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Ausgabe:

1887

Spalte:

408-409

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Justus Ludwig

Titel/Untertitel:

Offener Brief an Hrn. Pfarrer Woker, römischen Priester in Halle a. S 1887

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 17.

408

theilweife unterhaltenen Waifenhäufer feit langen Jahren
auf römifcher Seite — wo man fich des gröfseren Wohl-
ftands rühmt — fo enorm hinter dem zurückbleiben,
was man dort nach dem Verhältnifs der evangelifchen
Leiftungen hätte zufammenbringen müffen, dafs fie an
manchen Punkten um mehr als das Vierfache zu klein
find, in einzelnen Jahren und einzelnen Punkten geradezu
faft bis auf Null finken, eine Thatfache, die um fo fchnöder
ift und um fo abfichtlicher erfcheint, als man auf jener
Seite weifs, dafs die Summe der Gaben, die aus beiden
Kirchen zufammenfliefsen, ftreng nach dem Verhältnifs
ihrer Mitgliederzahlen vertheilt werden, und conftatirt ift,
dafs dafür z. B. auswärtige römifche Waifenhäufer von
den württembergifchen Katholiken rege unterftützt werden.
Man findet es bequemer, feine Waifen, Invaliden, Hagel-
befchädigten auf Koften der Evangelifchen leben und
unterftützen zu laffen und dafür die eigenen Beiträge den
auswärtigen Glaubensgenoffen zuzuwenden.

Nr. 4, mit dem Motto ,An ihren Früchten follt ihr
fie erkennen', berechnet an der Hand der officiellen
deutfchen Statiftik, dafs trotz der Verwerflichkeit der
proteftantifchen Religion und trotz der aufserordentlichen
viel gröfseren Zahl der römifchen Geiftlichkeit die Zahl
der Vergehen und Verbrechen auf römifcher Seite ver-
hältnifsmäfsig ganz erheblich ftärker waren: in den Jahren
1882—1884 auf 100,000 Evangelifche 675, 663, 689; auf
100,000 Römifche 773, 786, 834. So durch alle einzelnen
Kategorien hindurch, am ftärkften aber zeitweife im Fach
der Meineide: 1,6. 1,7. 1,9 zu 2,6. 2,2. 2,1. ,Schon in 5 Jahren
und 9 Monaten ift die Zahl der katholifchen Verurteilungen
derjenigen eines ganz proteftantifchen Deutfch-
lands um 304,932, um einen ganzen Jahrgang voraus'.
Aehnlich fpeciell in Württemberg.

Heft 7 verfolgt die Entwickelung der barmherzigen
Schwertern im Reich und im Württemberg und ftellt die
Thatfachen zufammen, welche aus den letzten Jahren
über die in den Mitteln theilweife aufserordentlich wenig
wählerifche Propaganda derfelben im Deutfchen Reich
bekannt geworden find, um dadurch den Glauben an
eine rein humane, von allgemeiner chriftlicher Liebe getragene
Thätigkeit diefer Pflegerinnen zu erfchüttern.
Das Thatfächliche, was in diefem Heft geboten wird,
und auch die allgemeinen Grundfätze, von denen es getragen
ift, find anzuerkennen. Allein fonft wird die Wirkung
der Brofchüre dadurch beeinträchtigt, dafs die vornehme
Ruhe und Sachlichkeit befonders der Hefte 1 und 3
verlaffen wird. Schon die fpäteren Hefte haben begonnen
, diefen Ton theilweife zu verlaffen: fie reichen freilich
nicht entfernt an den Stil römifcher Pamphlete hin;
aber da, wo die Thatfachen fo laut reden, wird die Wirkung
ihrer Sprache nur beeinträchtigt durch eingeftopftes
polemifches Material, das auch fonft vielfach umgeht und
darum nicht gerade immer den Reiz der Neuheit hat.

Entfchieden aber möchte zu rathen fein, dafs Heft 6
keine Fortfetzung und Nachahmung finde. Diefer Ge-
genftand reicht nicht nur weit über den Rahmen der
württembergifchen Verhältnifse hinaus; fondern er über-
fteigt auch die Kräfte des betreffenden Verfaffers ganz
erheblich. Die Behandlung der katholifchen Wiffenfchaft
der Gegenwart und Vergangenheit zeugt von einem lange
nicht ausreichenden Mafs des gefchichtlichen Wiffens und
Verftehens. Es kann nichts helfen, dafs Manches, ja
Vieles unleugbar richtig ift. Als Ganzes ift diefes Heft
wirkungslos, ja es wird auch die Wirkung der anderen
und des Wahren, was dann fteht, nur hemmen. — Noch
eins: die Hefte find für ihren Zweck der Maffenverbrei-
tung zu theuer. Die Verlagsbuchhandlung müfste unter
allen Umftänden billigere Preife machen.

Giefsen. K. Müller.

