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Ausgabe:

1887

Spalte:

245-246

Autor/Hrsg.:

Henle, Frz. Ant.

Titel/Untertitel:

Kolossä und der Brief des hl. Apostels Paulus an die Kolosser 1887

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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liehe Zeugnifs, welches die fynoptifchen Evangelien durch
die blofse Befchaffenheit ihres Textes über ihre eigen-
thümliche nahe Verwandtfchaft mit einander ablegen.
Eine derartige Abwägung des Werthes der inneren und
aufseren Zeugnifse ift heutzutage nur noch in gewiffen
theologifchen Kreifen möglich. Man kehrt damit den bei
allen Hiftorikern als felbftverftändlich geltenden Kanon
einfach um, und Bellt fich, um einen mir fehr verübelten
Ausdruck zu wiederholen, auf den Standpunkt des
17. Jahrhunderts.

Im Anhang zu Zöckler's Schrift theilt Strack die
Briefe mit, welche er an mich und Harnack gefchrieben
hat, um uns mit Rückficht auf die in Ausficht flehenden
altteftamentlichen Lieferungen zum Widerruf zu bewegen.
Die Zumuthung wurde felbftverftändlich abgewiefen.
Dafür erhalte ich nun die Cenfur, dafs mir ,zu ehrlichem
Widerruf die Qualifikation fehlte' (S. 54). Ich werde mich
durch diefe Liebenswürdigkeit aber nicht verlocken laffen,
mit Herrn Strack und Zöckler in eine Erörterung unferer
beiderfeitigen Qualifikationen' einzutreten.

Nachdem obige Anzeige bereits gefchrieben war,
kam mir die Befprechung der Zöckler'fchen Schrift durch
Kübel in Luthardt's Literaturblatt Nr. 18 zu Geficht.
Kübel findet das Bezeichnendfte an meinem Verfahren
darin, dafs ich auf Luthardt's Arbeit über das Johannes-
Evangelium nicht eingegangen bin, und .kommt hierbei
faft auf die Vermuthung, dafs eben ein Theil des Werkes
, der jedenfalls hätte anerkannt werden müffen, nicht
anerkannt werden follte'. Ich kann dem Herrn Collegen
in Tübingen verfichern, dafs er im Irrthum ift. Sofern
für mein Schweigen aufser dem von mir angegebenen
Hauptgrunde (dafs Luthardt's Auslegung des Johanncs-
evangeliums aus deffen gröfserem Werke hinlänglich
bekannt fei) überhaupt noch andere Motive mafsgebend
waren, waren fie lediglich perfönlicher Art und würden,
wenn ich fie mittheilen wollte, gewifs auch von dem
Herrn Ethiker als berechtigt anerkannt werden.

Giefsen. E. Schür er.

Henle, Dr. Erz. Ant., Kolossä und der Brief des hl. Apostels

Paulus an die Kolosser. Ein Beitrag zur Einleitung in
den Kolofferbrief. München, Stahl fem, 1887. (VIII,
93 S. gr. 8.) M. 2.50.
Den Kolofferbrief hat der heilige Paulus etwa im
Jahre 61 n. Chr. als Gefangener in Rom gefchrieben.
Die Gemeinde war erft kurz vorher durch feinen Schüler
Epaphras gegründet worden. Koloffä war zu der Zeit
Ichon fehr heruntergekommen, die viel jüngeren Nachbar-
iladte Hierapolis und Laodicea hatten ihm den Rang
abgelaufen; bald wurde es ganz zerftört und nie wieder
aufgebaut; das mittelalterliche Chonae ift mit Unrecht
für identifch mit Koloffä erklärt worden. — Epaphras
hatte den Apoftel gebeten, einen Brief zu fchreiben, um
mit feiner Autorität eine den dortigen Gemeinden
drohende Gefahr abzuwenden. Der Brief zerfällt in
3 Theile, einen apologetifchen, einen polemifchen (2, 8 bis
23) und einen paränetifchen. In dem apologetifchen
Theil vertritt Paulus die unbedingte Principalität des
Erlöfers und die unbedingte Univerfalität der Erlöfung.
Die bekämpfte Irrlehre war eine aufserkirchliche, ftand
im diametralen Gegenfatze zur apoftolifchen Lehre von
Chriftus, war aber vertreten von Mitgliedern der Gemeinde
. Sie richtete ihre Spitze gegen die gottmenfeh-
liche Würde Chrifti. Ihre Wurzel war ein durchaus ab-
ftract gehaltener Gottesbegriff. Mit einem Worte: die
koloffifchen Irrlehrer, denen der Paftoralbriefe nahe verwandt
, find Judenchriften, aber .gnofticirende', nicht
effenifche, fondern alexandrinifche Speculation weiter-
ausfpinnende Judaiften.

