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Ausgabe:

1887 Nr. 14

Spalte:

336-339

Autor/Hrsg.:

Loofs, Friedr.

Titel/Untertitel:

Leontius von Byzanz und die gleichnamigen Schriftsteller der griechischen Kirche. 1. Buch: Das Leben und die polemischen Werke des Leontius v. B 1887

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 14.

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allein natürliche. Dann folgt aber daraus, dafs Paulus
fchon einmal iv Xvny in Korinth war; und da dies nicht
auf die erfte Anwefenheit beider Gründung der Gemeinde
gehen kann, fo mufs er inzwifchen ein zweites Mal dort
gewefen fein. — Auch die Annahme eines verloren gegangenen
Briefes zwifchen unferem erften und zweiten
kanonifchen fcheint mir durch die neueren Forfchungen
zu einem hohen Grad der Wahrfcheinlichkeit erhoben.
Heinrici bezieht das tyocapa 2, 3—4, unter Berufung
auf den Briefftil des Alterthums, auf den Inhalt unferes
zweiten Briefes, mit deffen Abfaffung Paulus eben be-
fchäftigt ift, dagegen die Andeutungen 2, 9 und 7, 8—12
aufunferen erftenkanonifchen Brief. Erfagt dabei aber felbft,
dafs es,ohne Zweifel am einfachften' fei, den Aorift lyncapa
in der Stelle 2, 3—4 ebenfo zu faffen wie 7, 12, d. h.
ihn auf einen früheren Brief zu beziehen (S. 23). Mir
fcheint diefe Faffung nicht nur die einfachfte, fondern
die gebotene, da fich Paulus in dem ganzen Abfchnitt
1,15—2,4 gegen den Vorwurf vertheidigt, dafs er aus
Feigheit den bereits angekündigten Befuch hinausfchiebe
und ftatt deffen fcharfe Briefe fchreibe (vergl. 10,10).
Es wird alfo 2, 3—4 ebenfo wie 2, 9 und 7, 8—12 auf
einen früheren Brief zu beziehen fein. Wie fchlecht aber
die Andeutungen diefer fämmtlichen Stellen auf unferen
erften kanonifchen Brief paffen, ift von Bleek, Klöpper,
Weizfäcker und Anderen längft gezeigt worden; und ich
glaubenicht, dafs es Heinrici gelungen ift, dievondiefen vorgebrachten
Argumente zu entkräften. Namentlich fcheint
mir Weizfäcker darin recht zu haben, dafs der Miffe-
thäter, deffen Beftrafung Paulus nach 2,9 und 7,12 in dem
früheren Briefe gefordert hat, nicht identifch fein kann
mit dem Blutfchänder, deffen Beftrafung I Kor. 5 gefordert
wird. Auch war Paulus, wie Heinrici felbft annimmt
(S. 50), über die Aufnahme unferes erften kanonifchen
Briefes längft durch den zurückgekehrten Timotheus
unterrichtet, während über die Wirkung des
unferem zweiten kanonifchen vorangehenden Briefes eben
erft der fehnlich zurückerwartete Titus Bericht erftattet
hat (II Kor. 2 und 7). Alle diefe Andeutungen machen I
die Annahme zahlreicherer Zwifchenglieder zwifchen unferen
beiden kanonifchen Briefen nöthig.

Aber H. glaubt — und dies ift feine Hauptinftanz gegen
Weizfäcker's Conftruction —, dafs unfer zweiter Brief
fchon fünf bis fechs Monate nach dem erften ge-
fchrieben fei (S. 46); dafs alfo für fo zahlreiche
Zwifchenglieder kein Raum bleibe. Die Stellen, auf
welche er fich dabei ftützt, find I Kor. 16,8; II Kor. 8,10; j
9,2. Nach I Kor. 16,8 ift der erfte Brief nicht lange vor
Pfingften gefchrieben. Aus dem zweimaligen caco jtt-
QiOi II Kor. 8,10 und 9,2 entnimmt aber H., dafs der
zweite Brief gefchrieben fei, ,in dem Jahre, das der Ab
fendungdes erften Briefes folgte, und zwar wahr fc heinlich
im Beginn desfelben' (S.46). Unter Vorausfetzung
des macedonifchen Jahres würde dies der October fein
(S. 46, 49). Es ift mir nicht recht verftändlich, inwiefern
aus dem einfachen ujio Jttovoc auch nur mit Wahrfcheinlichkeit
folgen foll, dafs der Brief im Beginn des Jahres
gefchrieben fei. Trotzdem fpricht H. bereits S. 52 davon
, dafs ,die erweislichen Zeitabftände' Weizfäcker
's Combinationen nicht begünftigen.

