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Ausgabe:

1887

Spalte:

379-385

Autor/Hrsg.:

Ranke, Ernst

Titel/Untertitel:

Blicke auf die Geschichte der lateinischen Bibel im Mittelalter. (III.) 1887

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38o

Zahl erheblich vermehrt werden, wobei blofs an die I
Fossores, an einen Theil der Speifefcenen erinnert fei. j
Aber wir find dem Verf. fchon dankbar genug, dafs er
uns zwei fichere Ergebnifse gegeben und damit wieder
einmal die unmethodifche Auslegungskünftelei feiner ka-
tholifchen Vorgänger in ihrer Unhaltbarkeit erwiefen hat.
Seine Refultate gewinnen eine befondere Bedeutung als
neue Belege für die von de Roffi fchon früher, neuerdings
in den Annali dell' Instituto (1885 p. 2291.) wieder
entwickelte Anficht, dafs dieCoemeterien der oftienfifchen
und ardeatinifchen Strafse, fowie die auf der rechten
Seite der Via Appia gelegenen zur erften kirchlichen
Region gehören, welche die XII. und XIII. civile
Region, d. h. die Aventingegend umfaffen, in welcher
die annonarifche Verwaltung, fowie das Corpus Ptstorum
ihr Centrum hatten.

Der grofse Archäologe felbft hat der Unterfuchung
eine Studie über ein metrifches Sepulcralelogium eines
pracfectus annonae in der Bafilika S. Sebaftiano beigegeben
.

Rom. Johannes Ficker.

Blicke auf die Geschichte der lateinischen Bibel im
Mittelalter.

III.

Kehren wir nach der anderweitig veranlafsten Be-
fchäftigung mit dem Amiatinus zu dem Werke Old-Latin
Biblical texts zurück, von deffen erftem Theile unfer er-
fter Artikel gehandelt hat, und gewahren da zunächft,
dafs der zweite Theil die Evangelientexte des Codex
von Bobbio und eine Anzahl von Evangelienfragmenten
in einer Behandlung bietet, welche der des Sangerma-
nenfis im erften entfpricht, fo tritt uns weiter ein zweifaches
Moment fofort vor Augen: der zweite Theil ift
mehr als zweimal ftärker als der erfte, und nicht
John Wordsworth allein ift es, der darin zu uns redet,
fondern neben ihm treten zwei gelehrte Männer aus
feiner Umgebung auf: W. Sanday D. D. u. H. J. White
M. A., von denen fich der Erftere als Verf. des Werks
über die Herkunft und den hiftor. Charakter des vierten
Ev. 1872, und die Evangelien im zweiten Jahrh. 1876,
durch feine Mitarbeit am Ellicott'fchen Commentare
1878 und als Miturheber des trefflichen Werkes Studio
Biblica. Essays in biblical archaeology and criticism,
Oxf. 1885 verdient gemacht hat, der Andre unter denen
zu nennen ift, welche gegenwärtig mit der kritifchen
Unterfuchung des Amiatinus in Florenz befchäftigt find.
Der Urheber des Werkes hat es mit Recht unterlaffen,
über die hiemit gegebene äufsere Veränderung feines ur-
fprünglichen Bauplanes nähere Auskunft zu ertheilen.
In den Kreifen, für welche es beftimmt ift, weifs man
von der ehrenvollen Umwandlung feiner öffentlichen
Stellung, welche unlängft eingetreten ift, und wird es
anerkennen, dafs er, weit entfernt, das begonnene Werk
um der Schwierigkeiten willen, welche der damit verbundene
Umfchwung feiner Thätigkeit der Fortfetzung des-
felben entgegenftellt, daranzugeben, vielmehr Sorge getragen
hat, zur Vollendung desfelben geeignete und der
Aufgabe vollkommen gewachfene Kräfte heranzuziehen.
Die dadurch veranlafste gröfsere Ausdehnung des Werkes
wird man gern als ein Zeichen des gefunden Fortbefte-
hens der Unternehmung und als eine Bürgfchaft für ihre
einftige Vollendung anfehen und begrüfsen.

Von dem im erften Bande befprochenen, wie wir
fahen, d em Ausgang des 8. Jahrh. angehörigen Sanger-
manenfis (g,) werden wir im zweiten zunächfl zu dem
Bobienfis (k), welcher wie nach Tifchendorf, fo nach
dem Urtheil des Herausgebers dem 5. Jahrh. zugehört,
geleitet. .Wenig gekannt', fo charakterifirt ihn der Letztere
, ift derfelbe doch ein Codex von höchftem Belang:
zweifellos der ältefte Repräfentant der Afrikanifchen Evan-

gelienverfion und in hiftorifch-kritifcher Hinficht keiner
unftrer alten lateinifchen Bibelurkunden nachftehend'.

