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Ausgabe:

1887 Nr. 1

Spalte:

18-19

Autor/Hrsg.:

Weckesser, A.

Titel/Untertitel:

Zur Lehre vom Wesen des Gewissens 1887

Rezensent:

Müller, Ferd. Aug.

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ly Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. I. 18

Carstensen, Pred. N. F., Das Leben nach dem Tode.

Deutfch von Emil Jonas. [Vom Verfaffer durch-
gefehene Ausg.J Leipzig, Friedrich, 1886. (VIII,
224 S. 8.) M. 3. —
Ein eigenthümlich reiches und vielfeitiges Gebiet id.
doch die noch nicht zwei Millionen zählende Landeskirche
Dänemarks. Wie viele Originale hat fie innerhalb der
letzten Jahrzehnte hervorgebracht; wie viele haben fich
auch in Deutfchland von ihnen beeinfluffen laffen! Auch
die vorliegende Schrift, die uns hier im deutfchen Gewände
gegeben wird, macht fich darauf gefafst, als etwas
Befonderes angefehen zu werden. Sie ift der Pro-
teft eines ftreng fchriftgläubigen Theologen gegen die
Lehre von der Auferftehung des Leibes. Das ift nun
an fich nichts neues, wohl aber ift das originell, dafs in
unferer Zeit, welche exegetifche Thatfachen als folche
anzuerkennen pflegt, diele Lehre aus der Schrift, und
zwar einzeln aus allen Stellen, auf welche man fich dafür
zu berufen pflegt, herausexegefirt wird, von einem
Standpunkt dogmatifch biblifcher Betrachtung aus, für
welche z. B. ein Fortfehritt der religiöfen Erkenntnifs in
diefen Dingen kaum zwifchen dem alten und neuen Tefta-
ment dazufein feheint.

Von dem alten Teftament, obfehon dasfelbe hier
ausführlich behandelt wird, hat wohl, die jüngften Schriften
desfelben ausgenommen, heutzutage niemand mehr,
auch nach Hiob 19 nicht, eine ausdrückliche Lehre von
der Auferftehung des Leibes behauptet. Aber auch die
paulinifchen Stellen insgefammt find nach dem Verf.
irrig darauf gedeutet worden. Z. B. 1 Cor. 15 bedeutet
anüQXV nur, dafs Chriftus ,der vorzüglichfte von allenge
wefen ift, in den Antithefen ,es wird gefäet ver-
weslich u. f. w.' ift das erfte Glied nicht von dem Samen,
korn des Leibes, der in die Erde gelegt wird, fondern
vom Samenkorn der Seele, welche dem Leibe eingepflanzt
wird, zu verftehen. ,Nackend' wäre im Sinne
von 2 Cor. 5 ein Körper zu benennen, wenn er ,ohne
die himmlifche Liebe' ift. Diefe und eine Reihe anderer
Stellen werden zur Erklärung von Mattti. 27, 52. 53, auf
deffen richtiges Verltändnifs das höchfte Gewicht gelegt
wird, verwandt. Was find die Gräber, die fich dort auf-
thun? Was verlieht die Schrift überhaupt unter den
Gräbern, welche bei der letzten Pofaune, bei der Stimme
des Menfchenfohnes, ihre Todten wiedergeben? ,1m
Todtenreiche bilden fich nothwendiger Weife alle möglichen
Gemeinfchaften in den unterften Orten der geifti-
gen Welt, weil es jedem erlaubt ift, der dort hingelangt,
(ich der Gemeinfchaft anzufchliefsen, welche mit feinem
Leben und feinen Anfchauungen übereinflimmt, und
diefe Freiheit ift daher die Urfache zur Bildung von
Gemeinfchaften oder Gefellfchaften, die in der Bibel
,Gräber' genannt werden' (!). Aus diefen .Verwahrungsorten
' und Zuchtftätten für die noch unvollkommenen
Seelen find in jenen 36 Stunden zwifchen Tod und Auferftehung
des Herrn einige hervorgegangen und haben
lieh etlichen, wie vorher Mofe und Elia auf dem Verklärungsberge
, gezeigt. Einft werden alle daraus hervorgehen
. Die Auferftehung der Todten ift ein anderer
Ausdruck für die änoxaidaiaoic (!).

