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Ausgabe:

1887

Spalte:

350-355

Autor/Hrsg.:

Reuter, Hermann

Titel/Untertitel:

Augustinische Studien 1887

Rezensent:

Harnack, Adolf

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mit .probehaltige Ergebnifse,' die der .kurzgefafste Kommentar
' verwerthen foll, erzielt werden können.

Und was erreicht Or. nun durch diefe mit fo befremdender
Benutzung der Keilinfchriften gewonnene
Datirung von Jef. 10,5 ff.? Er kann nun S. 51 fchreiben:
, 11,1 ff. bildet mit 7,14; 9,15k eine unzertrennliche Tri-
logie, indem erft hier die Weisfagung vom Immanuel zu
ihrer vollen Entfaltung kommt', und S. 33: ,€.7—12 gehören
naher zufammen und können nach der Hauptge-
ftalt, welche fie beherrfcht und verbindet, als das Buch
Immanuels bezeichnet werden, wenn auch das Ganze
nicht in einem Zuge gefchrieben ift und die einzelnen
Theile nicht völlig derfelben Zeit angehören'. Wie wenig
jedoch diefe Einfchränkung ,wenn auch' zu bedeuten
hat, ift daraus erfichtlich, dafs alle Abfchnitte diefer CC.
mit dem Eingreifen der Affyrer in den famarifch-jüdifchen
Krieg verbunden werden. Jene Worte enthalten das er-
wünfchte Ziel, um deffen willen gefchichtliche That-
fachen, wie die Verbannung der Bewohner Samariens
734, neu gefchaffen und eindringende Unterfuchungen
anderer Gelehrten über die zu diefen CC. verbundenen
Stücke zurückgewiefen werden. Das Letztere gefchieht
z. Th. in einer Weife, die den Lefer völlig irre führen
mufs. Wenn z. B. auf S. 6 vgl. S. 117 gefagt wird: ,Die
Angriffe auf jefajanifche Abfaffung von c. 7 haben wie
die auf 39—39 das Wunderbare der Erzählungen zum
inneren Grund', fo erhält der Lefer doch eine unrichtige
Vorftellung von dem, was namentlich in neuefter Zeit
zur Kritik diefer Stücke gefchrieben worden ift.

Während Or. zugefleht, dafs am Ende des Buches
Jefaia Anhänge gemacht find, die Unechtes enthalten,
fcheint er lieh vor der Annahme zu fcheuen, dafs auch
in den eigentlichen Körper desfelben Fremdartiges eingedrungen
ift. Hier tritt ein nach allgemeineren Ge-
fichtspunkten aufgeftellter Zufammenhang in den Reden
des Propheten als das Mittel auf, die Einheitlichkeit
gegenüber den Ergebnifsen der kritifchen Analyfe zu
fchützen. Von einigen hervorragenden Ausfprüchen des
Propheten aus baut fich Or. eine künftliche Brücke, von
der er feinen Lefern den inneren Gedankengang des
fchriftftcllernden Propheten glaubt zeigen zu können.
Diefe gilt nun als der fefte Ort, der nicht preisgegeben
werden darf, mag auch eine andersgeartete Kritik, die
von dem Einzelnen ausgehend, unter gleichmäfsiger Be-
rückfichtigung aller Umftände, den urfprünglichen Zufammenhang
feftzuftellen fucht, den Nachweis liefern,
dafs die Bogen und Pfeiler der llrücke nur in der Phan-
tafie der darauf wandelnden Gelehrten exiftiren oder dafs
fie die Arbeit und den Gefchmack der fpäteren Re-
dactoren des Buches, nicht aber den Sinn des Propheten
zum Fundamente haben. Wenn nun einerfeits
durch diefes Verfahren ein möglichfter Anfchlufs an
traditionelle Auffaffungen, die von einem dogmatifchen
Intereffc geleitet waren, erftrebt wird, andererfeits aber
die traditionellen Anflehten über die Entftehung der alt-
teft. Bücher berichtigt werden, fo ift diefes verfchieden-
artige Verhalten des Auslegers fchwerlich geeignet, Vertrauen
und Sicherheit bei den Lernenden zu wecken und
fie zu einem felbftändigen Urtheil anzuleiten; urteilsfähige
Kenner des ganzen Stoffs wird es aber in der
Meinung beftärken, dafs unter Anerkennung einiger durch
die wiffenfehaftliche Eorfchung gewonnenen Ergebnifse
die traditionellen Anflehten im Ganzen beibehalten oder
leife umgebildet werden.

