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Ausgabe:

1887 Nr. 13

Spalte:

293-296

Autor/Hrsg.:

Szold, Benj.

Titel/Untertitel:

Das Buch Hiob, nebst einem neuen Commentar 1887

Rezensent:

Budde, Karl

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293 Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 13. 294

Jahveh's, um unter den Zelten Sem's zu wohnen. ,Diefe
Hauptftrömungen der meffianifchen Weisfagung, die
menfchliche und die göttliche, entwickeln fleh von jetzt
an neben einander, zuweilen fich annähernd, jedoch nie
zufammenfliefsend, bis fie (ich in der Perfonjefu Chrifti
des Gottmenfchen bei feinem Advent, und noch mehr
bei feiner Wiederkunft vereinigen' (S. 83). Hat alfo
das Werk in feiner ganzen Art eine nicht zu verkennende
Aehnlichkeit mit dem v. Orelli'fchen, so vertritt Verf.
dagegen in feiner in den beiden erften Capiteln dargelegten
Gefammtanfchauung der Prophetie und insbe-
fondere der meff. Weisfagung im Ganzen einen freieren
Standpunkt. Er verwirft die ftarr fupernaturaliftifche
Auffaffung der Prophetie, die er die montaniftifche
nennt, in fämmtlichen von derfelben im Laufe der Jahrhunderte
angenommenen Geftalten bis auf die neuefte
herunter, und hebt mit allem Nachdruck die moralifche
und pfychologifche Bedingtheit der Weisfagung, die un-
überfteiglichen Schranken des prophetifchen Vorher-
wiffens, hervor. Die in der hebr. Weisfagung befindliche
Offenbarung ,ift nicht eine äufserliche, mechanifche,
oder magifche, fondern eine innerliche, religiöfe, geiftige'.
Verf. beftreitet z. B. auch die Anficht v. Orelli's, dafs
die Propheten die Zukunft gewöhnlich in Gefichten ge-
fchaut haben, womit der fogenannte perfpectivifche
Charakter der Weisfagung zufammenfällt. Mögen nur
Verf.'s gefunde und verftändige Anflehten in den weiteften
Kreifen Eingang und Aufnahme finden! Das will natürlich
keineswegs befagen, dafs Ref. in allen Punkten
damit einverftanden ift. Widerfpruch erregen befonders
Verf.'s Aeufserungen über den fymbolifchen Charakter
aller Weisfagung. Es handelt fich nicht um das Anerkennen
eines typifchen Elements in der Weisfagung,
fondern um eine aller Prophetie eigene geheimnifsvolle
Symbolik, zu deren Erklärung die gewöhnlichen Auslegungsmittel
nicht genügen. Befonders find alle prophetifchen
Zahlen z. B. im Buche Daniel fymbolifch;
aber auch da, wo die Propheten die unmittelbare Nähe
des Heils refp. des Gerichts mit klaren Worten verkündigen
, wollen fie nur der Gewifsheit ihrer Ueber-
zeugung bezw. der Lebendigkeit des von dem Gefchau-
ten erregten Gefühls Ausdruck geben. Sonft müfsten
wir zugeben, dafs die Propheten fich hinfichtlich der
Zeit der Erfüllung getäufcht haben. Man wird aber
billig nicht überfehen, dafs wenn man meint, auf diefe
Weife die Propheten vor dem Verdacht, fich getäufcht
zu haben, zu fchützen, fo legt man dafür die Befchuldi-
gung äufserft nahe, durch eine gewählte, höchft mifsver-
ftändliche Ausdrucksweife ihre Zuhörer bewufst getäufcht
zu haben. Ref. bemerkt aber gern, dafs diefe ganze
Theorie für Verf.'s Gefammtanfchauung der Weisfagung
keineswegs mafsgebend ift, auch übt diefelbe auf feine
eigene Auslegung kaum einen merklichen Einflufs. Alle
diefe Aufteilungen follen nur die Theilnahme bezeugen
, mit welcher Ref. diefen Band gelefen hat, deffen
vom Geifte des edlen Schriftforfchers wie des wahren
Chriften durchhauchter Darfteilung zumSchlufs den beften
Erfolg wünfeht.

Andover. G. Moore.

Szold, Rabb. Benj., Das Buch Hiob, nebft einem neuen
Commentar. Baltimore, 1886. |Leipzig, K. F. Köhler.]
(XXIV, 498 S. gr. 8.) geb. M. 10. —

An diefem Buche ift nichts deutfeh als der angeführte
erfte Titel, die gefchäftlichen Angaben von Verleger und
Drucker und (bezw. arabifch oder römifch) die Seitenzahlen
, inconfequenter Weife auch die Zahlen über den
Hauptabfchnitten des Textes. Alles Uebrige ift Hebräifch,
unvokalifirt aufser dem Texte des Buches Hiob bei feiner
erften Anführung; der Einzelcommentar in rabbinifcher,
Einleitung, Bibelftellen, Inhaltsangaben, Excurfe in gewöhnlicher
Quadratfchrift. Eür den Leferkreis diefes

