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Ausgabe:

1887 Nr. 17

Spalte:

405-407

Titel/Untertitel:

Mitteilungen über die konfessionellen Verhältnisse in Württemberg. 1 - 8. Hft 1887

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 18S7. Nr. 17.

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und Sympathie behandelt er dagegen den päpftlichen
Generalvicar, Cardinal Parocchi, der Vielen als Nachfolger
Leo's XIII. gilt. Von auswärtigen Cardinälen verehrt
er vor Allem den ftreng legitimiftifchen Franzofen
Pitra (der mit dem Papft in ernftlichen Conflict gekommen
war), wogegen der Card. Hohenlohe, ,der nie die Gefahr
einer Ungnade gekannt hat1, kurzweg als eines der
lieben Häupter des Antichrift bezeichnet wird.

Aus alledem ergiebt fich, wenn man die Thatfachen
aus der fubjectiven Beleuchtung hinausrückt, mit welch'
ungeheueren Schwierigkeiten innerhalb feiner Umgebung ■
der gegenwärtige Papft zu kämpfen hatte, um die ihm
eigenthümliche Politik, die jetzt offenkundig geworden,
zu inauguriren, und wie natürlich es ift, dafs heben
Jahre feines Pontificates vergingen, bis er feinem Willen
Geltung verfchaffte. Er hat in die von Pius IX. ihm
hinterlaffene Curie einen ganz neuen Kreis von Arbeitern
hineingefetzt und mit diefen langfam, aber ficher gear- j
beitet. Die Schrift von Des Houx legt unfreiwillig für
die Herrfcherbegabung Leo's XIII. Zeugnifs ab.

Die zweite — anonyme — Schrift ift mit der eben
befprochenen fo fehr Eines Geiftes, dafs man verfucht j
ift fiedemfelbenVerf.zuzufchreibcn;dergleicheStandpunkt j
tritt hier weit weniger verhüllt, ftellenweife mit Frechheit j
zu Tage. Ein mafslofer Hafs gegen das Deutfche Reich
und Alles, was Deutfch heifst, treibt den Verf. felbft dazu, den
italienifchen Katholicismus, weil die Curieaugenblicklich mit
Deutfchland Frieden fchliefst, gegenüber dem franzöfi-
fchen Clericalismus mit einem pathetifchen Bannfluch
zu belegen. Als eine unbegreifliche Ungerechtigkeit 1
gegendaskatholifche, glaubenstreueFrankreich wirdesdar-
geftellt, dafsderPapftfichmitDeutfchlandverbinde, wovon I
jeher die Vernunft der Autorität widerftrebt habe. Mit
den bitterften Schmähungen wird ,der neue Protector der
Kirche' — Bismarck — als ,princc du massaerd bedacht.
Pius IX. wird gepriefen als der Mann von apoftolifcher
Gröfse, der nie mit der Welt pactirt habe, während
Leo XIII. es zwiefach mit Deutfchland und Italien thue.
Und indem der Autor nach den Gründen diefer Er-
fcheinung fucht, trifft er die nächfte Umgebung des
Papftes, ,die Peruginer', welche einen eigentümlich
italienifchen, im Grunde heidnifchen Katholicismus re-
präfentirten. Indefs pafst das Bild Zug auf Zug —- auf
Leo XIII. felber: Man macht lateinifche Verfe, man ver-
fafst Homilien, man befördert die thomiftifche Philo-
fophie. Und nachdem fo die verderbliche Richtung
innerhalb der Kirche gezeichnet, erfcheint auf diefer
Folie doppelt glänzend der Jefuitenorden.

Leo XIII. hat mit Deutfchland Frieden gefchloffen,
ohne die Rückkehr der Jefuiten zu verlangen: Das ift
der Kern aller Vorwürfe, die gegen ihn zu erheben find.

Nachdem der Autor fo feinen Grimm rückhaltlos
ausgefprochen, bekennt er fich am Schlufs als ,den
niederften der Unterthanen des heiligen Vaters' und erklärt,
dafs er fich vor dem oberften Lehrer der Wahrheit in
den Staub werfe, bereit, um Gnade zu flehen, wenn er
zu freimüthig gefprochen habe. Indefs hat diefe komödienhafte
Wendung nicht verhindert, dafs die Schrift auf
den Index gefetzt worden ift.

Wenden. Otto Harnack.

Mitteilungen über die konfessionellen Verhältnisse in Württemberg
. 1—8. Hft.' Halle, Strien, i886,'87. (gr. 8.) M. 4.20. j

Inhalt: I. Die klerikalen Konvikte und der Staatsdienft. (15 S.) I
M. —-30- — IL Her württembergifche Patriotismus der Katholiken, ge-
meflen an ihren Leiflungen für nationale, humane und (taattliche Zwecke.
(25 S.) M. —.50. — III. Die Konviktspraxis und ihre Verteidigung.
(22 S.) M. —.40. — IV. Die konfeffionelle Kriminalftatiftik in Württemberg
. (58 S.J M. _.6o. — V. Die kirchliche Verforgung derKa-
tholiken in Württemberg. (38 S.) M. —.50. — VI. Die neue chine-
fifche Mauer. I. Die Thomasbulle Leo's XIII. und die katholifchc WitTen-
fchatt. (60 S.) M. —.60. — VII. Die barmherzigen Schwertern im

Reich und in Württemberg. (82 S.) M. i.—. — VIII. Der Etat des
Kirchen- und Schulwefens und die Parität. (12 S.) M. —.30.

