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Ausgabe:

1887

Spalte:

404-405

Titel/Untertitel:

Le Pape et l‘Allemagne 1887

Rezensent:

Harnack, Otto

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403

Theologifchc Literaturzeitung. 1887. Nr. 17.

gerückt ift, an die Kurfürften von Trier und Pfalz, die
Dinge feien fo gerichtet, dafs auf dem einen oder anderen
Wege ein beftändiger, gegründeter Friede ge-
fucht werden müffe, falls nicht das ganze Reich in
Trümmer gehen folle, d. h. Philipp will nach den jahrelang
andauernden Beunruhigungen endlich beftimmte
Garantien für die Evangelifchen haben, dafs fie ihres
Leibes und Lebens ficher fein mögen. Dennoch zeigt
er fich fofort— noch in demfelben Schreiben — willig, die
angebotene Vermittlung der beiden Fürften zuzulaffen,
und in der That hat er dann ja auch derfelben ihren
Lauf gelaffen und nach einem Feldzug von wenigen
Tagen fich bereits am 5. Juni gefühnt. Diefe Daten und
Facten fprechen zu deutlich, als dafs Ehfes' Verfuchen,
dem Landgrafen Zweizüngigkeit zu imputiren und feine
friedlichen Aeufserungen zu verdächtigen, irgend welche
Beachtung zu fchenken fein möchte. Ebenfowenig fördert
E. die Erkenntnifs der Sachlage in feinem fünften
Capitel über das Kaffeier Verhör. Im Gegentheil, Alles
ift in befter Ordnung, bis E. erfcheint, um mit feinen
willkürlichen Vorausconftructionen die Fäden künftlich
zu verwirren. Ift doch das Verhallen des Landgrafen
gerade hier fo ungemein durchfichtig. Philipp fühlt, dafs
er Pack zu fchnell Glauben gefchenkt hat; er mufs fich
im tiefften Grunde feines Herzens vielleicht fchon fagen,
dafs er von demfelben in unverantwortlicher Weife hintergangen
worden ift; aber er mag fich diefe für ihn be-
fchämende Thatfache doch noch nicht völlig und offen
eingeftehen; er möchte gern noch an die Möglichkeit
glauben, dafs Pack ehrlich gewefen fei, und klammert
fich daher, wie an einen Strohhalm, an den Umftand,
dafs Pack bei dem Verhör nicht in aller Form widerlegt
und entlarvt worden ift. Dafs übrigens hier wie bei der
fchlicfslichen Entlaffung Pack's das Verhalten des Fürften
formell durchaus correct gewefen ift, hat namentlich
Schwarz zur Genüge gezeigt, und wenn uns vielleicht
Philipp's Handlungsweife mehr menfehlich und natürlich,
als grofs bedünken möchte, fo mufs man doch, um hieraus
die Schuld des Landgrafen an der Fälfchung beweifen
zu wollen, das zu Beweifende fchon als mindeftens zu
drei Vierteln gegeben vorausfetzen, ein Verfahren, in
welchem wir aber Ehfes, der darin excellirt, zu folgen ent-
fchieden ablehnen müffen. — Und nun endlich noch die
Folterausfagen des Betrügers, welche unfer Autor im
fechften Capitel behandelt. Wenn es möglich war, das
bis dahin an Dreiftigkeit und Willkür Geleittete noch zu
überbieten, fo hat Ehfes es in diefem feinem Schlufs-
abfehnitt gethan. Fiftis coronat opus. Ift es fchon ein
Schlag ins Geficht der hiftorifch-kritifchen Methode,
Folterausfagen als glaubhaftes Quellenmaterial verwerthen
zu wollen, fo geht Ehfes noch darüber hinaus, indem er
nach diefen Folterausfagen entgegengefetzte, unverdächtige
Aeufserungen corrigirt. Bekanntlich hat Pack fchliefs-
lich, um, wenn er fich gleichfam als Werkzeug in mächtigerer
Hand hinftelle, felbft weniger fchuldig zu erfchei-
nen, die Sache fo gewendet, dafs der Landgraf in ihn
gedrungen haben follte, ihm Näheres über das Breslauer
Bündnifs mitzutheilen. Auch hiermit ift nicht gefagt,
dafs Philipp das Breslauer Bündnifs erdichtet habe, fondern
die Breslauer Zufammenkunft war eine allbekannte
Thatfache, und leicht mochten fich, wie es in jenen unruhigen
Zeiten wohl bei jeder Tagfahrt u. f. w. der Fall war,
daran Gerüchte von weitergehenden Verabredungen der
Theilnehmer knüpfen, worüber dann alfo, die Wahrheit
der Angabe Pack's voraurgefetzt, diefer von Philipp befragt
worden wäre. Allein dafs Pack's Ausfage in diefem
Punkte der Wahrheit nicht entfprochen hat, beweifen
mehrere andere Aeufserungen, die von Philipp wie von
Pack felbft vorliegen und die zu beanftanden nicht der
geringfte Anlafs vorliegt. ,Da mir Dr. Pack', fchreibt
der Landgraf u. a., ,von dem Handel erft gefagt hat,
das hat er zu Kaffel gethan . . . und hat es auf meine
Frage gethan, da ich gefagt habe, mir kommt allerlei