Blattes ift das Buch daher nicht gefchrieben; denn die
Erklärung des Buches in feiner eigenen Sprache bringt
ja felbftverftändlich mit fich, dafs die befonderen Be-
dürfnifse des abendländifchen Lefers kaum berückfichtigt
werden, für eine äfthetifche und erbauliche Erklärung
aber ziehen wir unfere Mutterfprache vor. Die Beachtung
des Fachgelehrten würde das Buch in ausgedehnterem
Mafse in Anfpruch nehmen können, wenn es wefentlich
neue gelehrte Forfchung brächte; aber daran ift das Buch
in jeder Beziehung überaus arm. Etymologie, Grammatik,
Archäologie, Religionswiffenfchaft bereichern weder das
Verftändnifs des Buches, noch erfahren fie hier eine Bereicherung
, fie liegen beinahe völlig aufserhalb feines
Gefichtskreifes; niedere wie höhere Kritik gehen beinahe
leer aus, weil ihm alle Bedenken auf rafch befeitigten Mifs-
verftändnifsen beruhen. Auch literarifche Discuffion ift
fo gut wie ausgefchloffen. Soweit meine Stichproben
reichen, werden nur rabbinifche Autoritäten, befonders
Rafchi, im Einzelcommentar mit abweichenden Auffaffun-
gen gelegentlich herangezogen und kurz widerlegt; in
ausgedehnterem Mafse werden andere Meinungen nur bei
allgemeineren Fragen in der Einleitung und den hlxcurfen
erwogen, aber ohne Nennung von Namen. Die Leichtigkeit
, mit der alle Fragen weiteren und engeren Umfangs
erledigt werden, contraftirt feltfam mit der ftarken Betonung
der Schwierigkeit des Buches in Vorwort und
Einleitung.

Dennoch fcheint mir das Buch der Beachtung werth
als ein befonders tüchtiges Beifpiel feiner Art. Gewandt
und anziehend, wenn auch vielfach etwas breit gefchrieben
, felbftändig, foweit gegenüber der überwältigenden
Macht der Ueberlieferung davon die Rede fein kann,
klar und fchlicht im Gedankengang, im einzelnen mit
manchen glücklichen Ideen, dazu forgfältig und mit fühlbarer
Begeifterung gearbeitet, hinterläfst es bei näherer
Bcfchäftigung einen wohlthuenden Eindruck.

Der ganze Apparat neuhebräifcher Schriftftellerei ift
aufgeboten. Feierlich gewidmet ift es den Seelen der
Eltern und Schwiegereltern des Verfaffers; als Motto
dient Hiob's letztes Wort (c. 42, 5), ftolz genug in des
Verfaffers Munde; im Vorworte ruft er das Urtheil des
Lefers auf, ob von dem vielen Verdienfte, das dem Ausleger
des Buches Hiob von feinen Vorgängern zu erwerben
gelaffen fei, auch ihm fein Theil beftimmt ge-
wefen und tröffet fich des Wortes Elihu's c. 32, 8 a. Ein
fechszeiliger gereimter Anruf an das Buch, feine Kraft am
Lefer zu beweifen, bildet den Uebergang zur Einleitung.
Diefe behandelt 1) Zweck, 2) Inhalt, 3) Form, 4) Ab-
faffungszeit und Verfaffer, 5) Verfchiedenes. Unter 1)
weift Sz. die Anficht ab, dafs das Buch fich um die Frage
der ungleichen Vertheilung von Glück und Unglück drehe,
mit einer Reihe von beachtenswerthen Bemerkungen, die
doch mehr dahin führen würden, jene Anficht beftimmter
und enger zu faffen als fie zu verwerfen. So kommt er
denn auch zum Schlufs felbft auf eine — nur praktifch
gefärbte — Theodicäe hinaus: das Buch wolle durch
Gleichnifs und Beifpiel zeigen, wie ein Gerechter, der nur
Uebles erfahren, dennoch feine Leiden tragen und an
feiner Unfträflichkeit fefthalten, auf wen und was er fich
dem gegenüber nützen könne, und wie es möglich bleibe,
an die Vorfehung eines gerechten Gottes zu glauben,
auch wenn wir uns über feine Führung wundern und fie
nicht begreifen, ftatt darüber zu ftraucheln und Religion
und Sittlichkeit für werthlos zu erklären (S. XI f.). Uebri-
gens wird die abgelehnte Anficht keineswegs von allen
Auslegern, wie er fagt, einftimmig vertreten — ganz ab-
gefehen von der Fülle verfchiedener Antworten auf jene
Frage, wodurch eine Reihe von Auffaffungen entftehen —
gerade die Idee der Bewährung, auf die Szold den Hauptnachdruck
legt, ift u. A. von Schlottmann, deffen Commentar
er kennt, noch entfehiedener betont worden.
Richtig hebt Szold hervor, dafs die Bewährung Hiob's
an fich nur individuelle Bedeutung habe, univerfale da-