Das etwa find die Refultate von Henle's Arbeit.
An ihrem Aeufsern ift ein ungemein nachläffiger Druck
befonders in den Accenten der griechifchen Citate zu

rügen, die Sprache ift klar, aber nicht frei von Idiotismen
(z. B. ferners, weiters) und Verfchränkungen, überall
wortreich und manchmal zu farbenreich (fo S. 33:
Pauli ,Verficherungen find fo voll feuriger Zärtlichkeit,
als ob alle feine Gedanken und Empfindungen nur Koloffä
zum Inhalt hätten' . . . ,wo die Liebesgluth in allen
Farben fpielt, klagend und jauchzend, verlangend und
entfagend'); eine grofse Vorliebe für Fremdworte con-
traftirt eigen mit dem Bedürfnifs, den griechifchen Text
einzelner Verfe des Kolofferbriefs fogar wiederholt in
den Anmerkungen peinlich wörtlich zu überfetzen. Der
Verfaffer ift römifcher Katholik, darum findet er die
Echtheit des Kolofferbriefs fchon durch äufsere Gründe
zu fchlagend bewiefen (S. 37), denkt fich das Verhältnifs
eines Epaphras zu Paulus wie das eines Miffionspresbyters
von heute zu dem ihn ausfendenden Bifchofe und weifs nicht
anders, als dafs es 2 Aufwiegler Theudas gegeben hat,
einen {Acta 5,36) vor, den anderen {Joseph. Antiq. 29,5)
nach Judas dem Galiläer. Doch wäre es unbillig, zu
verfchweigen, dafs Henle mit folchen Meinungen auch
unter proteftantifchen Gelehrten Anhänger befitzt und
dafs er Manchem von diefen an weitreichendem Wiffen
und dem Bedürfnifs, mit der gefammten Kritik fich in
fachlichem Tone auseinanderzufetzen, durchaus überlegen
ift. Einiges wird Jeder aus feiner Schrift lernen
können. Namentlich hat er fehr fleifsig gebammelt, was
irgend über die geographifche Lage von Koloffä und
feine Gefchichte feftzuftellen ift: Einzelnes Intereffante
hat er beigebracht zur Kenntnifs des phrygifchen Geiftes.
Ein Korn Wahrheit ift ja auch in feiner Behauptung,
dafs der Autor des Kolofferbriefes mit dem des vierten
Evangeliums fleht und fällt, und in feinen Ausführungen
zur Gefchichte des Effenismus vertritt er häufig das
Richtige, wenn dies auch nicht gerade neu ift. Ich
glaube, dafs er entfehieden Recht hat mit feinem Proteft
gegen die übliche Annahme, die Irrlehrer zu Koloffä
feien vom Flffäismus beinflufst gewefen; verloren ift mit
jener Hypothefe nichts; denn dafs gewiffe Berührungspunkte
zwifchen der koloffifchen Irrlehre und der effeni-
fchen Weltanfchauung vorhanden find, trägt noch gar
nichts bei, die gefchichtliche Erfcheinung der erfteren uns
zu erklären. Allein Henle bemerkt nicht, dafs auch
feine Formel .gnoftifch angehauchte Judaiften' blofs ein
Wort ift, dafs es nun darauf ankäme, die Entftehung
folcher vorgnoftifchen Gnofis in einer eben bekehrten
Chriftengemeinde einer phrygifchen Stadt vorftellig zu
machen, fodafs wir auch die Art, wie Paulus fich diefem
Gebilde gegenüberftellt, begreifen — diefe Aufgabe läfst
er unberührt Alles in Allem fragt fich der Lefer der
Schrift am Schlufs, was wohl den Verfaffer zu ihrer
Veröffentlichung getrieben haben möge, und weifs keine
Antwort. Ganze lange Abfchnitte des Buches würden
beffer in eine Gefchichte oder Kirchengefchichte Phrygiens
und Kleinafiens paffen, andere beffer in eine Darftellung
des Effenismus oder der philonifchen Philofophie; man
vermifst die ftrenge Concentration. Wie in fo vielen
katholifchen Arbeiten, fo auch hier: fchätzbare Details,
kein innerlich zufammengehaltenes Ganzes.

Rummelsburg b. Berlin. Lic. Jülicher.

Lipsius, Rieh. Adelb., Die apokryphen Apostelgeschichten
und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchriftlichenLite-
raturgefchichte. 2. Bd. 1. Hälfte. Braunfchweig,
Schwetfchke & Sohn, 1887. (II, 472 S. gr. 8.) M. 16.

1. Artikel.

Das grofse Werk (f. Bd. I, angezeigt in diefer
Zeitung 1883 Nr. 3, Bd. II, 2. Hälfte, ebendort 1884
No. 8; ift mit vorftehendem Bande zu Ende gefuhrt. Nur
die Indices flehen noch aus und follen mit Nachträgen
als befonderes Supplementheft ausgegeben werden. Des
Dankes wegen fchreibt Niemand unter uns; aber grö-

*