Ueber die exegetifche Willkür des Verf.'s, für die
fich noch manches Beifpiel anführen liefse, ift kein
Wort zu verlieren. Aber wer über diefe Dinge auch
nur nach ihrer biblifch-theologifcher Seite nachdenkt,
der erkennt die Schwierigkeiten, wie fie z. B. in den
Aeufserungen des Paulus theils über die Seligkeit alsbald
nach dem Heimgang, theils über die Vollendung
erft nach der Auferftehung liegen, Schwierigkeiten, die
wohl ohne eine Verfchiedenheit der inneren Stellung
des Apoftels zu diefen Fragen je nach der verfchiedenen
Zeit feines Lebens fich nicht erklären laffen. Man möge
fich hüten, dergleichen Dinge zu einem Schibboleth der
Orthodoxie zu machen. Aber auf das entfehiedenfte

zu verwerfen ift der Ton, mit welchem der Verf. feine
Gegner, z. B. den vornehmften unter ihnen, den ,Bifchof
Martenfen behandelt, den chriftlichen Predigern Saum-
feligkeit, Fehler zu erkennen, ,wenigftens fie öffentlich
anzuerkennen', vorwirft, Vorwürfe, wie man fie unter den
flachften der Gegner des Chriftenthums, nicht bei einem
Theologen erwartet, der doch wiffen follte, wie heute
auch von den orthodoxeften Theologen die Auferftehung
des ,Fleifches' gemeint ift. Jedenfalls ift dort weit mehr
Schriftverftändnifs, als in den Willkürlichkeiten des
Verf.'s.

Die Ueberfetzung läfst nur an einzelnen Stellen, wie
S. 123 uns felbft, ftatt wir felbft, das dänifche Colorit
erkennen. Bei Uebertragung des Liederverfes S. 127
ift es dem Ueberfetzer entgangen, dafs das betr. dänifche
Lied wohl die Ueberfetzung des P. Gerhard'fchen ,Ift
Gott für mich u. f. w.' ift.

Leipzig. Härtung.

Weckesser, Dr. A., Zur Lehre vom Wesen des Gewissens.

Bonn, Straufs, 1886. (VI, 98 S. gr. 8.) M. 2. —

Das ziemlich fchwierige Grenzgebiet zwifchen Ethik,
Religionsphilofophie und Pfychologie, dem die Theorie
des Gewiffens angehört, betritt der Verf., in der ein-
fchlagenden theologifchen Literatur, foweit ich dies be-
urtheilen kann, ganz gut orientirt, während die philo-
fophifchen Deductionen noch an Schärfe zu wünfehen
übrig laffen. Gleich im Eingang feiner Schrift unterfcheidet
der Verf. drei Stellungen, welche gegenüber dem Er-
kenntnifsproblem möglich feien: den pfychologifchen
durch Sokrates und Kant, den met aphy fi fchen durch
Plato, Descartes, Spinoza und Hegel und endlich den kos-
mol ogi fchen durch Ariftoteles und Locke repräfentirten
Standpunkt. Diefer willkürlichen und jedenfalls unhaltbaren
Dreitheilung ungefähr entfprechend, werden auch
beim Gewiffen, welches zunächft ganz allgemein als ,Be-
wufstfeinsphänomen' definirt wird, drei Grundthatfachen
und je nach Betonung einer derfelben, drei Haupttheorien
unterfchieden: die Hervorhebung der ,Urfprünglich-
keit und Abfolutheit' liefert den fupranaturaliftifchen
Standpunkt, die befchränkte Rückficht auf die .Relativität
und das Weltverhältnifs des Gewiffens' den natu-
raliftifchen und fchliefslich die einfeitige Ueberfchätzung
feiner .Subjectivität und Innerlichkeit' den rationalifti-
fchen Standpunkt.

Der Verfaffer geht weiter daran, durch eine, befon-
ders den Monographien von Hofmann und Gafs fich
anfchliefsende, hiftorifche Darfteilung nachzuweifen, dafs
die Gewiffenstheorie hauptfächlich innerhalb der angeführten
Gegenfätze, theils in fchroffer Gegenüberftellung,
theils in ausgleichenden Vermittlungsverfuchen derfelben
verlaufe, ein Unternehmen, gegen das die ftark fchema-
tifirende Dreitheilung allerdings von vornherein etwas
mifstrauifch macht. Die Durchführung zeigt, dafs diefes
Mifstrauen nicht ganz unberechtigt war; doch würde es
viel zu weit führen, wollte ich im Einzelnen die Bedenken
hier geltend machen, die fich gegen die Ausein-
anderfetzungen des Verf.'s mit den einzelnen Philo-
fophen aufdrängen (den angegriffenen Theologen und
ihren Anhängern mufs ich es ohnehin überlaffen, fich
felbft zu vertheidigen). Nur an einem Beifpiel möchte
ich zeigen, wie fchief manchmal die Ausführungen des
Verf.'s find. Bei Behandlung der Kantifchen Freiheitslehre
citirt Weckeffer (S. 17) aus der Vorrede zur .Kritik
der praktifchen Vernunft' den Satz: ,Der Begriff der
Freiheit . . . macht nun (nicht ,nur,' wie W. fchreibt) den
Schlufsftcin von dem ganzen Gebäude eines Syftems der
reinen, felbft der fpeculativen Vernunft aus und alle an-
wfen Btg' 'ffefchliefsen fich nun (noch einmal citirt
W. ,nur') an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn
Beftand und objective Realität . . .' Dann fährt Weckeffer
fort: ,Diefer Begriff lautet, die Freiheit befteht