafsftab
vor Augen gehabt, weil ich den ftärkften Zweifel an die
Unterfuchung herangebracht habe.

Leider hat der Verf. am Schlufs freigebig noch eine
Belohnung für die Lefer, die ihm bisher aufmerkfam
gefolgt waren, hinzugefügt, für die fich jeder Befonnene
bedanken wird. Man foll auch noch den Namen des
wiederentdeckten lateinifchen Apologeten gefchenkt erhalten
. Während der Verf. fonft alle Naivetät in erfreulicher
Weife zurückgedrängt hat, bricht fie hier
am Schluffe hervor. Die Worte lauten: ,Alibi {adv.
Valent. 5) Tertullianus inter eos, quos libro adv. Valent.
secutus est, praeter Iustinum, Miltiadem, Irenaeum nomi-
navit Procntum quendam, ,virginis senectae et Cliristianae
eloquentiae dignitatetn''. Quem etsi non aeeepimus defensi-
onem religionis Cliristianae scripsissc, tarnen veri non dis-
simile est, sollemnem morem eum obseniasse, quo homines
eruditiores Cliristiani facti apologia composita fidei speeimen
dare soliti sunt. Quodsi Latina Proculus ille usus est lingual
, hunc crediderim fuissc communem illutn Tertidliaid
et Minucii auetorem, cuius memoriam restitui'. Alfo —
wenn die homines eruditiores in der Regel als Neophyten
eine Apologie gefchrieben haben, was gänzlich unerweislich
ift, wenn demgemäfs Proculus eine Vertheidigungsfchrift
für das Chriftenthum verfafst hat, was Niemand berichtet,
wenn er fich dabei der griechifchen Sprache bedient hat,
was mehr als zweifelhaft ift, wenn er endlich eine fpeci-
fifch römifche Haltung eingenommen hat, was bei dem
Kleinafiaten (f. Eufebius) höchft unwahrfcheinlich ift —
dann ift er der Verfaffer. Wäre diefe Satzgruppe, mit
welcher der Verf. feine Abhandlung befchloffen hat,
doch weggeblieben! Ich conftatire noch einmal gerne,
dafs man nach ihr die fleifsige Arbeit nicht beurtheilen
darf.

Marburg. A. Harnack.

Boissier, Gaston, Commodien. (Aus den Melanges Renier.
Ecole pratique des hautes etudes. Section des sciences
hift. et philol.) Paris, Vieweg, 1886. (30 S. 8.)

Je lebhafter wir heutzutage, in kirchengefchichtlicher
Forfchung nicht minder wie anderwärts, kulturhiftorifch
intereffirt find, um fo mehr wird fich die Aufmerkfam-
keit auf folche Männer, wie Commodian richten, die nach
ihrer ausgefprochenen Abficht auf die breiten Maffen des
Volkes unmittelbar einzuwirken bemüht gewefen find.
In der That haben wir für die wenigen Jahre, die er uns
vollftändig bekannt ift, eine ganz ftatttliche Literatur
über den wunderlichen Volkspoeten. Der Löwenantheil
daran gehört den Philologen. Auch Herr Boiffier geht
in der vorliegenden Studie nicht über fein eigentliches
Fachgebiet hinaus. Wie wir's von ihm gewöhnt find,
bietet er auch nicht viel eigene Forfchung. Er will nur
refumiren. Aber gerade darum, zumal in feiner eleganten
, knappen und klaren Darftellungsweife, wird diefer
Beitrag nützlich und willkommen fein. Er befpricht kurz
die Zeit Commodian's, feine Bedeutung fürs Volk, feine
klaffifche Bildung, ausführlicher die fprachlichen, befon-
ders die profodifchen Eigenthümlichkeiten. Aus letzteren
wird der Beweis verfucht, dafs der Dichter in Afrika
feine Werke gefchrieben habe, mit Rückficht darauf, dafs

in diefer Provinz am fchlechteften verfificirt wurde und
dafs fich hier die populäre rhythmifche Compofition am
längften gehalten hat. Das ift vollkommen richtig. Augu-
ftinus in feinem Abecedarius hat die gleichen Tendenzen,
ähnliche Formen. Aber ftrict ift der Beweis nicht. Er
könnte nur aus einer umfaffenden gründlichen Ver-
gleichung der Gedichte Commodian's mit den römifchen
Monumenten Afrika's, vor allem mit den im VIII. Bande
des Corpus Inscriptionum veröffentlichten geführt werden.
Aber hier läfst er fich auch geben.

