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Ausgabe:

1887

Spalte:

393-396

Autor/Hrsg.:

Vernes, Maurice

Titel/Untertitel:

Une nouvelle hypothèse sur la composition du deutéronome, examen des vues de M. G. d‘Eichthal 1887

Rezensent:

Horst, L.

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Marburg,und D. E. Schürer, Prof. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N° 17. 27. Auguft 1887. 12. Jahrgang.

Vernes, Une nouvelle hypothese sur la com-

pofition du deuteronome (Horft).
Friedlieb, Das Leben Jefu Chrifti (Schnapp).
Ehfes, Landgraf Philipp v. Heffen u. Otto

von Pack (Friedensburg).

Des Houx, Die Gefellfchaft des Vatikan

(O. Harnack).
Le Pape et l'Allemagne (O. Harnack).
Mitteilungen über die konfeffionellen Verhält-

nifse in Württemberg (K. Müller).

Jacobi, Offener Brief an Hrn. Pfarrer Woker
(Fay).

Baur, Prinzefs Wilhelm von Preufsen (Meier).
Walther, Erinnerungen an Appuhn (Meier).
Schmidt, Ein theologifches Afyl (Bilfinger).

Vernes, Maurice, Directeur adjoint ä 1' Ecole des Hautes
Etudes, Une nouvelle hypothese sur la composition du
deuteronome, examen des vues de M. G. d'Eichthal.
Paris, Leroux, 1887. (53 S. gr. 8.)

Herr G. d'Eichthal hatte die Zufammenfetzung und
das Zeitalter des Deuteronomiums in einer leider unvoll-
ftändig gebliebenen und erft nach feinem Tod veröffentlichten
Arbeit neu unterfucht. Einestheils blieb er bei
der fo beliebten Unterfcheidung des deuteronomifchen
Rahmens und des Grundftocks des Deuteronomiums
nicht flehen, fondern liefs das Buch aus acht verfchie-
denen Documenten zufammengefetzt fein. Anderntheils
leugnete er den Zufammenhang des Deuteronomiums mit
der Reform Jofia's und fetzte deffen Redaction zu Esra's
und Nehemia's Thätigkeit in Beziehung. Herr M. Vernes,
der bereits mehrfach Zweifel an der Richtigkeit der gewöhnlichen
, man könnte fagen claffifchen Anficht geäufsert
hatte, nimmt nun bei Gelegenheit der Schrift d'Eichthal's
in der Frage Stellung. Er beginnt mit der Darlegung
des durch d'Eichthal eingenommenen Standpunkts, um
fodann die beiden Seiten der Hypothefe zu beleuchten.

Was die Compofition des Deuteronomiums betrifft,
theilt M. Vernes den von d'Eichthal confequent durchgeführten
Gedanken, dafs dasfelbe, nicht minder als die
übrigen Bücher des Hexateuch, aus der Zufammenar-
beitung mehrerer Quellenfchriften entftanden fei. Er unter-
fcheidet zunächfl als die zwei Hauptbeftandtheile die
in cap. 5 —11 enthaltene Paränefe und die Gefetzgebung
cap. 12—26, beide urfprünglich von einander unabhängig
und von einem ganz verfchiedenen Geifte durchdrungen:
hier die rituellen Verpflichtungen, dort die Zurückführung
des ganzen Gefetzes auf ein einziges religiöfes Princip,
die Liebe Gottes; ja, fogar in der Wahl der Ausdrücke:
dies find die Gefetze, Vorfchriften etc., womit jene hohe
fpiritualiftifche Lehre cap. 5 eingeleitet wird, liege ein
polemifcher Hintergedanke, indem diefelben der rituellen
Sprache entlehnt und hier auf das grofse religiöfe Grundgebot
angewendet werden. Der Unterfchied zwifchen
d'Eichthal und M. Vernes befleht hier nur darin, dafs
erflerer in der paränetifchen Rede cap. 5—11 wiederum
mehrere Documente unterfcheidet und nur den Rahmen
von cap. 5 beibehält; letzterer tadelt beides.

