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Ausgabe:

1887 Nr. 10

Spalte:

236-237

Autor/Hrsg.:

Mach, Fr. J.

Titel/Untertitel:

Die Willensfreiheit des Menschen 1887

Rezensent:

Müller, Ferd. Aug.

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Theologifche Literaturzeitung. 1887. Nr. 10.

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wichtigen Lehrftücken, z. B. über das h. Abendmahl,
S. 245—257 dem Gang meiner Darftellung. Findet er
anderswo, z. B. S. 234, meine Darftellung von Wiclif's
Lehre über das Dominium parfaitement obscur, fo
hat er fich die Frage anfcheinend nicht vorgelegt, ob die
Dunkelheit ihren Grund in Wiclif's Gedanken oder in
meiner Berichterftattung habe. Eine Ueberficht über
Wiclif's lateinifche Streitfchriften eröffnet der Verf. S. 161
mit der aus meinem Werk II, 567 entlehnten Bemerkung,
ein Irrthum fei hierin um fo leichter möglich, als fehr
wenige unter diefen Flugfchriften gedruckt feien. Das
war damals, als ich jene Worte fchrieb, 1872, vollkommen
richtig. Seither find aber 1883 durch D. Budden-
fieg die lateinifchen Streitfchriften fämmtlich aus den
Handfchriften herausgegeben worden, eine Thatfache,
welche dem Verf. laut S. 339 nicht unbekannt geblieben
ift. Aehnlich äufsert fich der Verf. S. 336, man könne
über Wiclif als englifchen Schriftfteller fo lange ein endgültiges
Urtheil nicht fällen, bis wir die Gefammtheit
feiner (englifchen) Schriften vor uns haben. Allein die
englifchen Schriften Wiclif's find bereits ausnahmslos im
Druck erfchienen. Nachdem die Bibelüberfetzung Wiclif
's 1850 in muftergültiger Weife veröffentlicht war, hat
Thomas Arnold 1869 und 1871 eine Anzahl ausgewählter
englifcher Schriften in 3 Bänden herausgegeben (I. u.
II. Predigten; III. gemifchte Schriften). Endlich gab 1880 j
Matthew alle übrigen bis dahin ungedruckten englifchen
Werke Wiclif's für die Early Engltsh Text Society heraus. !
Somit ift von englifchen Schriften des Mannes nichts j
mehr ungedruckt. Diefe Publicationen find dem Verf.,
wie S. 330 zu erfehen, nicht unbekannt; und dennoch
fpricht er, als fehlte es noch an Veröffentlichung der
englifchen Schriften Wiclif's.

Von der Ausgabe des Werks De civili dominio
durch R. Lane Poole für die Wiclif Society hatte Verf.
laut S. 339 nur als bevorftehend Kenntnifs, während der
erfte Band (Buch I umfaffend) bereits 1885, alfo ein Jahr
vor Vattier's Buch, erfchienen war. Hingegen das Er-
fcheinen des Buches De Ecclesia in der Bearbeitung
yon Prof. Loferth 1886 mochte ihm leicht entgehen. —
Ein intereflantes Capitel ift das 5. des III. Buches, über
die,Quellen der Lehre Wiclif's', mit anderen Worten, über
feine Vorgänger, Berengar (hinfichtlich der Abendmahls-
lehre), über Grofsetete, ückam, den Erzbifchof Fitz-Ralph
von Armagh, Bradwardin, Marfilius v. Padua u.f.w. Grof-
fetete's berühmtes Schreiben ift nach dem Urtheil des
Verf. (S. 284 a mon avis) nicht an den Papft, fondern
an die Commiffare desfelben gerichtet; ich freue mich
der Zuftimmung des Verf.'s, nachdem ich zuerft entdeckt
habe, dafs die herkömmliche Annahme falfch ift. S. 286
weifs Verf. viel zu berichten von einem angeblichen Sec-
tenftifter Lollard, ohne eine Ahnung davon, dafs das
eine völlig unhiftorifche Perfönlichkeit ift. Wenn er aber
S. 298 feinem flrftaunen Worte leiht, dafs noch niemand,
wie er glaubt, daran gedacht hat, den Einflufs diefes
Mannes auf Wiclif bemerklich zu machen, fo weifen wir
auf unfere Darlegung über Marfiglio hin, welche fich
in der deutfchen Ausgabe I, 107—114 befindet; dafs
diefelbe dem Verf. entgangen ift, erklärt fich einzig
und allein aus dem Umftand, dafs Vattier, wie es fcheint,
nicht das deutfche Werk vor fich hatte, fondern die eng-
lifche Ueberfetzung D. Lorimer's, welcher einen beträchtlichen
Theil des Ganzen befeitigt hat; und diefe Ueberfetzung
hatte er nur in der neuen Auflage von Seiten
der Religious Tract Society vor Augen. Dem kriti-
fchen Urtheil, aber auch den fittlichen Urtheilen des
Verf.'s können wir nicht allenthalben beitreten. Oefters
bezweifelt er gewiffe Aufhellungen, ohne feine Bedenken
genügend zu begründen. Hie und da folgt er dem röm.-
katholifchen Gefchichtfchreiber England's, Lingard; jedoch
bindet er fich nicht unbedingt an deffen Ausfprüche.

