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Ausgabe:

1887 Nr. 13

Spalte:

315-317

Autor/Hrsg.:

Eucken, Rudolf

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte der neuern Philosophie, vornehmlich der deutschen. Gesammelte Abhandlungen 1887

Rezensent:

Reischle, Max

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315 Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 13. 316

faffung des Urchriftenthums befonderen Werth; aber
fie ift in hohem Mafse einfeitig: fie unterfchätzt eben-
fo fehr den religiöfen Gehalt des Chriftenthums, durch
welchen dasfelbe (ich von der jüdifchen Erwartung des
Meffiasreiches unterfchied, als die religiöfen Dispofitionen
der griechifch-römifchen Welt, welche dem Chriftenthum
zufiel. Den fchliefslichen entfcheidenden Sieg über die
alte Welt errang ja auch nicht der fog. Chiliasmus, fondern
der von hellenifchem Geift durchdrungene Glauben
an die zum unvergänglichen Leben führende Gottes-
offienbarung in Jefu Chrifto. — Auf Grund einer richtigeren
Erkenntnifs des Verhältnifses von Chriftenthum und
griechifchem Geift in der alten Zeit hätte auch in dem
letzten Capitel über ,Piaton und die Neuzeit' fich der
Piatonismus im Dogma der mittelalterlichen Kirche und
dann die Renaiffance des Piatonismus am Ausgang des
Mittelalters beffer verftändlich machen laffen.

Alles zufammen genommen: das in hübfcher Aus-
ftattung erfcheinende Büchlein ift geeignet, Gebildete für
die Gefchichte der griechifchen Philofophie zu intereffiren
und ihnen in angenehmer Weife Kenntnifse über diefelbe
beizubringen, nicht aber, in ein wirkliches Verftändnifs
derfelben fie einzuführen.

Tübingen. Max Reifchle.

Eucken, Prof. Rud., Beiträge zur Geschichte der neuern
Philosophie, vornehmlich der deutfchen. Gefammelte
Abhandlungen. Heidelberg, Weifs' Verl., 1886. (III,
381 S. 8.) M. 3.20.

Die fechs, refp. fieben Abhandlungen, welche obige
Schrift enthält, find fämmtlich fchon in Zeitfchriften veröffentlicht
, waren es aber werth, nach erneuter Durcharbeitung
gebammelt herausgegeben zu werden. Während bei den
drei erften Auffätzen, zufammengefafst unter dem Titel:
,Forfchungen zur älteren deutfchen Philofophie', der
wenig bekannte Stoff intereffirt, find die übrigen anziehend
durch die Art, wie bekanntere Gegenftände behandelt
werden.

Zuerft wird ,Nikolaus von Kues als Bahnbrecher
neuer Ideen' in lebendigem Bilde gezeichnet; wenn Verf.
mit Recht feine Einwirkung auf Leibniz befonders hervorhebt
, fo hätte andererfeits auch auf das Verwandt-
fchaftsverhältnifs Spinoza's zu Nikolaus mehr hingewiefen
werden können (dies nur geftreift pag. 29). Die hohe
Bedeutung des Nikolaus ift in neuerer Zeit vielfach, zum
Theil fogar in tendenziöfer Weife, gepriefen worden.
Auch der Verf. ift willig, ihm den Ehrenplatz am Eingang
der neueren Philofophie zuzuerkennen. Wir gönnen
ihm denfelben gern, betonen aber mit dem Verf. nachdrücklich
, dafs er wohl auf dem intellectuellen, nicht
aber auf dem religiös-ethifchen Gebiet Epoche macht:
Das plus et plus intelligere sine fine'iü ihm die Verwirklichung
des göttlichen Ebenbilds. Darum ift er auch — trotz
feiner kirchlichen Reformthätigkeit — zum Reformator
der Kirche nicht geeignet. In dem Grundfatz des Nikolaus
, dafs der Kampf um die Wahrheit nie zur Ruhe,
fondern nur zu fteigender Kampfanfpannung führe, fieht
der Verf. einen Gegenfatz zu dem das Mittelalter beherr-
fchenden Denken, deffen Vertreter fchon Auguftin fei,
indem er glaube, die Wahrheit im Befitz haben zu müf-
fen, um glücklich zu fein; jener Grundfatz ift aber zugleich
anzufehen als eine Abwendung von dem auch im
Mittelalter fortwirkenden religiöfen zum fpeculativen
Intereffe. — Von den beiden folgenden Auffätzen ,Para-
celfus' Lehren von der Entwicklung' und ,Kepler als
Philofoph' zeichnet fich der erfte aus durch die fichere,
befonnene Stellung des Verf.'s zu den kritifchen Fragen
in Betreff der Werke des Paracelfus und intereffirt befonders
auch durch den Nachweis der engen Verbindung
religiöfer und naturphilofophifcher Ideen — man möchte
die Stellen des Gedankengefüges, wo religiöfe Anfchau-

ungen eintreten, zum Theil noch (chärfer bezeichnet
fehen —; bei Kepler ift befonders das gewaltige Sichhervorringen
einer die exaete Forfchung leitenden philofophi-
fchen Methodenlehre aus dem Chaos naturphilofophifcher
Ideen bedeutfam.