Der mit einem photographifchen Facfimile verfehene
Abdruck des Textes auf S. 1—55 beruht auf drei Grundlagen
: der Tifchendorf'fchen Ausgabe von 1847—1849,
der von der Clarendon-Press erkauften und dem Herausgeber
zur Verfügung gefreuten eigenhändigen Abfchrift
Tifchendorfs, und der im J. 1883 von W. an Ort und
Stelle perfönlich vorgenommenen zweimaligen Verglei-
chung derfelben mit dem Original. Bei diefem Gefchaft
ift an den Tag getreten, dafs der Tifchendorf fche Text
im Ganzen ,fehr correct' ift — eine Bemerkung, die zu
erwarten ftand, deren Hervorhebung aber dem deutfchen
Gefühl wohl thut.

Dem hierauf gegründeten, mit einzelnen kritifchen
Notizen ausgeftatteten Abdruck geht nun eine Reihe
werthvoller Unterfuchungen über Form und Inhalt des
Codex voraus. Zunächft eine Notiz über den Umfang des
Codex. Derfelbe erweift fich feiner gegenwärtigen Geftalt
nach als unvollftändig. Während er, nach der Zahl der
freilich nur zu einem Theil erhaltenen Nummern der
Quaternionen zu fchliefsen, urfprünglich alle vier Evangelien
enthielt, haben fich von Johannes und Lucas nicht
die geringften Refte, von den beiden anderen nur die
glücklicherweife umfangreichen Fragmente Mr. 8, 8—II;
14 — 16 u. 8, 19—16, 9; Matth. 1, 1—3, 10; 4, 2—14, 17
u. 15, 20—36 erhalten, und zwar in der Ordnung, dafs
jene erfteren den letzteren voraufgehen.

Sofort erhebt fich die kritifche Frage: wie hat es
zur Zeit der Entftehung des Codex mit der Anordnung
der fämmtlichen Evangelien geftanden? In Gregory's
Bearbeitung der Prolegomenen Tifchendorfs find die
Erweife gegeben, dafs die Kirche in verfchiedenen Zeiten
und an verfchiedenen Orten fehr verfchieden darüber gedacht
hat (vgl. dafelbfli37—138); andererfeits hat Rönfch
in feiner Reconftruction des N. Teftaments Tertullian's S.
50—54 gegen die Thatfächlichkeit der Anordnung, die
man in dein bekannten Ausfpruche diefcs Kirchenvaters
fidem ex apostolis Joannes et Matliaeus insinuant angedeutet
findet, Verwahrung einlegen zu können geglaubt.
Hier war alfo nicht fowohl Partei zu ergreifen, als den
Sachverhalt in feiner Bedeutung für die Gefchichte der
Bibel zu erkennen und darzulegen. Vermuthlich wird der
Herausgeber die durchaus nothwendige Befprechung des
Gegenflandes fich für die Bearbeitung des in den Old-la-
tin texts bald folgenden cod. Monac. 9, deffen Anordnung
die Reihe Mt. Jo. Lc. Mr. aufweift, vorbehalten haben.

Was aber treffen wir in feinem Werke an Nach-
weifungen über die Gefchichte des Codex? Wir find
um fo gefpannter auf ein hiftorifch begründetes Urtheil
des Herausgebers, je bekannter es ift, dafs auf einem der
papierenen Vorfatzblätter des Bobienfis von einer allerdings
ziemlich modernen Hand fich die Nachricht eingetragen
findet, dafs diefer Codex dasfelbe Buch fei,
( welches der h. Columban in einer Ledertafche bei fich
zu tragen gewohnt gewefen fei. Wer mit der Gefchichte
alter heiliger Bücher in Deutfchland einigermafsen bekannt
ift, erinnert fich dabei ohne Weiteres, dafs in Würzburg
ein ehemals dem Domfehatz angehöriges N. Tefta-
ment aufbewahrt wird, welches fich im Grabe der h. Kyl-
lena (-j- als Märtyrer um 690) gefunden hat. Ift jene
Angabe in ähnlicher Weife unter die glaubhaften Nachrichten
zu rechnen, wie diefe nirgends geläugnete, von
einem Würzburger Gelehrten in feinem fehr willkommenen
.Verzeichnifs der älteften Würzburger Evangelienhand-
fchriften' neueftens befprochene? Wie es von Wordsworth
nicht anders zu erwarten war, bringt er jene aus
dem 17. Jahrh. flammende Infchrift nicht nur ihrem
Wortlaut nach zum Vortrag Volumen m.s. ex membranis
in 4° continens Evglia p"" edis vetustissimum quod ut tra-
ditum fuit illud est idem Uber quem B[eatus Columbanus
Abbas in pera secum ferre consueuerat* (p. VII), fondern