An Exactheit in der Berichterftattung läfst es Verf.
nicht feiten fehlen. Nur einige Beifpiele mögen dies be-

weifen: S. 104 erwähnt Verf. die Predigermönche und
unmittelbar darauf, als wäre das ein anderer Orden, die
Dominikaner; ebendafelblt, Z. 7. 8 unten, giebt die
Ueberfetz ung einer altenglifchen Stelle entweder gar
keinen oder einen falfchen Sinn. S. 52 ift von einem
Erzbisthum Bangor die Rede, was niemals exiftirt hat,
denn Bangor hatte ftets nur ein Bisthum. Für einen
Irrthum mufs ich es erklären, dafs Verf. S. 298 den
Schriftfteller Johann von Jandun aus Gent flammen läfst,
worüber ihn Oudin eines befferen belehren konnte.

Der Text ift nicht feiten durch Druckfehler in Namen
, Ziffern und lat. Worten entftellt, z. B. S. 118 Oxford
anftatt Otford, eines erzbifchöflichen Landfitzes; S.
29 Stephen Langham ftatt Simon Langham, S. 101 Anm.
2 Swysden ft. Twysden, S. 275 Eckard ft. Echard, S. 312
Wildefort ft. Widefort, Woodford. S. 287: 1422 ft. 1322,
S. 295: 1539 ft. 1359, S. 16 sermonicinales ft. sermoci-
nales; S. 141 Mitte bringt in einem Citat aus Trialo-
gus in einer Zeile zwei finnentftellende Druckfehler:
constantem ft. constanter, und statum ft. statim, um
andere dergleichen hörende Dinge mit Stillfchweigen zu
übergehen. — Das Portrait Wiclif's, welches Verf. repro-
ducirt, würde Werth haben, wenn Alter und Echtheit
desfelben erwiefen wäre.

Leipzig. G. Lechler.

Mach, Prof. Fr. ]., Die Willensfreiheit des Menschen. Paderborn
, F. Schöningh, 1887. (iX, 274 S. gr. 8.) M. 3.60.

Der Verf. glaubt das Problem der .Willensfreiheit'
nach dem Schema eines dreigliedrigen, disjunctiven Syllogismus
behandeln zu können. Er fucht zunächft nach-
zuweifen, dafs .Freiheit' nicht urfachlofe Selbftbeftimmung,
nicht abfoluter Indeterminismus fei, ferner, dafs es ebenlö
irrig fei, ,Freiheit' als abfoluten Determinismus zu faffen,
mag diefer nun in der Form des äufsern, oder des me-
chanifch-phyfifchen, oder des mechanifch-pfychologifchen
oder endlich des metaphyfifchen (phantheiftifchen) Determinismus
auftreten. Bleibt nur ein Drittes: aus der
Falfchheit des abfoluten Indeterminismus und des abfoluten
Determinismus folgt die Richtigkeit des .relativen
Indeterminismus'.

Indefs der Verf. begnügt fich nicht mit diefem Nachweis
per exclusionem; er fucht feinen relativen Indeterminismus
dadurch zu ftützen, dafs er die einfeitige Annahme
zurückweift, alle Urfachen feien nur mechanifch,
mit Naturnotwendigkeit wirkend. Neben den causae
moventes gebe es auch Zweckurfachen, causae finales,
.welche gerade im menfchlichen Wollen und Handeln
fichtbar hervortreten und durch welche fich diefes Gebiet
eben als ein Gebiet der Freiheit charakterifirt' (S. 95).
Der Zufammenhang von Zweck und Urfache im pfy-
chifchen Gefchehen ift nach dem Verf. folgender.

Wollen ift ein auf eine Vorftellung gerichtetes Begehren
; wir wollen diefe Vorftellung A nennen. Im allgemeinen
fetzt fich das Begehren nicht unmittelbar in
die That um, fondern es ergiebt fich meift im denkenden
Ich eine Vorftellung B, deren Herbeiführung auf
einen geringeren Widerftand ftöfst und zugleich die begehrte
Befriedigung zur Folge hat; auf diefe Vorftellung
richtet fich dann das Begehren und gelangt fo mittelbar,
auf einem Umwege zum Ziele. Diefer Umweg, meint
der Verf., beweift die Freiheit des Willens. Denn ur-
fprünglich hängen A und B durch den Caufalnexus in
der Zeitreihe zufammen, B ift Urfache und A Wirkung;
beim Begehren aber gefchieht die Reproduction der
zwifchen B und A befindlichen Reihe vom Endgliede
(der Vorftellung A) aus, die begehrte Wirkung ift Zweck,
die begehrte Urfache Mittel. Das Mittel wird begehrt
um des Zwecks willen. ,Ich kann den Zweck, auf deffen
Herbeiführung mein Begehren zunächft und hauptfächlich
gerichtet ift, nicht erreichen, wenn ich nicht zuvor