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Ausgabe:

1887 Nr. 13

Spalte:

313-315

Autor/Hrsg.:

Weygoldt, G. P.

Titel/Untertitel:

Die platonische Philosophie, nach ihrem Wesen und ihren Schicksalen für Höhergebildete aller Stände dargestellt 1887

Rezensent:

Reischle, Max

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313

Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 13.

3H

an feine Eintheilung der Zukunftsrede AI. 24), und
zwifchen der .frommen Erfahrung', fondern die Dogma-
tik hat an der biblifchen Theologie eine objective Grundlage
für die abfchliefsende Erkenntnifs des Evangeliums,
fo objektiv, als fie eben nach der Befchaffenheit der
wirklichen hl. Schrift als Urkunde der Offenbarung
fein kann, und dürfen wir fagen, da doch diefe Befchaffenheit
nicht zufällig ift, fein foll. Aber der bibl.
Theologie ift der H. Verf. befonders abgeneigt, wie er
z. B., von noch flärkerem Angriff abgefehen, bei der
Frage der nahen Wiederkunft meint, diefer Schein zerftreue
fich bald, wenn man es nur nicht feinem eigenen
Scharffinn glaube fchuldig zu fein, die Unterfchiede auf's
Aeufserfte zu urgiren, um aus dem N. T. eine ganze
Reihe von Theologien herauszuklügeln. Ich habe
wiederholt darauf hingewiefen, dafs der H. Verf. ernfter
als manche Dogmatiker der Gegenwart der reformatori-
fchen Pofition fich bewufst ift: was ift aber evangelifcher
als die gerechte Würdigung und ernfte Verwerthung der
biblifchen Theologie, um zu einer wirklich evangelifchcn
Dogmatik zu kommen? Wir werden dann manches nicht
fo genau in der Efchatologie fagen können, wie der H.
Verf. es unternimmt; aber weniger ift hier mehr, weil
es im Ganzen gewifs ift.

Zürich. Th. Häring.

Weygoldt, Kreis-Schuir. Dr. G. P., Die platonische Philosophie
, nach ihrem Wefen und ihren Schickfalen für
Höhergebildete aller Stände dargcftellt. Leipzig, O.
Schulze, 1885. (V, 256 S. 8.) M. 3.—
Wie fchon der Titel befagt und wie das Vorwort
weiter ausführt, wendet fich der Verf. ,an die Höhergebildeten
aller Stände, um fie in das Verftändnifs der be-
deutendften philofophifchen Erfcheinung des Alterthums
einzuführen und dadurch zugleich das Intereffe für phi-
lofophifche Fragen überhaupt zu wecken und zu fördern'.
Bei einem folchen Unternehmen ift die Art der Darltellung
von befonderer Wichtigkeit: es kann zugeftanden werden,
dafs diefelbe frifch und lebendig ift; die Aufnahme ziemlich
vieler Citate aus den Quellen ift zu billigen, zumal
da die Auswahl derfelben nicht ungefchickt ift (p. 33.
wäre aber wohl beffer eine andere Probe von den Mythen
Platon's gegeben worden); auch die Plinflechtung von
Stellen aus fecundären Werken (aus Zeller, Hausrath,
Steinhart u. a., auch aus Kingsley's ,Hypatia') dient zur
Belebung der Darftellung. In feinem Beftreben, möglichft
populär und möglichft intereffant zu reden, ift aber der
Verf. der fo nahe liegenden Gefahr, das richtige Mafs
zu verlieren und die Grenzen des guten Gefchmacks zu |
überfchreiten, nicht ganz entgangen (p. 8: ,Welche Un-
fumme von Anregungen etc.'; p. 28 über Platon's Wirk-
famkeit in Syrakus: ,fiehe da, er fiel gänzlich durch'; p. 180
über den finkenden Neuplatonismus: ,Wenn eine Geiftes-
richtung zum Schlupfe kommt, dafs Philofophie und Köhlerglaube
dasfelbe find, fo wird es Zeit, fie felbft den
Köhlern zu überlaffen' u. dgl.) Insbefondere ift die an
fich zu lobende Vergleichung des Dargeftellten mit Er-
fcheinungen der Gegenwart nicht immer gefchmackvoll
durchgeführt (pag. 97: ,Befondere höhere Töchterfchulen
mit eigenen Speciallehrplänen giebt es im platonifchen
Staate nicht' vergl. p. 14. 105 u. ö.).