In dem Auffatz ,über Bilder und Gleichnifse bei
j Kant' will Verf. einen ,Beitrag zur Würdigung der Phi-
i lofophen' geben. In der That wird durch die Hervorhebung
der bei Kant am häufigften begegnenden Gruppen
| von Gleichnifsen und Bildern, unter denen die Analogie
j des Raumbilds und des Rechtsftreits eine herrfchendc
Stellung einnehmen, die charakteriftifche Art und Richtung
des Kant'fchen Denkens beleuchtet. Es drängt fich
uns beim Lefen der Abhandlung die allgemeine Frage
[ auf, welche Bedeutung überhaupt das ,Princip der An-
i fchaulichkeit' für das philofophifche Denken haben darf
j refp. haben mufs —> eine Frage, welche der Verf. bei
| feinem fpeciellen Thema bei Seite laffen mufste —, ebenfo
aber die mit befonderer Beziehung auf Kant zu Hellende
I Frage, inwieweit bei diefem Philofophen eine Beeinfluf-
I fung der Gedankenarbeit durch die Bilder anzunehmen
fei. Verf. giebt uns darauf die Antwort, dafs ,bei dem
Meifter begrifflicher Forfchung' ,nicht wohl ein Einfliefsen
der Bilder in den Gedankenprocefs fich erwarten läfst',
bemerkt aber an fpäterer Stelle (p. 90): ,Wie tief die
Analogie des Raumbildes in das Kantifche Denken eingegriffen
habe, und inwiefern fich hier eine fpeeififche —
keineswegs angriffsfreie — Anficht vom Erkennen ausdrücke
, das können wir an diefer Stelle nicht unterfu-
chen'. Die durch letztere Aeufserung unficher gemachte
erfte Thefe darf, wie ich glaube, mit Entfchiedenheit
durchgeführt werden. — Dafs der Verf. ,zur Charakteri-
ftik der Philofophie Trendelenburgs' einen Beitrag giebt,
ift bei den Verdienften diefes zu fchnell dem Vergeffen
anheimfallenden Philofophen durchaus zu billigen. Die
Charakteriftik, welche von der Verfolgung zweier ver-
fchiedenartiger Strömungen in der Trendelenburg'fchen
Philofophie, der Richtung auf's Syftematifchc und Hifto-
rifche, ausgeht, finde ich gefchickt angefafst, die Kritik,
welche, kurz gefagt, eine nicht genügende Würdigung
der Leiftungen Kant's bei Trendelenburg conftatiren mufs,
ebenfo pietätsvoll als richtig. Auf den, wie mir fcheint,
höchft beachtenswerthen, zum Theil auch auf Kant'fchem
Boden zu verwerthenden Verfuch einer Ableitung der
Kategorien, welchen Trendelenburg in den ,logifchen Un-
terfuchungen' vorlegt, hätte ich auch noch gerne hingewiefen
gefehen. —

Die letzte Doppelabhandlung über ,Parteien und Parteinamen
in der Philofophie' fucht zunächft die Thatfache
der Parteiung als ein ,Phänomen von univerfeller Ausdehnung
' feinem Werden und Wirken nach zu begreifen.
Mit Recht begnügt fich Eucken bei feiner Erklärung des
Phänomens nicht mit der Annahme, ,dafs in den allgemeinen
Bedingungen unterer Erkenntnifs— verfchiedenar-
tiges enthalten fei, das bei Entwicklung des Proceffes
fich bis zu ftreitbarem Gegenfatz zu entzweien vermöge',
fondern fügt hinzu: ,die Partei ift etwas hiftorifches, fie
erwächft aus der gefchichtlichen Lage und wirkt innerhalb
derfelben'. Aber bei der Würdigung des Rechts
der verfchiedenen Parteien kann doch der erfte Gefichts-
punkt nicht entbehrt werden und auch bei der Unterfu-
chung über Bildung und Wirkung der Parteien dürfte
derfelbe wohl mehr hervortreten, als es bei Eucken der
Fall ift. Auch das darf nicht blofs gelegentlich berührt
werden, dafs die Animofität der Parteiung auf philofo-
phifchem Gebiete zumeift da fich einftellt, wo eine philofo-
| phifche Anfchauung den Charakter einer mit religiös-
ethifcher Begeifterung umfafsten Weltanfchauungannimmt.
Die Beiträge ,zur Gefchichte der Parteinamen' endlich
j geben nach allgemeinen Reflexionen über Genefis und
j Einflufs von Parteinamen dankenswerthe hiftorifche Notizen
über das Werden, Wachfen, Wandeln und Vergehen
I einzelner Parteinamen.