Jacobi, Prof. Dr. J. L., Offener Brief an Hrn. Pfarrer Woker,

römifchen Priefter in Halle a. S. Halle, Strien, 1887.
(22 S. gr. 8.) M. —. 50.

Unter dem auf S. 11 mit Recht gerügten Titel ,Aus
Norddeutfchen Miffionen des 17. und 18. Jahrhunderts'
hat der römifche Priefter, Pfarrer Woker in Halle, vor
zwei Jahren eine Schrift herausgegeben, in welcher er
Profeffor Jacobi in bekannter, ultramontaner Manier angriff
. Unfer hochverehrter Verf. beginnt nun, indem er
er fich anfchickt, ,eine perfönliche Controverfe' aufzunehmen
, mit der höflichen ,Entfchuldigung', ,diefe werth-
vollcn archivalifchen Auszüge erft nach zwei Jahren
kennen gelernt zu haben'. Da man zuweilen ,die Schönheit
entfernter Gegenden früher auffucht, als manches
intereffante Winkelchen der heimatlichen Umgebung',
fo ift er auf Woker's Arbeit und auf ,das kleine Blumenbeet
', das ihm gewidmet war, ,fpäter, als es fein follte, auf-
merkfam geworden'. Uebrigens noch früh genug, um
feinen Gegner fo abzufertigen, wie er es verdient hat!

Es wirkt erheiternd, wenn man im Eingange lieft,
wie der von Jacobi in einer feiner früheren Streit-
fchriften zur Kennzeichnung des gegenwärtigen Papftes
benutzte homerifche Vers II. VI, 181:

,7/pbö//£ Xecov, oxiod-ev dt ÖQuxon>, fiEOßrj 6h xliicuQct
von dem gelehrten Herrn Woker folgendermafsen citirt
wird:

,1Jqo<jxev (!) Xecov, fitere xijiaiqa ojuö&ev te öqccxoov1.

,Erlauben Sie mir', bemerkt der Verf. zu diefer unübertrefflichen
philologifchen Leiftung, ,daran zu erinnern,
dafs die Ilias aus Hexametern befteht; das Ihrige aber ift
kein Hexameterund xqoöxev ift nicht einmal griechifch'. In
gefälligem Anfchluffe an die Würdigung folchcr Probe
humaniftifcher Vorbildung des Herrn W. wird die bi-
fchöfliche Seminarbildung meifterhaft kritifirt, dann gezeigt
, was in der Gegenwart die katholifche Kirche in
unteren Augen herabfetze, ferner die angebliche Verunglimpfung
derfelben während des 17. und 18. Jahrhunderts
auf ihr richtiges Mafs zurückgeführt (S. 4—14),
im folgenden Abfchnitte aber mit fchlagenden Beispielen
dargethan, wie man zu derfelben Zeit mit den Prote-
ftanten in PYankreich, in Ungarn und Siebenbürgen, fo-
wie in Schienen und im Salzburgifchen verfuhr (S. 14—19).
Endlich beleuchtet der Verf. die ,Bedrückungen', welche
die katholifche Kirche Preufsens durch die Maigefetze
erduldet haben foll, von denen getagt werde, dafs fie
,noch immer nicht gehoben feien'. Um fie gänzlich
aus der Welt zu fchaffen, wird der gute Rath ertheilt:
,der Papft möge die arroganten und lügnerifchen Behauptungen
des Syllabus von 1864 widerrufen, die Katholiken
fich davon losfagen und es wird nicht fchwer fein,
dafs nicht blofs die Staatsregierungen, fondern auch die
Kirchen den Weg dauerhaften Friedens befchreiten'
(S. 19). Auch Verzichtleiftung auf das Recht, ,mit Unfehlbarkeit
über die Gegenftände des Glaubens und der
Sittlichkeit zu beftimmen', wäre ein Mittel zum Frieden.
Bei diefer Gelegenheit wird die viel befprochene, wenig
befolgte Empfehlung des Septennats durch den Papft
mit wenigen Worten fcharf mitgenommen. ,So fieht ein
Brief aus, den der Papft als Freund fchreiben läfst; kann
da der officielle Ausdruck, dafs Vertrauen herrfche
zwifchen der Staatsregierung und der Kurie, etwas anderes
fein, als ein diplomatifcher Euphemismus? Vertrauen
einer evangelifchen Regierung zu Rom!' (S.20.21).

Wir ftimmen von ganzem Herzen diefer offenbar
aus bewegtem Gemüth hervorgegangenen Aeufserung
bei und eben fo ift es uns aus der Seele gefchrieben,
wenn der ehrwürdige Verf. gegen den Schlufs feines
,Oeffenen Briefes' hin fagt: ,die Politik des deutfchen
Reichs fucht gegenwärtig fehr gefliffentlich die Freund-
fchaft des Papftes. Sie hat gewifs Gründe, auch einen
Scheinfrieden für vortheilhaft für ihre Gefammtzwecke zu
halten. Wenn aber die Saat aufgegangen fein wird,