Für letzteres noch einige Belege. Or. verwendet
viel Raum und Mühe auf den Nachweis der Erfüllung
der Weisfagungen des Jefaia. Dafs diefer in der alten
Weife nicht möglich ift, weifs Or. natürlich. Statt nun
aber hierüber offen Aufklärung zu geben und zu fagen,
in^ welcher Weife mit Recht von der Erfüllung der altt.
Weifsagungen geredet werden kann und mufs, wird der
Thatbeftand verhüllt oder (zu C. 7) zwifchen dem unmittelbaren
Eindruck des Gefichts (?) und der durch die

Erfahrung mitbeftimmten Reflexion des Propheten unter-
fchieden oder von einem ,Ergänzen' gefprochen, wo es
fich in Wahrheit um etwas Verfchiedenes handelt. Obgleich
'a/wa nicht jiayfttvoq, fo ift es doch ,auch in Jef.'s
Augen ein gottgewirktes Wunder, wenn aus diefem
Volk und Haus der reine Gottgefalbte aufwuchs', und
damit wird dem Sinne von Mtth. 1,22 f. ,ein gewiffes
äufseres und inneres Recht' zugeftanden (S. 36f.). Unter
dem Worte Wunder mufs fich der Lefer dann aber fehr
Verfchiedenes denken! Die Schwierigkeit, die Jef. 53,8 f.
dem Verftändnifs des Knechtes Jahwe's als einer Einzel-
perfon bereiten, wird S. 173 durch ein ,Gott weifs es'
bei Seite gefchoben, d. h. der Exeget erklärt feinen Text
der herkömmlichen Deutung gegenüber für unverftänd-
lich. Wer behält nun recht, die Tradition oder das
Bibelwort?

In der erften Hälfte des Buches zeigt fich Or. nur
bei C. 34f. 36—39 den kritifchen Bedenken zugänglich;
alles übrige rührt von Jefaia her. Die Einheitlichkeit des
zweiten Theiles wird ftark betont und durch die Rückert'-
fche Eintheilung, die S. 130 auch von der chriftlichen
Trinitätslehre aus beleuchtet wird, geftützt (vgl. über diefe
Eintheilung Ewald, Propheten'2 111,29). ^m Buche Jere-
mia wird io,i—16 wohl angezweifelt, aber doch die Herleitung
von Jer. für möglich erklärt (255), 25,13b als
fremder Zufatz bezeichnet, 39,1. 2. 4—10 gelten als ein-
gefchaltet; nur c. 52 ift ein von fremder Hand beigefügter
Anhang. Betreffs der LXX wird die Annahme
zweier Textgeftalten zurückgewiefen; vielmehr foll uns
nur eine hebräifche Recenfion (MT) und eine völlig un-
I zuverläffige Ueberfetzung (LXX) vorliegen. Ich glaube
nicht, dafs die fchwierige Frage auf diefe Weife gelöft
werden kann; der Schlufs von der Ungenauigkeit drs
gr. Ueberfetzers im Einzelnen auf die Identität feiner
hebr. Vorlage mit dem MT im Ganzen ift zu rafch, die
Annahme zweier verfchiedener Textrecenfionen ift fchwerlich
zu umgehen. In der Kritik des Textes ift Or. zu
vorfichtig und zögernd. Er läfst lieber noch ,die Gefetze
des Denkens und der Sprache' zu kurz kommen als die
diplomatifche Grundlage; auch überfetzt er ohne Bedenken
folche Stellen, die andere als unüberfetzbar em-
| pfinden. Der Kommentar enthält abgefehen von der
! Einleitung zu den beiden Büchern die Ueberfetzung, er-
j klärende Anmerkungen und eine Darftellung und Be-
fprechung des Inhalts der einzelnen Abfchnitte. Nur zu
Jef. 36—39 ift eine befondere Einleitung vorangeftellt.
Vgl. darüber Schürer Th. L.-Z. 1886, 533. In der Literatur
zu Jeremia ift der Kommentar von Scholz (Würzburg
1880) überfehen worden. Ich bed auerc, auf Einzelheiten
des Raumes wegen nicht eingehen und noch folche
Stellen hervorheben zu können, in deren Auslegung ich
mit dem Verf. einverftanden bin. Es fchien mir jedoch
wichtiger zu fein, in einigen Zügen ein Bild von der
Art der Exegefe, die in diefem Kommentar geboten
wird, zu entwerfen.

Leipzig. H. Guthe.

Reuter, Hermann, Augustinische Studien. Gotha, F. A.
Perthes, 1887. (VIII, 516 S. gr. 8) M. 10.—

Die fünf auguftinifchen Studien, welche Prof. Reuter
in den Bdd. 4—8 der Zeitfchrift für Kirchengefchichte
hat erfcheinen laffen, gehören zu den wichtigften Bereicherungen
, welche die dogmengefchichtliche Eorfchung
in den letzten Jahren erfahren hat. Auf Grund einer
ausgezeichneten Kenntnifs der Schriften Auguftin's hat
Reuter theils Fragen erörtert, die bisher kaum ge-
ftreift worden waren (,Auguftin und der katholifche
Orient', ,Der Epifkopat und die Kirche', ,Das Concil und
die Tradition nach Auguftin'), theils Probleme ex fundamen-
tis unterfucht, die in der modernen Kirchen- und Dogmen-
gefchichtsfehreibung eine grofse Bedeutung gewonnen
hatten (,Die Lehre von der Kirche und die Motive des