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Ausgabe:

1887

Spalte:

385-386

Autor/Hrsg.:

Döllinger, Joh. Jos. Ign. v.

Titel/Untertitel:

Die Selbstbiographie des Cardinals Bellarmin, lateinisch und deutsch mit geschichtlichen Erläuterungen herausgegeben 1887

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 16.

386

wir uns die Batiffol'fche Entdeckung, wonach (ich an zwei
verfchiedenen Orten in Chur und in St. Gallen Reite der
Thätigkeit eines und desfelben Scriptorium gefunden
haben, zur Hoffnung dienen, dafs fich daraus noch andere
Beffandtheile erhalten haben mögen.

Was fchliefslich die Gefchichte der h. Schrift
anlangt, auf welche wir im erften und zweiten Artikel
diefes Referates geachtet haben, fo läfst fich in diefem
dritten, abgefehen von der noch zu erörternden Frage
nach der verfchiedenen Aufeinanderfolge, die man bei
der Zufammenftellung der Evangelien eintreten liefs, nur
auf das im zweiten Artikel befprochene Datum zurückgehen
, dafs das in der Herftellung des Amiatinus und
der beiden anderen Handfchriften gleichen Inhalts liegende
unbeftreitbare Verdienft Ceolfrid's wefentlich ein doppeltes
ift: er hat einerfeits die befte der damals vorhandenen
Ueberfetzungen gewählt, und hat andererfeits die
Opfer gebracht, die mit der Anfertigung von Handfchriften
von fo grofsemUmfang nothwendig verbunden waren.
Dafs er dabei einen Unterlaffungsfehler, der von fehr
üblen Folgen begleitet gewefen ift, begangen hat, ift
bereits erwähnt worden. Aber auch hiervon abgefehen,
fleht in der Reihe der um die h. Schrift verdienten
Männer ein Anderer höher als Ceolfrid. Das Verdienft
um die Zufammenftellung aller Bücher zu Einem Ganzen
kommt einem politifch und theologifch wirkfamen Manne
älterer Zeit zu: dem Magnus Cassiodorius. Was die
namhafteften Kirchenlehrer des ausgehenden vierten und
des fünften Jahrhunderts Jeder nach feiner Weife für die
Zufammenfaifung der einzelnen Bücher der h. Schrift als
eines organifchen Ganzen vorgetragen haben, hat er erwägend
zufammengeftellt, und ohne feinen Vorgang
wurde Ceolfrid, wie wir gefehen, zur Vollziehung deffen,
was er geleiltet, nie gelangt fein.

Der Druck des Werkes ift ein vorzüglicher. Nur
einen unangenehmen Fehler hat der Unterzeichnete gefunden
: />. VI, 3 von unten, wo die vor feinen Namen
gefetzte unberechtigte Praepofition zu ftreichen ift.

Marburg. Ranke.

Döllinger, Joh. Jof. Ign. v., und Fr. Heinr. Relisch, Die
Selbstbiographie des Cardinais Bellarmin, lateinifch und
deutfeh mit gefchichtlichen Flrläuterungen herausgegeben
, Bonn, Neuffer, 1887. (VI, 352 S. gr. 8.) M. 6.—

Die bisher fo gut wie unbekannte Selbftbiographie
des Cardinais Bellarmin (lateinifch; deutfeh überfetzt),
in welcher der gefeierte Theologe und Politiker theils aus
der Schule geplaudert, theils mit grofser Selbdgefällig-
keit fich befpiegelt hat, bildet den Kern vorftehenden
Buches. Seinen hauptfächlichen Werth aber erhält es
durch die ,Anmerkungen', welche in der Stärke von ca.
270 Seiten ihm beigegeben find. Diefe Anmerkungen,
von den beiden bellen Kennern des contrareformatori-
l'chen Katholicismus gefchrieben, find eine Fundgrube
für die neuere Gefchichte. Die Verff. haben felbd die
Punkte hervorgehoben, wo fie Neues gebracht oder ältere
Anflehten berichtigt refp. erweitert haben, fo über Bell-
armin's pfeudonyme Schrift gegen Heinrich IV., über
feine Million nach Frankreich, ferner ,Bellarmin's Con-
troverfen im Index', ,Die Vulgata-Ausgaben von Sixtus V.
und Clemens VIII.', .Ablafsweftn', .Penfionen der Car-
dinäle', ,Bellarmin's Denkfchrift über Mifsbräuche', ,Die
Conclaven von 1605', ,Nepotismus', ,Der Streit Paul's V.
mit Venedig', Jacob i. und die Pulververfchwörung', .Verbote
von kirchlich-politifchen Schriften der Jefuiten in
Frankreich', ,Die Zählung der allgemeinen Concilien',
.Hinrichtung von Ketzern in Rom', ,Der Streit der
Löwener theologifchen Facultät mit den Jefuiten', ,Die
Congrcgationes de auxiliis1, Bellarmin's Gutachten über
die Bulle Johannes' XXII. v.J. 1327', ,Deutfehes Pasquill
gegen Bellarmin v.J. 1614', ,Heiligfprechungen im Allgemeinen
', ,Der von Pius V. gebilligte Mordanfchlag gegen
Elifabeth von England', ,Die Heiligfprechung des Ignatius
von Loyola'. Ich verweife befonders auf die inter-
eflanten Auffchlüffe über die Vulgata-Edition und auf
die Nachweife betreffend den Urfprung der jetzt offi-
ciellen Zählung der allgemeinen Concilien. Doch Einzelnes
aus dem ftoff- und lehrreichen Werke hervorzuheben
, wäre ungefchickt; denn es bringt auf jeder Seite
in knappfter Form und sine ira et studio Neues und
Werthvolles. Den Mittelpunkt bildet natürlich die Per-
fönlichkeit Bellarmin's. Sie erfcheint in ihrer eigenen
Darftellung keineswegs bedeutender als vorher, wohl
aber vielfeitiger und — kleinlicher. Ob man ihn jetzt
noch heilig fprechen wird? Schon dauern die Ver-
i handlungen darüber mit Unterbrechungen mehr als
250 Jahre. Aber man darf vermuthen, dafs die beiden
1 Theologen, indem fie die anftöfsige Selbftbiographie des
[ Cardinais in das richtige Licht gefetzt, die vaticanifche
Kirche definitiv davor bewahrt haben, ihn zum Heiligen
zu machen; denn ihre Darfteilung kann auch im Kreife
der Feinde nicht ohne Wirkung bleiben.