Kein deutfehes überwiegend evangelifches Land ift
von der römifchen Propaganda in den letzten Jahren
ftärker umworben worden, als Württemberg. Alles Entgegenkommen
der Staatsregierung und den verfchiedenen
Schichten der evangelifchen Bevölkerung hat nur die
Folge gehabt, dafs jene fich um fo rafcher mit den bereitwillig
und überfliefsend gebotenen Staatsmitteln überall
eingeniftet hat und dafs die giftigen Blüthen ihrer
gehäfftgen Agitation allmählich immer ftärker fich entfalten
. Die lange Geduld der württembergifchen Evangelifchen
ift endlich am Ende angelangt und in immer
beftimmterer Weife hat fich die Erkenntnifs Bahn gebrochen
, dafs es fo nicht fortgehen könne und dürfe.
Eine erfte Frucht derfelben find die obigen ,grünen Hefte'.
Eine Anzahl Geiftlicher und Laien hat fich vereinigt,
um den Stoff zu fammeln, auf Grund deffen die Früchte
d errömifchen Arbeit in Württemberg, die fchon gezeitigt
find und noch zu erwarten flehen, gekennzeichnet und das
Volk felbft über die Gefahr aufgeklärt werden foll.

Die einzelnen Hefte find ziemlich verfchieden in Anlage
und Ton; nicht alle find von demfelben Gefchick,
aber Alles in Allem mögen fie ihren Zweck erfüllen, namentlich
wenn es gelingt, fortdauernd die evangelifche
Bevölkerung auf dem Laufenden zu halten über all die
einzelnen Züge des Werkes, das in ihrer Mitte unternommen
wird.

Als muftergültig möchte ich die LIefte I und 3 bezeichnen
, welche über die clericalen Convicte und
den Staatsdienft handeln. MitvollkommenfterSachlichkeit
und unter Ausfchlufs aller nicht dazu gehöriger Ausfälle
wird hier vorgegangen und rein zahlenmäfsig belegt.
Der Thatbeftand, um den es fich in Nr. 1 handelt und
der in Nr. 3 gegen einen, gelinde gefagt, ungefchickten,
officiellen Widerlcgungsvcrfuch aufrecht erhalten wird,
ift der, dafs in den römifchen Convicten, die vom Staat
erhalten werden, eine Zahl von Zöglingen aufgenommen
wird, die zu der Zahl der Pfarreien und vollends der
römifchen Bevölkerung in k einem Verhältnifs fleht und
dafs in Folge diefer wie anderer Umftände jährlich eine
grofse Zahl von Studenten der katholifchen Theologi -
zu anderen Studien abgehen, diefe aber in ganz überwiegendem
Umfang in dem Tübinger Convicte felbft
und unter Billigung von deffen Leitern, auf Staats-
koften vollenden dürfen, um nun nach einer feit langen
Jahren feften Tendenz und in jährlich fteigendem
Mafs gerade die wichtigften, weil dem Volk nächft-
ftehenden Verwaltungsftellen mit ftreng römifchen Beamten
zu überfchwemmen; dafs aber ftaatlicherfeits
hiegegen nicht nur nichts gefchieht, fondern dafs vielmehr
auch die Eintreibung der Studienkoften von diefen
Leuten mit einer Erfolglofigkeit behandelt wird, welche
von den Ergebnifsen auf dem entfprechenden evangelifchen
Gebiet fehr abfticht.

Sehr gut find auch Nr. 5 und 8, von denen das erfte
aus der Praxis der letzten Jahre und Jahrzehnte, Nr. 8 dagegen
fpeciell an dem neueften Staatshaushalt zeigt, dafs
die ftaatlichen Beiträge zur Unterhaltung der evangelifchen
und römifchen Kirche ftatt in dem der beiderfei-
tigen Bevölkerungszahl entfprechenden Verhältnifs von
69: 29,9 oder 100:44, der römifchen Kirche vielmehr
viel zu hoch, gegenwärtig um über 25 Procent, der evangelifchen
dagegen entfprechend zu niedrig zuerkannt
werden, und dafs die ftets wachfenden Bedürfnifse der
römifchen Kirche ganz wefentlich der Ausbreitung ihrer
Propaganda in der evangelifchen Bevölkerung dienen.

Gleichfalls fehr beachtenswerth ift Nr. 2: Aus ihren
einfach ziffernmäfsigen Nachweifen geht hervor, dafs die
Beiträge der römifchen Bevölkerung in dem für das ganze
Land und beide Confeffionen ausgcfchricbcnen Kirchenopfer
zu Gunftcn der Invaliden, der Hagelbefchädigten,
der vom Staat für beide Bekenntnifse eingerichteten unü