vor, wie etliche Praktiken follen gemacht fein über den
Kurfürften zu Sachfen und mich. Darauf hat. er mit
grofser Bekümmernifs mir nichts fagen wollen; da habe
ich ihn gebeten als billig, dafs er mir fagen wollte, wie
es eine Geftalt darum habe', u. f. w. Man braucht diefen
Worten nichts hinzuzufügen; fie fchildern den Hergang
in denkbar anfchaulichfter Weife und laffen uns den beiden
betheiligten Perfonen gleichfam ins Herz blicken:
dem fanguinifchen, durch bedrohliche Gerüchte feit Jahren
erregten und argwöhnifch gemachten Fürften, der aber
doch die Harmlofigkeit des guten Gewiffens und Treuherzigkeit
genug befitzt, um von dem Vertrauten feines
heftigften confeffionellen Gegners erfahren zu wollen,
was denn eigentlich an allen den Ränken fei; ihm fteht
auf der anderen Seite der raffinirte Betrüger und Fälfcher
gegenüber, dem eben diefe Treuherzigkeit Philipp's den
Gedanken eingiebt, an ihm fein Meifterftück zu machen.
Befand fich doch Pack, als er damals dein Landgrafen
näher trat, in der fchlimmften Lage; feine jahrelang mit
unglaublicher Dreiftigkeit getriebenen Betrügereien konnten
auf die Dauer unmöglich verborgen bleiben, und wenn
fie herauskamen, war ihm der fchimpflichfte Tod gewifs.
Was lag da näher, als dafs er, da ihn der Zufall dem
Landgrafen näher brachte, an dem hitzköpfigen Jüngling
einen Rettungsanker zu gewinnen buchte, indem er Philipp
bei feinem, wenn auch vielleicht wenigftens in die-
! fem Augenblick nicht völlig gerechtfertigten, fo doch
I überaus erklärlichen Argwohn vor Anfchlägen und Ge-
! waltthaten der Katholiken packte und es darauf anlegte, fich
| jenem unentbehrlich zu machen. Es ift das pfychologifch
. fo erklärlich und es fügt fich fo trefflich eins zum andern,
dafs man den ganzen Hergang plaftifch zu fchauen meint.
Wie hohl und nichtig erfcheinen da die Kunftftückchen,
mit welchen Ehfes das Helle zu trüben, das Klare zu
verwirren fich müht. Dochumfonft! Unrettbar theilt die
vorliegende Abhandlung das Schickfal der voraufgegangenen
, und mag unfer Ritter von der traurigen Geftalt
1 diefem feinem zweiten noch ein drittes oder viertes Pamphlet
folgen laffen: feine Ausführungen werden lediglich
ein pathologifches Intereffe erwecken können.

Göttingen. Walter Friedensburg.

1. Des Houx, Die Gesellschaft des Vatikan. Autorif. Ausg.
der ,Souvenirs ä Rome'. In das Deutfche übertragen
von Paul Heichen. 3. Aufl. Leipzig, Unflad, 1886.
(IV, 196 S. 8.) M. 4. —

2. Le Pape et l'Allemagne. Rome, Typographie ruc Ar-
cione III. 1. Mars 1887. (24 S. kl.-Fol.)

Die beiden genannten Schriften führen in den Zwic-
fpalt ein, der durch den Gegenfatz der Politik Pius' IX.
und Leo's XIII. fich in der Curie aufgethan hat; fie find
aus intranfigenten Kreifen hervorgegangen und von Hafs
gegen den gegenwärtigen Papft erfüllt. Der Verf. der
[ erfteren war eine Zeit lang Redacteur des clericalen
,Journal de Rome1 welches von hohen Kirchcnfürften,
befonders dem Cardinal Pitra, begünftigt war, dann aber
durch feine allzu ftaatsfeindliche Richtung der Politik
Leo's XIII. unbequem ward und eingehen mufstc. Des
Houx verliefs darauf Rom und hat nunmehr in jenem
Buche feine römifchen Erinnerungen mit kaum verhehlter
Erbitterung dargelegt. Seine Schreibweife ift durchaus
journaliftifch, erhält aber Reiz durch den Zwang, vieles er-
rathen laffen zu müffen, was der Autor nicht fagen durfte,
wenn er nicht als directer Empörer wider das Papftthum
daftehen wollte. Wenn er von dem Papfte ein etwas
fchillerndcs, undeutliches Bild entwirft, fo äufsert er fich
um fo offener über feine Rathgeber. Als die unheilvollen
Infpiratoren des Papftes nennt er den Auditor Boccali
und den jüngft allgemein bekannt gewordenen Galim-
berti; der ehemalige Staatsfecretär Jacobini wird faft mitleidig
als gänzlich unbedeutend dargeftellt. Mit Achtung