Verftändlich ift die Darftellung überall; ob fie aber
auch die Lefer wirklich ins Verftändnifs der platonifchen
Philofophie einführt, ift mir zweifelhaft. Diefe allerdings
fehr fchwierige Aufgabe konnte nur gclöft werden, wenn
das gefchichtliche Referat Hand in Hand ging mit einer
Darlegung der philofophifchen Probleme, an denen Plato
arbeitet und die auch uns befchäftigen müffen. Diefe
F-infuhrung in die Probleme aber wird in der vorliegenden
Schrift nicht genügend geleiftet; auch die Auswahl des
Stoffes ift nicht feiten zu fehr von dem Beftreben geleitet,

das Intereffante zu bieten, das doch für den in die Philofophie
erft einzuführenden Lefer ein unverftandenes
Curiofum bleiben wird. So ift mir z. B. bei der platonifchen
Ideenlehre nicht genug Sorgfalt auf die Entwicklung
der berechtigten philofophifchen Intereffen verwandt,
von denen Plato geleitet ift. Bei der Darlegung derfelben
hätten die neueren Anflehten über den Sinn der platonifchen
Ideenlehre (von Lotze und anderen), felbft wenn
fich Verf. an die herkömmliche Auffaffung glaubte halten
zu follen, demfelben manche richtige Anleitung geben
können. Insbefondere die Frage, wie bei Piaton das
Verhältnifs der Ideen zur fichtbaren Welt zu denken ift,
darf nicht mit der Wiedergabe der mythifch gehaltenen
Kosmologie des ,Timäus' abgemacht werden. Speciell
hätten die Ausfagen Platon's über die Idee des Guten
gleich von Anfang durch den Gedanken eines die Welt
ordnenden höchften Zwecks, durch den allein das Sein
der Welt wie ihre Erkennbarkeit begründet ift {cfr. die
Auseinanderfetzung Platon's mit der Lehre des Anaxagoras
vom vovg Phädo 97 B ff.), erläutert werden können; dann
hätte fich wohl auch weiterhin die Frage nahe gelegt, ob
wir darin, dafs die teleologifchen Urfachcn bei der Bildung
der Welt ,als vernünftige Abfichten des Schöpfers
fich darftellen', nicht etwa Llofs eine populäre Ausprägung
des platonifchen Gedankens einer immanenten
Zweckmäfsigkeit (refp. Harmonie) der Welt zu erblicken
haben.

Wenn ich nun aber ein tieferes Eindringen und Einführen
in die Gedankenwelt Platon's wünfehen möchte, fo
ift dagegen die Pünktlichkeit der gegebenen Referate und
hiftorifchen Notizen anzuerkennen (nur einzelne Unge-
nauigkeiten: p. 171 beruht die Sicherheit, mit welcher der
Kirchenvater Origenes als Schüler von Ammonius Sakkas
genannt wird, vielleicht auf einer Verwechslung mit einem
anderen Origenes; pag. 140 erweckt die Darfteilung den
falfchen Schein, dafs Kleitomachos der unmittelbare
Amtsnachfolger des älteren Karneades war). Neue For-
fchungen darf man nicht erwarten; wo Verf. vom Herkommen
ganz oder theilweife abweicht, handelt es fich
um eigenthümliche Auffaffungen des Bekannten, die aber
zum Theil mehr den Charakter geiftreicher Apercus als
neuer Ergebnifse des Forfchens haben.

Das Leben und das Syftem Platon's füllt den erften
Theil des Büchleins (p. 1 —119); dcrfelbe fchliefst mit
einem Urtheil über ,Platon's Schwäche und Gröfse', in
dem jedoch der Beitrag Platon's zur Löfung der philofophifchen
Probleme nicht fcharf genug bezeichnet wird.
Zu ffreng ift mir das Urtheil über die Verwendung des
Mythos von Seiten Platon's, etwas eigenthümlich berührt
auch p. 114 die Lamentation über den .religiöfen Fanatismus
, zu dem Piaton in feinem Greifenalter hinneigte', um
fo mehr, als nach p. 116 auch die bitterften Erfahrungen
ihn ,über eine würdevolle elegifche Stimmung nicht hinausführen
'. Nach der Gefchichte der älteren, mittleren und
neueren Akademie (p. 119—146) folgt ein Capitel über
Cicero, Plutarch und Apollonios von Tyana, dann zwei
Capitel über den Neuplatonismus und den Untergang der
Philofophie im Kampfe mit dem Chriftenthum. Dafs die
ausführliche Darftellung der Polemik des Celfus und Julianus
zum Theil den Rahmen einer Gefchichte des Pla-
tonismus überfchreitet, kann durch Hinweis auf das
Intereffe, welches gerade diefe Gegenftände für den
Gebildeten haben, gerechtfertigt werden. — In einem
weiteren Capitel ,Piatonismus und Chriftenthum' p. 218
—243 fucht Verf. den Sieg des Chriftenthums begreiflich
zu machen: der Piatonismus ift vor allem deshalb unterlegen
, weil er keine fociale Reform zu bringen im Stande
war, während das Chriftenthum die Idee einer folchen
auf feine Fahne gefchrieben hatte. ,Das Reich Gottes
ift der Hauptfache nach nur — ein verklärter Socialiften-
ftaat, mit einem göttlichen Präfidenten an der Spitze'.
Das Chriftenthum war ,in feinen erften Anfängen durch
und durch focialiftifch'. Verf. legt auf diefe feine Auf-