Auch ich vermag die in Deut. 5—11 enthaltenen
Paränefen nicht als urfprünglich der Gefetzfammlung
angehörig aufzufaffen, glaube aber weder an die Einheit
von cap. 5—11, welche zufammen M. Vernes'
grofse paränetifche Rede bilden, noch fcheint mir die
deuteronomifche Gefetzgebung erft mit cap. 12 anzuheben
. M. Vernes felbft findet den ziemlich häufigen
Gebrauch der Ausdrücke: Gefetze, Rechte, Vorfchriften
etc. in der paränetifchen Rede auffällig, und man wird
zugeben, dafs feine oben mitgetheilte Erklärung allzu
künftlich ift; ferner glaube ich, dafs man, wenn Deut.

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S—II ganz als Paränefe aufgefafst wird, den Charakter
von Deut. 6. 7 durchaus verkennt. Deut. 6 enthält nichts
weniger als eine Paränefe, fondern fehr pofitive, wenn
auch nicht rituelle, Gebote, deren Reihe fich ununterbrochen
bis Deut. 7, 6» fortfetzt, woran fich dann 7,
12—16. 25—26. 8, 19—20 und endlich Deut. 12, 1 f. anreihen
. Deut. 5 aber möchte ich einfach als die Legitimation
der neuen durch Mofes mitgetheilten Gebote betrachten
, als folcher, die er nicht von fich aus ertheilt,
fondern die ihm Gott auf dem Berg, nachdem das Volk
in die Zelte zurückgekehrt, geoffenbart hatte. Demnach
würde es fich fo verhalten, dafs in diefen cap. 5 beginnenden
gefetzlichen Zufammenhang hinein paränetifche
, zu einander in naher Verwandtfchaft flehende Fragmente
von anderer Hand eingefügt worden wären.

Nach M. Vernes bildet Deut. 1—4 eine erfle paränetifche
Rede, wahrfcheinlich von dem Verf. der grofsen
Rede Deut. 5 — 11 felbfl fpäter verfafst, wahrend
d'Eichthal die Urfprünglichkeit des Zufammenhangs des
vierten Capitels mit den drei erflen leugnet, mit Recht,
wie mir fcheint. Deut. 4 wäre dann allein zu den paränetifchen
Stücken zu rechnen; in Deut. 1—3 hingegen
erkennt d'Eichthal ein eigenthümliches Fragment, eine
,Revue de la migration' zu welcher auch Deut. 5, der
Bericht über die Vorgänge am Horeb, und in cap. 9. 10
die Gefchichte der Tafeln und des goldenen Kalbes gehören
. M. Vernes hingegen erkennt weder die gefon-
derte Exiflenz der ,Revue de la migration1 an, noch kann
er fich entfchliefsen, Deut. 5 und die Interpolationen in
Deut. 9. 10 dazu zu rechnen. Ich glaube, dafs, abge-
fehen von Deut. 5, d'Eichthal hier richtiger gefehen hat.

Ueber Deut. 27, 11 — 26. 28, 1 — 68. 30, 1—10 fafst
fich M. Vernes äufserll kurz; felbfl über die Stellung von
Deut. 28, 1—68. 30, 1 —10 — fo wird in Ueberein-
ftimmung mit d'Eichthal die Drohrede m. E. richtig zu-
fammengeftellt — zum deuteronomifchen Gefetzbuch
erfahren wir nichts, ebenfalls nichts über die Integrität
diefer Rede.

Ferner bilden beide Gelehrten eine befondere Section
aus Deut. 28, 69 — cap. 29. 30, 11 — 20. 26, 16 —19,

j welche Fragmente von einem zwifchen Gott und dem
Volke abgefchloffenen Bund handeln, eine eigenthüm-

1 liehe Auffaffung, auf welche ich mich hier begnügen

| mufs aufmerkfam zu machen.

Endlich befland für lieh die Gefetzfammlung Deut.
12—26, wozu 27, 1—10 (nicht rein erhalten) und 31, 9—13
den Abfchlufs bilden. Es ift fchade, dafs M. Vernes auf

i d'Eichthal's Anficht über Deut. 12, welches aus zwei zu-
fammengearbeiteten Texten beflehe, nicht aufmerkfam

j gemacht hat. Es ift dies fehr wichtig und verdient ge-

nauer unterfucht zu .werden.

Aus diefen verfchiedenen Stücken hätte ein Redac-

j tor — oder mehrere — das jetzige Deuteronomium zu-

[ fammengeftellt. Der Lefer hätte gewifs gerne vernom-

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