Zum Glück find alle diefe Fragen doch von relativ
untergeordnetem Belang. In der Hauptfache ftellt fich
H. die Entwickelung der korinthifchen Verhältnifse ebenfo
vor, wie alle neueren Kritiker. Die Beziehungen des
Apoftels zur Gemeinde find namentlich geftört worden
durch die judaiftifche Agitation, die in Paläftina irgendwelchen
Rückhalt hatte, und ihren Erfolg in Korinth vor
allem den mangelhaften fittlichen Zuftänden der Gemeinde,
für welche man den Apoftel verantwortlich machte, zu
danken hatte. H. nimmt geradezu an, dafs die jerufalemifche
Gemeinde felbft fich veranlafst fah, ,die Zügel der Leitung
der wichtigften Chriftenbruderfchaft des Weftens, welche
dem Paulus entglitten zu fein fchienen, zu ergreifen'

(S. 58). Unter den vjcsqXIuv ujcoötoXoi 11,5; I2''i verficht
er nicht die korinthifchen Agitatoren (welche 11,13
xprvdajcoOzoXoi heifsen), fondern die Urapoftel, mit deren
Autorität jene fich deckten. Dafs H. die Judaiften des
zweiten Briefes nicht mit der Chriftuspartei des erften
Briefes identificirt, ift aus feinem Commentare zum erften
Briefe bekannt. Mir fcheint die jetzt herrfchende Annahme
ihrer Identität wegen II Kor. 10,7 eine wohlbegründete
zu fein.

Die neuerdings mehrfach verhandelte Frage bezüglich
der Echtheit des Abfchnittes Cap. 6,14 bis 7,1
entfcheidet H. im negativen Sinne (S. 329 ff.). — Bei den
Literaturangaben S. 605 hätte wohl auch Adalb.
Maier (1865) genannt werden dürfen. Auch wäre da-
felbft auf die Literaturangaben im erften Bande (in Betreff
beider Briefe) zu verweifen gewefen.

Trotz mancher Bedenken, die im Obigen gegen Einzelheiten
erhoben worden find, möchte ich zum Schlufs
doch noch einmal mit Nachdruck auf den hohen Werth
diefes Commentares hinweifen, der wefentlich auf zwei
Eigenthümlichkeiten desfelben beruht: 1) auf der forg-
fältigen Ermittelung der Verbindungsfäden, durch welche
der Apoftel und feine Gemeinde mit der geiftigen
Atmosphäre der Zeit verflochten find, und 2) auf der
Fülle des beigebrachten gelehrten Materiales. Möchten
die Verfaffer künftiger Commentare (die aber zunächft
andere Objecte als die Korintherbriefe fich wählen dürfen)
ihr Ziel fich eben fo hoch flecken, wie es der Verfaffer
gethan hat.

Giefsen. E. Schürer.

Loofs, Prof. Lic. Dr. Friedr., Leontius von Byzanz und die
gleichnamigen Schriftsteller der griechischen Kirche. 1. Buch:
Das Leben und die polemifchen Werke des Leontius
von Byzanz. (Texte und Unterfuchungen zur Ge-
fchichte der altchriftlichen Literatur von Ose. v. Gebhardt
u. Adf. Harnack, 3. Bd., r. u. 2. Heft.) Leipzig
, Hinrichs, 1887. (VIII, 317 S. gr. 8.) M. 10. —

Derauf andern Gebieten kirchenhiftorifcherForfchung
bereits bewährte Verfaffer tritt uns hier auf einem neuen
entgegen und bringt durch feine gediegene und forg-
fältige Unterfuchung Licht in eine bisher fehr wenig aufgehellte
Partie patriftifcher Literaturgefchichte, und zugleich
einen werthvollen Beitrag zur griechifchen Dogmen-
gefchichte des 6. Jahrhunderts. Man kann geradezu Tagen,
Leontius von Byzanz, bisher wenig mehr als ein Name,
mit welchem fich eine Anzahl dogmatifch-polemifcher
Schriften zur Gefchichte der chriftologifchen Streitigkeiten
mit mehr oder weniger Sicherheit verknüpften,
tritt hier als eine gefchichtliche Geftalt hervor. Ich halte
wenigftens die Nachweifung unferes Verfaffers für überzeugend
, dafs Leontius von Byzanz, der Verfaffer wichtiger
Schriften gegen Neftorianerund Monophyfiten, welche
für die chalcedonenfifche Lehre, aber im Sinne ihrer
wefentlich Cyrill'fchen Auffaffung eintreten, zu jenen
fkythifchen Mönchen gehörte, welche 519 in Conftan-
tinopel und Rom für die fogen. theopaschitifche Formel
(dafs Einer der Dreieinigkeit am Fleifch gelitten habe)
wirkten, welche fpäter (533) von Juftinian wirklich fanc-
tionirt wurde. Er ift der Leontius, welcher (Manfi VIII,
479) als Verwandter [parens) jenes comes Vitalianus bezeichnet
wird, mit welchem überhaupt jene fkythifchen
Mönche in enge Beziehung gefetzt werden, des Vitalian,
der in feinem bedrohlichen Kampfe mit dem Kaifer
Anaftafius fich zugleich als Vertreter der chalcedonen-
fifchen Orthodoxie auffpielte. Diefen Leontius findet
der Verfaffer wieder — was ebenfalls fehr einleuchtend
ift — in dem Leontius vir venerabilis monaclius et apoeri-
siarius patnim in saneta civitate consütutorum, welcher
unter den orthodoxen Theilnehmern des von Juftinian
veranftalteten, gewöhnlich auf 533, von Loofs aber auf