Rom. Johannes Ficker.

Carl Ludwig August Stählin. Lebens- und Sterbensge-
fchichte eines frühvollendeten Kindes Gottes. Mit
einem Vorwort von D. A. v. Harlefs. In 3. Aufl.
hrsg. von Ob. -Konfift.- Präf. D. Adolf v. Stählin.
Leipzig, Hinrichs, 1887. (XIV, 106 S. 8.) M. 1. —

Ein feiten reiches, in der Fülle der fchönften Gaben
fich entfaltendes, früh abgebrochenes, in tragifcher Weife
auf einer Wanderung endendes, aber für die Ewigkeit
ausgerüftetes jugendliches Leben wird uns in diefer
Schrift, zum Theil auf Grund eigener Aufzeichnungen
des Frühverklärten, in feffelnden Zügen und mit ergreifender
Wahrheit vor Augen geführt. Nicht ohne tiefe
Bewegung kann man diefe Biographie, dies Bild einer
ganz ungewöhnlichen göttlichen Gnadenführung und
einer feltenen Treue, lefen; fie feffelt insbefondere durch
die merkwürdige Harmonie des Natürlichen und des Geift-
lichen, des Menfchlichen und Göttlichen in diefem jugendlichen
Leben; das Chriftenthum des Frühvollendeten hat
nichts Krankhaftes und Frühreifes an fich; bei aller Tiefe
und Reife chriftlicher Erkenntnifs bewahrt fich der jugendliche
Chrift gefunde Lebensfrifche und frohen Jugend-
muth; wie er in feiner Bibel zu Flaufe ift, fo auch in den
alten Claffikern und nicht minder in der claffifchen
deutfehen Literatur; für alles menfehlich Schöne und
Grofse ift er begeiftert, aber der tieffte Zug feiner Seele
geht zu Chrifto, zum Evangelium. ,Mit Chriftus ift das
Leben fchön, ift befonders die Jugendzeit fchön. Ich
möchte ohne Chriftus nicht mehr leben' ift fein Bekennt-
nifs. Ein befonderes Verdienft der Biographie ift, dafs
fie ohne alle Zuthat die Thatfachen diefes feltenen Lebens
und die Selbftzeugnifse des FYühvollendeten in feinen
Niederfchriften allein reden läfst.

Dresden. Meier.

Witte, Superint. geiftl. Infp. Prof. Leop., Das Leben D.
Friedrich August Gotttreu Tholuck's. 2. Bd. 1826—1877.
Mit dem Bilde Tholuck's aus dem J. 1872 und einem
Brieffakfimile von 1870. Bielefeld, Velhagen & Klafing,
1886. (IV, 563 S. gr. 8.) M. 8.-

Der zweite Band diefer höchft intereffanten trefflichen
Biographie, deren erften Band wir f. Z. ausführlich in diefen
Blättern befprochen, hat die Vorzüge des erften ohne
feine Mängel. Der Stoff, der dem Verf. in feiten reicher
Fülle aus den verfchiedenften Quellen zugefloffen ift,
zum Theil aus eigenem Verkehr mit dem bedeutenden
Manne, ift überfichlicher gruppirt, die Thatfachen find
mehr nach ihrem inneren Zufammenhang geordnet, die
Darfteilung ift abgerundeter. Wiederholungen, wie fie
fich im erften Bande hin und wieder fanden, find glücklich
vermieden, und ebenfo ift der Verf. der Verfuchung
entgangen, der er dort mehrfach erlegen, von feinem
Gegenftande abzufchweifen und auf die allgemeinen Zu-
ftände der Zeit, infonderheit auf die Gefchichte der
Kirche im Allgemeinen näher einzugehen, als es das
Verftändnifs fordert, eine Verfuchung, die gerade bei
einem Tholuck nicht gering ift, deffen Lebensgefchichte
ein bedeutfames Stück der neueren Kirchengefchichte in
fich fchliefst, der fo tief in die kirchlichen Bewegungen