Marburg. A. Harnack.

Burggraf, Paft. J., Die Moral der Jesuiten. Vortrag, gehalten
in Berlin am 4. Febr. 1887. Wittenberg, Herrofe
Verl., 1887. (32 S. 8.) M. —. 50.

,Ein Appell an das reformatorifche Gewiffen' foll, wie
der Verf. fagt, auch diefer Vortrag fein. Und das ift
er auch! Nachdem zuerft die principielle Begründung
des .fittlichen Quietismus' der Jefuiten durch eine lichtvolle
Darftellung ihres Ideals: ,der Weltbeherrfchung', gegeben
ift, wird diefer felbft in feinem .praktifchen Auftreten
' gefchildert. Die Erziehung der Novizen des Ordens
zu Beichtvätern der Vornehmen und Briedern des Volkes

I wird meiderhaft charakterifirt. Die zur Herdellung dehnbarer
, der Gewiffensbefchwichtigung dienender ,Moral-

; fätze', des jefuitifchen Sündengunmis', in Anwendung

| kommenden Werkzeuge werden vorgewiefen. ,Das eine
heifst reservatio mentalis, das andere directio intentionis'
(S. 15). Es folgt eine vernichtende Kritik in Beziehung
auf ,das letzte, unbedingt fchlimmde Kunddück, das in
Loyolas Jüngerfchaft geübt wird' — die Lehre von der
Probabilität, ,zu deutfeh „Wahrfcheinlichkeit", ein wahres
Kabinettdück aus der Werkdatt der Lüge' (S. 21). ,Es
id aber diefe Lehre', wird auf der folgenden Seite fehr
richtig bemerkt, ,von allen unmoralifchen Grundfätzen
des Ordens der fchlimmde, weil es fich hier doch nicht
mehr blofs um ein Hintergehen und Befchwichtigen,
um ein Betäuben und Einfchläfern des Gewiffens
handelt, fondern um eine förmliche Empörung, um eine
.Entthronung des Gewiffens'. .Ethifcher Nihilismus'
(S. 23), das id es, was der Jefuitismus überall hervor-

I bringt, wo fein Einflufs mafsgebend id; denn er ruft zu-
erd ,die Gewiffensbeändigung' hervor, ihr folgt ,die Gewiffensbefchwichtigung
', unmittelbar nach diefer kommt
,die Gewiffensverwirrung' und endlich id erreicht, was man
will und zwar unbedingt will und fchonungslos: ,die Gewiffensknechtung
' (S. 24).

Die Schlufsbetrachtung (S. 26—32) vereinigt mafs-
volles Urtheil mit kräftiger Abwehr. ,Die einzelnen Jefuiten
bedauern und entfchuldigen wir, den Jefuitismus
verabfeheuen und verurteilen wir!' heifst es auf S. 28.
Wir find mit Entfchuldigung, wie Verurtheilung gleicher-
mafsen einverdanden. Nicht weniger aber damit, dafs
der Verf. angefichts der ,dreiden Forderung' der Aufhebung
des Jefuitenverbots am Ende feines mannhaften
Vortrags ausruft: .Hervor, endlich einmal hervor
mit dem protedanti fchen Ehrgefühl!'

Crefeld. F. R. Fay.